Latein

[Ilka-Maria]

Als ich von Hessen in die Krönung der Bundesrepublik, nämlich nach Bayern gezogen war, musste mein Sohn ein Jahr Realschule wiederholen, weil es dort nicht anerkannt wurde. Die Luitpolds und ihre Nachfahren forderten Tribut, und deshalb wurde ich, als mein Sohn ins Gymnasium wechselte, zum Elternabend einbestellt, um Instruktionen einzuholen.

Die Vorträge der künftigen Lehrer hielten sich im Rahmen, bis der Lehrer für Latein an die Reihe kam. Er setzte offensichtlich voraus, lauter Esel vor sich zu haben, die außer "Hü" und "Halt" keine Vokabeln kannten. Als er begann, die Anwesenden zu belehren, wie sie ohne eigene Lateinkenntnisse ihren Kindern beistehen könnten, war es neun Uhr. Eine Stunde später war er mit seiner Verliebtheit in Latein richtig in Fahrt und redete den Müttern und Vätern im Saal Blumenkohl an die Ohren. Niemand stellte eine Frage, niemand machte einen Mucks. Dieses mickrige Männchen, das vor ihnen stand, war eine Instanz, denn es hatte Latein drauf, genau gesagt: Das große Latinum. Da wurde Respekt ohne weitere Prüfung gezollt, wie man es auch bei einem Weißkittel mit Stethoskop tat.

Um halbelf stand ich auf. "Ich kann hier nicht die Nacht verbringen. Ich muss um fünf Uhr aufstehen, um pünktlich zur Arbeit zu sein. Es gehört mehr als Latein dazu, für ein Kind zu sorgen."

Alle Augen ruhten auf mir, als ich den Saal verließ.

Später, zurück in Hessen, lernte mein Sohn das kleine Latinum. Es fiel ihm leicht. "Das ist wie Mathematik, Mutter. Kennst du die Formeln, kommst du zurecht." Sein Problem war Englisch. "Da gibt es nichts, woran man sich halten kann. Das kapiere ich nie. Vor allem nicht die Umschreibungen mit 'to do', wenn die eine Frage stellen. Und überhaupt die Satzstellung."

"Übungssache", erwiderte ich. "Früher war die Satzstellung im Englischen wie bei uns im Deutschen, da hieß es "said he". Aber vor etwa einhundert Jahren änderte sich das, und seitdem heißt es "he said". Weshalb, weiß ich nicht."

Mittlerweile spricht mein Sohn verhandlungssicher Englisch, und was er sonst von der Welt wissen will, leitetet er von Latein ab. Latein ist ein sicheres Surfbrett.

[jokal]

Geschichten, die das Leben schreibt. Seine einschlägigen Themen allzu wichtig nehmen, tendieren oft ins Lächerliche und werden nur von Leuten aufgesaugt, die sich oft nicht trauen die Wahrheit zu sagen.
Worauf es ankommt hat, hast du ja erlebt. Junge Leute machen ihren Weg, auch wenn es oft anders scheint. Möchte gar nicht wissen, was selbst ernannte Götter im Leben oft wirklich drauf haben.