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Zeitgeschehen und Gesellschaft Gedichte über aktuelle Ereignisse und über die Menschen dieser Welt.

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Alt 15.04.2018, 20:05   #1
weiblich Schreibfan
 
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Standard Welch schöne Stadt

Chicago ist mir zu gefährlich.
Berlin ist mir viel zu verdreckt.
In Washington ist man nicht ehrlich.
In London hats mir nicht geschmeckt.

In Kairo ist man mir zu dunkel.
In Oslo ist man mir zu hell.
In Rio bekomm ich Furunkel.
In Moskau verschwindet man schnell.

Drum bin ich heut losgefahren.
In diese klein-feine Stadt
Die sich seit rund 100 Jahren
Fast gar nicht verändert hat.

In diesem so hübschen Städchen
Da backt noch der Bäcker das Brot.
Da heiratet Hans noch das Gretchen
Da hört man aufs 6. Gebot.

So sauber die Promenaden
Die Bürger: gepflegt.Und auch leis
Der alten Häuser Fassaden
Erstrahlen in frischem weiß.

Nun –schaute man richtig gründlich..
...doch wer schaut schon ganz genau hin?
Man sähe noch braun unterm Anstrich
Des schönen Braunau am Inn

Copyright: Hannah May 15.04.18

Geändert von Schreibfan (16.04.2018 um 01:34 Uhr)
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Alt 15.04.2018, 23:25   #2
gummibaum
 
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Hallo Schreibfan,

schöne Idee und vielleicht richtige Beobachtung. Ist es so, dass Hitlers Geburtsstadt die braune Vergangenheit unter dem weißen Anstrich treu bewahrt?
Ich war noch nicht dort.

Gern gelesen
LG g
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Alt 16.04.2018, 01:41   #3
weiblich Schreibfan
 
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Lieber Gummibaum,
ich freue mich über deine Rückmeldung. Ich war auch noch nicht selbst da, aber da ich mich fürs dritte Reich interessiere , habe ich mich in dem Zuge auch damit beschäftigt, wie Österreich mit der Vergangenheitsbewaeltigung umgeht. Nämlich so gut wie gar nicht. Braunau hat Hitler erst 2011 die Ehrenbürger Würde offiziell aberkannt. An der Macht ist, soweit ich weiß, das Äquivalent zur CDU und den Photos nach zu urteilen gibt sich Braunau Mühe, wie ein kuscheliges Mittelalter Städtchen zu wirken.
Gruß Schreibfan
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Alt 16.04.2018, 04:56   #4
weiblich Unar die Weise
 
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Standard Guten Morgen Liebe Hannah.

Im Zuge meiner Unkenntnis, über den Geburtsort Hitlers, hielt ich den braunen Fassadenunteranstrich in Braunau für ein gelungenes Wortspiel.
So. Nun hab ich wieder was gelernt.

Gruß in den Tag
Unar
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Alt 16.04.2018, 08:42   #5
weiblich Schreibfan
 
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Liebe Unar!
Auch dir sei für deine Rückmeldung gedankt .Dieses Wortspiel mit "braun" und "Braunau" finde ich auch extrem gelungen, der Urheber bin allerdings nicht ich, sondern ist das Leben
Gruß Schreibfan
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Alt 16.04.2018, 17:02   #6
weiblich C.Alvarez
 
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Zitat:
Zitat von Schreibfan Beitrag anzeigen
Ich war auch noch nicht selbst da
Hallo Schreibfan,

irgendwie liegt mir das Wort auf der Zunge, aber es fällt mir einfach nicht ein.
Wie nennt man das, wenn Menschen über einen Ort ablästern, den sie noch nie gesehen haben? Wenn Menschen Bewohnern eines Ortes eine "braune" Gesinnung unterstellen ohne jemals einen von ihnen kennengelernt zu haben?
Das Wort fällt mir nicht ein, auch nicht, warum Menschen sowas machen.
Ach ja, "dichterische Freiheit" - gerade fiel es mir wieder ein.

