Jugendschwärmerei

[Ilka-Maria]

Cornelia hatte ihr Schulheft mit Bildern von Jean Marais vollgeklebt. Stolz zeigte sie es Katrin, ihrer besten Freundin, mit der sie die Schulbank teilte. "Der spielte den Grafen von Monte Christo. Einfach himmlisch!" Katrin stimmte zu. "So muss der Mann aussehen, den ich heiraten will."

"Geiler Typ", mischte sich Marietta ein, die den beiden über die Schulter geguckt hatte. "Aber für die Damenwelt verloren. Der ist nämlich schwul."

Erbost schlug Cornelia das Heft zu. "Du spinnst ja!"

Doch Marietta, zweimal sitzengeblieben und ihren Klassenkameradinnen an Alter voraus, kicherte nur. "Ihr dummen Küken. Der Jean lutscht einem anderen Jean die Stange. Das pfeifen die Spatzen von den Dächern."

Da war Cornelia nicht mehr zu halten. "Du widerliches Aas!", schrie sie und schlug Marietta die Brille aus dem Gesicht, worauf diese in der Absicht, zurückzuschlagen, mit beiden Händen halbblind die Luft verwirbelte.

"Was ist hier los?", fragte Frau Spiller, als sie das Klassenzimmer betrat und Mariettas Brille unter ihren Schuhsolen zerknirschte. Sie hob das Gestell auf. "Wem gehört es?" Marietta hob den Finger und nahm das Brillengestell entgegen. "Du sitzt jetzt vorne, bis die Sache repariert ist."

"Wen meinte sie mit dem anderen Jean?", fragte Cornelia, während Frau Spiller das Sozialverhalten der Bienen erklärte. Katrin zuckte die Schultern. "Keine Ahnung."

Cornelia klebte noch zwei Jahre weiter Zeitungsausschnitte über Jean Marais ein, ehe sie einen Jungen traf, der ihrem Idol ähnlich sah. Aber zu ihrer Enttäuschung sagte er: "Du bist hübsch und nett, aber mit Höhlenforschung hab ich's nicht. Sie macht mir angst. Ich stehe auf Männer. Die zeigen draußen, was sie haben."

Jahre später las Cornelia einen Nachruf auf Jean Marais. Den Beitrag schmückte ein Bild seines Lebensgefährten Jean Cocteau, eines hässlichen alten Mannes. "Hatte der ein Glück", seufzte Cornelia, schnitt den Artikel aus und klebte ihn auf die letzte Seite ihres Hefts, ehe sie es in die Flammen des Kamins warf.