Victim
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Alt 17.04.2018, 17:38   #7
männlich Heinz
 
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Hallo victim of the night,
das könnte zu einer "Einerseits - andererseits-Debatte" werden.
Einerseits hast Du Recht: Den Braunauern eine mit dünner Tünche zugekleisterte braune Gesinnung zu unterstellen, ohne sich vor Ort kundig gemacht zu haben, kann man nicht durch mangelhafte Vergangenheitsbewältigung der Österreicher entschuldigen.
Andererseits: Wie schreibe ich ein Gedicht über Mörder, ohne jemals selbst einer gewesen zu sein.
Zum Dritten: Natürlich verführt der Name der Geburtsstadt des Gröfaz zu solchen Wortspielereien, vor allem auch dann, wenn die Braunauer den Adolf erst so spät aus der Ehrenbürgerschaft geschmissen haben.
Hoffentlich bleibt Braunlage (im Harz) verschont!
Gruß,
Heinz
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Alt 17.04.2018, 18:17   #8
weiblich Ilka-Maria
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Braunau hieß in alter Zeit Prounow und hat höchstwahrscheinlich nichts mit der Farbe braun zu tun, denn das alte deutsche Wort dafür ist bruun. Auch scheint der Name Prounow auf ein österreichisches Adelsgeschlecht zu verweisen.

Eigentlich genügt es doch vollauf, dass niemand mehr sich traut, braun seine Lieblingsfarbe zu nennen (obwohl sie Ende der 70er Jahre zur Modefarbe deklariert wurde - für den Sommer, nicht für den Herbst!), niemand mehr sein Kind auf den Namen Adolf taufen lässt und wer ihn noch trägt, verschämt auf "Adi" als Rufname besteht, und es eine Peinlichkeit darstellt, am gleichen Tag wie Hitler Geburtstag zu haben oder mit der Eigenart geboren worden zu sein, das "R" besonders stark zu rollen. Man kann eben alles übertreiben.

Die Braunauer sind mit Sicherheit nicht sonderlich glücklich, einen solchen "Sohn" im Geburtenregister ihrer Stadt zu haben. Ihnen die automatisierte Nachfolge Hitlers auf die Wande zu tünchen ist ziemlich heftig. Das lässt sich auch nicht durch die - ebenfalls fragwürdigen - Charakteristika einiger Weltstädte wie Berlin (dreckig), Chicago (gefährlich), Washington (verlogen) und London (schlechte Küche) relativieren, Städte, die ich aus eigener Anschauung kenne. Berlin hat Kultur und Geschichte, Chicago seine Architektur, Washington die (kostenlosen!) Museen und Memorials, London seine Pubs mit den süffigen Bieren und seinen individuellen Ambienten (schon mal im "Albert" ein Pint gezischt?).

Für mich ist das Gedicht am Ziel vorbeigeschossen.
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Alt 17.04.2018, 19:54   #9
männlich Ex-Larkin
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Sogenannte "Vergangenheitsbewältigung" besteht ganz gewiss nicht darin, dass man Bagatellen zum Anlass nimmt, die Klischees, die auf dämlichen Animositäten erwuchsen, wieder aufzuwärmen...

Zitat:
[...]habe ich mich in dem Zuge auch damit beschäftigt, wie Österreich mit der Vergangenheitsbewaeltigung umgeht. Nämlich so gut wie gar nicht. Braunau hat Hitler erst 2011 die Ehrenbürger Würde offiziell aberkannt
Diese "Beschäftigung" kann nicht sonderlich tiefgreifend gewesen sein - du willst doch nicht allen ernstes den Stand geschichtlicher Forschung und die politischen Ansichten einer städtischen Gesellschaft an dem Schall und Rauch einer "Ehrenbürgerschaft" festmachen?! Dann könnte ich, als halber Österreicher, der ich nun einmal bin, ebenso behaupten, dass ihr Piefkes noch immer von einem Großreich träumt - woher ich das weiß? Der Ariernachweis ist nach wie vor als Beleg der Staatsangehörigkeit in Deutschland akzeptiert.

Ich könnte nun mit sämtlichen Plattitüden aufwarten, die Österreicher für ebendiese Situationen besitzen - und man würde mir antworten mit: deutschen Plattitüden. (Da ich einen deutschen Vater und eine österreichische Mutter habe, kann ich mir so mit sinnlosen Zwiegesprächen die Zeit vertreiben...) Und da will man dann mit der eigenen "Aufklärung" auftrumpfen? Das soll Vergangenheitsbewältigung sein?!

Es wäre freilich leichter, wenn alle Welt nur aus Phrasen bestehen würde...

Und eine Stadtverwaltung wird oder sollte Wichtigeres zu tun haben, als einer Stadt zu helfen, sich in eine bestimmte Richtung selbst zu profilieren...

Ich gebe freimütig zu, dass ich mich nun selbst über eine Bagatelle aufrege - und für gewöhnlich zeitigen Erwiderungen auf Bagatellen nur ... Bagatellen. Aber ich habe ein Alibi ... meine Familie kommt mütterlicherseits aus Braunau. Und wir sind gewiss keine verkappten Nationalsozialisten.

Wenn man sich die Mühe machen würde, Braunau zu besuchen und die Geschichte dieser Stadt etwas zu studieren, dann würde einem schnell der Mahnstein vor Hitlers Geburtshaus auffallen, der auf Veranlassung des damaligen Bürgermeisters der Stadt dort aufgestellt wurde - er besteht aus einem Stück Mauer des Konzentrationslagers Mauthausen und trägt eine Inschrift, die man innerhalb von einer halben Minute im Internet finden kann. Daneben gibt es auch noch einen gewissen Egon Ranshofen-Wertheimer, Emigrant und Berater der US-Regierung während des Zweiten Weltkrieges, ebenfalls ein gebürtiger Braunauer - nach ihm ist ein Preis benannt, der an Personen, die sich für die Republik Österreich im Ausland verdient gemacht haben. Und Braunau müht sich auch nicht, "[...]wie ein kuscheliges Mittelalter Städtchen zu wirken", es handelt sich um eine mittelalterliche Stadt; die Stadtpfarrkirche wurde, so, wie sie heute noch steht (von einigen barocken Zusätzen aus dem 18. Jahrhundert abgesehen), im 15. Jahrhundert errichtet. Die Pfarrkirche Braunau-Ranshofen ist noch wesentlich älter (12. Jahrhundert). Stadttor und die Festungsmauern gehören neben vielen anderen Gebäuden der Stadt zu den Sehenswürdigkeiten - man gibt sich in Österreich (vielleicht sind dies noch Spuren des italienischen Einflusses) einige Mühe, die historischen Stätten im Lande so gut als möglich zu erhalten.

Österreich hat seine Probleme, wie Deutschland und jedes andere Land auch - aber diese Klischeefeindschaft muss sich keine Nation gefallen lassen. Franzosen müssen sich das Klischee einer angeblichen "Feigheit" gewiss nicht gefallen lassen, Engländer nicht den Vorwurf der Überheblichkeit, Bayern und Österreicher sind keine Nationalsozialisten, Ostdeutsche keine faulen Säcke und die Iren sind kein Volk der Alkoholiker - eigentlich sollte einem das Studium der Geschichte v.a. eines lehren: alle Nationen haben große Männer und Kulturen hervorgebracht, Völker sind nicht durch ein paar Begriffe oder Vorurteile zu beschreiben...
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Alt 17.04.2018, 20:00   #10
weiblich Schreibfan
 
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Hallo, alle. Ich finde es wirklich interessant, wie ihr mein Gedicht inzterpretiert. Auf einiges wäre ich gar nicht gekommen, dass mna es auch so lesen kann. Der Reihe nach:

Victim:

Interessant, dass du mein Gedicht als lästern empfindest. In der Tat habe ich mir überlet, ob ich es posten soll, ob es zu gemein ist. Andererseits ist Satire halt nicht immer kuschelig, besonders wenn man auf bestimmte Themen unter der Oberfläche aufmerksam machen will. Spannende Frage auch ob man nur über das schreiben darf, was man kennt. Das würde die Themen ziemlich einschränken. Hier im Forum kenne ich kaum jemanden perönlich. Heißt es dann, dass ich deshalb die Texte hier nicht kritisieren darf, welche die mir unbekannten Personen aber für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht haben. Ich nehme mir die Freiheit heraus, diese Texte zu kommentieren. und ich nehme mir die Freiheit heraus, mir Gedanken über Informationen zu Orten zu machen:
Wenn ich die im Internet vorhandenen Photos von Braunau am Inn ansehe bekomme ich den Eindruck, den ich von vielen österreichischen und auch bayrischen Städten habe (und ja - ich war wirklich oft in Bayern und Österreich, wenn auch nicht explizit in Braunau): Tradition und mittelalterliche Idylle. Das ist grundsätzlich völlig ok, deshalb reisen viele (und auch ich) gerne in solche Orte - um einmal Abstand von der schnellebigen Zeit zu bekommen. Allerdings: Im Rahmen dieser Tradition ist aber auch zumindest vor vielen vielen Jahren ein Junge geboren und groß worden, der denn zu einem der gruseligsten Diktatoren ever wurde. Man darf sich dann schon die Frage stellen, ob da nicht was schiefgelaufen ist. Man darf sich auch fragen warum. Und man darf sich auch Fragen, warum grade Braunau heutzutage immer noch auf die Ausstrahlung "Tradition" und nicht z.B. auf "Moderne" setzt. Ich habe darauf nicht die Antwort. Ich habe nur die Frage.
Im übrigen werde ich mich auch noch mehr mit Linz beschäftigen, die Stadt, in der Hitler denn größten Teil seiner Kindheit/jugend verbracht hat
Und zum Thema "braun": Braun ist zunächst einmal eine Farbe. Braun ist auch eine Gesinnung. Eventuell die eigene, eventuell die eines anderen, die dann Probleme macht. bezogen auf die Gesinnung kann eine Stadt auch ein Problem haben, wenn es sich nicht primär um die eigenen BewohnerInnen handelt. Ein diesbezügliches Problem kann man auch haben, wenn man schlicht in der Vergangenheitsbewältigung etwas träge ist.
In Braunau gibt es einige (so wie ich es gelesen habe privat organisierte) Bündnisse gegen rechts. Prima! Aber: Die Stadtverwaltung unternimmt wohl relativ wenig in dieser Hinsicht (siehe: http://braunau-history.at/w/index.ph...u_1945_-_1995; http://braunau-history.at/w/images/a...it_Forster.pdf).
Es wurde beispielsweise , wie bereits geschrieben, Hitler die Ehrenbürgerwürde erst 2011 aberkannt. Sein Geburtshaus steht seit Jahren leer, es ist aber leider zur "Pilgerstädte" von Neonazis geworden. 2015 wurde es nun zum Abriss freigegeben. Warum erst dann? Und wieso muss es unbedingt abgerissen werden? Seit Jahren wurde von besaten Bündnissen vorgeschlagen, ein "Haus der Verantwortung", also ein Museum draus zu machen. Finanzierung bewilligt, doch nichts kam in die Gänge. Warum? Als Stadt hilft es halt nicht "nur neu zu streichen". Man muss auch etwas "aufräumen" und "grundieren". Und da wundert mich die (von Braunauern selbst beshriebene Passivität) der Stadt.

Heinz:

Danke dir auch für deinen Kommentar. Zum Thema "braune Gesinnung" siehe mein Kommentar an Victim. Für das Wortspiel kan ich nix, das hat das leben geschrieben. Es liegt mir fern, Städten, nur weil sie den Namen "braun" in sich tragen, mehr braune Gesinnung/Vergangenheit zuzuschreiben, als sie verdienen.

Ilka:

Danke fürs Kommentieren. Allerdings hat mich dein Kommentar verwundert. Wie kommst du darauf, das Schreibfan = Lyrisches Ich ist? Wenn das immer so wäre, hätte (der von mir sehr gechätzte) Georg kreisler ein dickes Problem. Dann wäre er ein Frauenmörder, ein Tscheche und ein Wiener, der sich nicht der Vergangenheit stellen will gewesen. Er war aber nun mal Jude, Wahlamerikaner und soweit ich weiß nicht vorbestraft...
Es gibt viele Leutchen, die Großstädte aufgrund von (oftmahls ja auch nicht ganz unwahren) Klischees vorverurteilen und die Erfüllung aller Sehnsüchte per se im Ländlichen sehen. Ob das Ländliche allerdings stets liebe und glückliche Menchen hervor bringt, zweifle ich an (siehe Gedicht).

Gruß, Schreibfan
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Alt 17.04.2018, 20:16   #11
männlich Ex-Larkin
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Zitat:
Zitat von Schreibfan Beitrag anzeigen
Wenn ich die im Internet vorhandenen Photos von Braunau am Inn ansehe bekomme ich den Eindruck, den ich von vielen österreichischen und auch bayrischen Städten habe (und ja - ich war wirklich oft in Bayern und Österreich, wenn auch nicht explizit in Braunau): Tradition und mittelalterliche Idylle. Das ist grundsätzlich völlig ok, deshalb reisen viele (und auch ich) gerne in solche Orte - um einmal Abstand von der schnellebigen Zeit zu bekommen. Allerdings: Im Rahmen dieser Tradition ist aber auch zumindest vor vielen vielen Jahren ein Junge geboren und groß worden, der denn zu einem der gruseligsten Diktatoren ever wurde. Man darf sich dann schon die Frage stellen, ob da nicht was schiefgelaufen ist. Man darf sich auch fragen warum. Und man darf sich auch Fragen, warum grade Braunau heutzutage immer noch auf die Ausstrahlung "Tradition" und nicht z.B. auf "Moderne" setzt. Ich habe darauf nicht die Antwort. Ich habe nur die Frage.
Was ist "modern"? Und warum sollte eine Stadt, deren Gebäude über Jahrhunderte hinweg an Ort und Stelle standen und einige Geschichte besitzen und weitergeben können, dieses Erbe im Sinne eines ästhetischen Verständnisses unserer Epoche - ein Verständnis, welches sich so schnell ändern kann wie alle kulturellen Empfindungen -, die eigene Geschichte und das Erbe vernachlässigen? Wie "setzt" man als Stadt auf Moderne? - wie Ostberlin, dass den Abriss des Stadtschlosses nebst einiger anderer Gebäude hinnahm? Indem man neben Fachwerkhäuschen Wolkenkratzer stellt? (Die Internetverbindung ist in Braunau übrigens besser als in Ostdeutschland...Ich weiß es, denn ich lebe in letzterem und habe ersteres schon oft genug besucht.) Sollen die alten Gebäude samt und sonders abgerissen werden, damit man sich möglichst weit von einem der "gruseligsten Diktatoren ever" distanziert. "Ey, voll gruselig dieser Hitler, der Gruseligste ever - mach ma jetzt modern!"

Ich kontere: Berlin hat ungefähr den Kurs beschritten, den du ganz offensichtlich für Braunau vorschlägst - das kann man aber freilich nur sagen, nachdem du uns erklärt hast, was "modern" ist. Und Berlin hat dieser Kurs, Einkaufszentren und überteuerte Luxushotels zu errichten (u.a. direkt neben der Kurfürstenstraße, einem nicht ganz ungefährlichen Eckchen...) und die großen Konzerne durch Steuer- und Mieterleichterungen anzulocken, nicht gut getan. Die Preise und Mieten treiben dadurch in die Höhe und das zerstört alle Szene und Kultur, die diese Stadt einmal besessen haben mag. München ist diesen Weg, den Fokus fast mit Ausschließlichkeit auf Tourismus und Merkantilismus zu legen, gegangen und die Innenstadt ist heute nach Ladenschluss praktisch tot und die Abwanderung der Bevölkerung hält an. Ist das der Preis der "Moderne"?

Ich habe da auch nur die Frage: Macht man sich hier nicht über absolute Nichtigkeiten Gedanken und deduziert daraus den Schluss, dass im bayerischen und österreichischen Lande "zu viele" Traditionalisten leben?! Machen wir uns hier nicht ein Problem, welches so eigentlich gar nicht existiert?

Das stinkt nach kultureller Gleichschaltung - und daran reibe ich mich, aber ordentlich!

Zitat:
Zitat von Schreibfan Beitrag anzeigen
2015 wurde es nun zum Abriss freigegeben. Warum erst dann? Und wieso muss es unbedingt abgerissen werden? Seit Jahren wurde von besaten Bündnissen vorgeschlagen, ein "Haus der Verantwortung", also ein Museum draus zu machen. Finanzierung bewilligt, doch nichts kam in die Gänge. Warum? Als Stadt hilft es halt nicht "nur neu zu streichen". Man muss auch etwas "aufräumen" und "grundieren". Und da wundert mich die (von Braunauern selbst beshriebene Passivität) der Stadt.
Du bist falsch informiert - der Abriss wurde nicht beschlossen, der österreichische Innenminister Wolfgang Sobotka hat im Oktober 2016 behauptet, dass das Haus abgerissen werden soll und sich dabei auf Dokumente berufen, deren Aussteller - wie z.B. die Historikerkommission und das Landesarchiv Oberösterreich - einen Abriss nie empfohlen hatten. Was mit dem Haus genau geschehen soll - es befindet sich derzeit im Besitz des Staates Österreich nach einer Enteignung -, ist festgelegt als "Antithese zum Nationalsozialismus"; man richtet eine sozial-karitative Stelle ein mit dem Schwerpunkt auf Behindertenbetreuung ein.

Nachtrag: https://diepresse.com/home/politik/i...-ist-vom-Tisch

Zitat:
Zitat von Schreibfan Beitrag anzeigen
Es gibt viele Leutchen, die Großstädte aufgrund von (oftmahls ja auch nicht ganz unwahren) Klischees vorverurteilen und die Erfüllung aller Sehnsüchte per se im Ländlichen sehen. Ob das Ländliche allerdings stets liebe und glückliche Menchen hervor bringt, zweifle ich an (siehe Gedicht).
Dein Gedicht zweifelt allerdings nicht und deshalb muss dich Ilkas Kommentar auch nicht verwundern - abgesehen davon, dass das Klischee des glücklichen Landlebens in deinem Gedicht überhaupt nicht auftaucht, ihrer statt findet man nur die üblichen Seitenhiebe gegen einige andere Metropolen, wird mit keinem Worte ein Zweifel zutage gefördert. Man findet nur, dass ausgerechnet Braunau eine "braune Stadt" ist, ganz gleich, wie schön die Umgebung sonst sein mag. Das provoziert, hat aber mit einem angeblichen Zweifel nichts zu tun.

In summa: Du möchtest gegen Vorverurteilungen Stellung nehmen? Dein Gedicht nimmt jedenfalls gegen Vorverurteilungen mit Vorverurteilungen Stellung - wer ist in einem solchen Falle in größerem Unrecht?

Geändert von Ex-Larkin (17.04.2018 um 20:46 Uhr) Grund: Nachtrag
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Alt 17.04.2018, 21:10   #12
weiblich Ilka-Maria
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Zitat:
Zitat von Schreibfan Beitrag anzeigen

Ilka:
...
Wie kommst du darauf, das Schreibfan = Lyrisches Ich ist?
Ganz einfach: Es ist aus der Ich-Perspektive geschrieben und von dir namentlich unterschrieben, also autorisiert worden. Also musste ich das Gedicht als deine ureigene Meinung annehmen.
Ilka-Maria ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 19.04.2018, 08:55   #13
weiblich C.Alvarez
 
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Zitat:
Zitat von Heinz Beitrag anzeigen
Andererseits: Wie schreibe ich ein Gedicht über Mörder, ohne jemals selbst einer gewesen zu sein.
Natürlich, Heinz, muss man kein Pinguin sein um ein Gedicht über einen Kühlschrank zu schreiben. Das hat aber nun mal gar nichts mit der von mir angesprochenen Art zu tun, den ganzen Bewohnern eines Ortes eine nationalzozialistische Gesinnung zu unterstellen, ohne dies auch nur im Ansatz belegen zu können, oder gar auch nur einen einzigen Bewohner dieses Ortes zu kennen.
Ich würde gerne mal wissen, wie die Reaktion hier wäre, wenn ich in einem Gedicht alle Flüchtlinge in D als gewalttätige Vergewaltiger, Messerstecher usw. hinstellen würde.
Deshalb geht dein Satz, Heinz, völlig am Thema meiner Kritik vorbei.
C.Alvarez ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 19.04.2018, 17:38   #14
männlich Heinz
 
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Hallo victim of the night,
entspann Dich. Ich habe sehr deutlich geschrieben: "Einerseits hast Du Recht: Den Braunauern eine mit dünner Tünche zugekleisterte braune Gesinnung zu unterstellen, ohne sich vor Ort kundig gemacht zu haben, kann man nicht durch mangelhafte Vergangenheitsbewältigung der Österreicher entschuldigen."
Da sagen wir beide doch dasselbe, nur mit anderen Worten.
Gerade bei so empfindlichen Themen erwarte ich keine Polemik und Pauschalisierungen. Dass Hiltlers Geburtshaus zur Pilgerstätte für Ewigbraune geworden ist, kann man den Braunauern nun wirklich nicht anlasten.
Gruß,
Heinz
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Alt 20.04.2018, 23:36   #15
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Hallo miteinander,

mit dünner Tünche etwas zu zukleistern, wäre ein Meisterwerk, es reichte wohl zum übertünchen, Maler Hitler hätte das gewußt.

Ansonsten schaue jedermann
sein Städtchern gerne darauf an,

welches Scheusal einst dort lebte;
und findet er auch keins,

so suche er im Blick zurück
woher so manche Namen
für Plätze oder Straßen kamen.

Mainz bleibt Mainz
und Braunau seins,
beides nicht meins.

Egal Karl, Prost Karl Soest.

LG, th
talking head ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 21.04.2018, 21:17   #16
weiblich Schreibfan
 
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Liebe Alle:
Mal kurz als Info: Ich versteck mich nicht feige vor dem Shitstorm hier, sondern: Sehr sporadisch vorhandenes Internet und meine 50- 70 Stunden Woche machen es mir schwer, so ausführlich zu antworten wie ich es möchte. Werde ich aber, sobald mir wieder mehr zu Verfügung steht als der Mini Display meines Smartphones.
Eins sei schon mal verraten: ich habe es geschafft ne Diskussion auszulösen und das finde ich garnicht mal schlecht!
Gruß Schreibfan
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