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Lebensalltag, Natur und Universum Gedichte über den Lebensalltag, Universum, Pflanzen, Tiere und Jahreszeiten.

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Alt 15.01.2011, 00:19   #1
männlich Heinz
 
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Ort: Reimershagen in Mecklenburg-Vorpommern, Nähe Güstrow
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Standard Spuren

(am Ende des Gedichts sind einige Erläuterungen der fachbegriffe)




Mit dem Hobel, der an gespannt vibrierender Kette
Kohle zahnt, im Streb um die Wette
kriechend, verbissen des Pickhammers Spitze
ins Hangende treibend, wegen der Hitze
fluchend und schwitzend im Lampenlicht
malochend: Zuckerschlecken ists wahrlich nicht.

Lichtsignal: Halt!, der Panzer ruckt,
steht still, Futtsack! Es zuckt
flackernd die Lampe mehrmals Befehle.
Vorbei hetzt der Steiger, aus heisrer Kehle
brüllend, wutverzerrt die Miene,
ansonsten: Pause im Flöz Karoline.

Zeit für `ne Prise,
ich schnupfe, niese
die Nase staubfrei.
Blick auf die Uhr:
Zwanzig nach drei;
eine halbe Stunde nur
erst vorbei.
Noch fünfe rabotti,
dann ist auch sie
geschafft,
die Schicht.
Klamotten zusammengerafft,
Glück Auf! `nauf zum Licht.

Immer noch Futtsack, weiter oben Rumoren,
von unten, vor Ort, des Bohrhammers lärmendes Bohren.
Ich atme jetzt ruhiger, erblicke,
von Kohlengrus ganz eingestaubt,
am Liegenden Tonschieferstücke.
Hab eines davon aufgeklaubt,
vom Staube befreit: Mit neuer Verwunderung
seh ich millionenjahralte Musterung.

Im sumpfigen Grunde die Wurzeln verkrallt
grünten einst Bäume, strebten zum Licht,
windgefächelt, regentrinkend,
wuchsen schnell und wurden alt.
Entwurzelt und fallend versinkend
starben sie. Für immer? Ich glaub es nicht.
Alles ertrank, erstickte, moderte, verkohlte,
jahrtausendalter Wald, von Schlamm und Sand
bedeckt - wer weiß noch, wo er stand -
bevor steinerne Siegel nach Übertag ich holte.

Gepresst, gefaltet, verworfen, zu Kohle versteinten
die Wälder, da Wärme der Sonne und irdische Kraft
im dauernden Wechsel zu einem Werk sich vereinten.
Ein ewiges Gesetz, ständig gebärend-verderbend, schafft
unentwegt, keins der Werke geht gänzlich verloren.
So wurden dem Bunde der Sonne und Erde
nach uraltem Gottwort: Es werde!,
aus fruchtbarsten Schoß Schwarze Diamanten geboren

Im Streb beginnen
die Lampen Signal
zu flackern.
Zuende das Sinnen,
Licht zuckt zweimal:
Weiter ackern!

Mit Muskelkraft und neuem Eisens Spitze
wird weitermalocht trotz Staub und Hitze.
Nicht mehr denken an Sonne und Licht:
Kohle muss kommen! - bis zum Ende der Schicht.

Nur ein Gedanke blieb zurück:
Es wäre doch ein großes Glück,
wenn unsre Taten, unser Sein,
prägend drückte Siegel ein
in eine Seele nur, - ihr Götter!,
wie Schachtelhalm und Bärlapps Blätter
unvergänglich Zeugnis geben
von ihrem längst verloschnen Leben,
wär mir die Ewigkeit gewonnen,
erreicht die Sterne, die Sonnen,
zu denen stolpernd ich strebe
solang ich liebe, solang ich lebe.


Begriffserläuterungen
Hobel = Kohleabbaugerät
Streb = Ort der Kohlegewinnung
Hangende = bergmännisch oben (die Decke sozusagen)
Liegende = unten (der Boden)
Panzer = stählernes Fördermittel
Futtsack = Panne, Betriebsstörung
Flöz = Kohlelagerstätte
Karoline = Die Flöze bekommen zwecks Unterscheidung Namen
vor Ort = Vorderste Arbeitsstelle im "Stollen", egtl. "Strecke"
Schwarze Diamanten = Steinkohle
Lampensignale = Verständigungsmittel (1 x Halt, 2 x vorwärts, 3 x r.)
Schachtelhalm; Bärlapp = Baumarten vor 80 bis 300 Mill. Jahren (Karbonzeit)
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Alt 15.01.2011, 12:18   #2
weiblich Ex-phönixe
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Beiträge: 401

Hallo Heinz,
vorab- der Inhalt findet meinen vollen Zuspruch- dafür Daumen hoch,

jetzt zu meinen Kritikpunkten

ab der Textstelle

Zeit für ne Prise- bis
bevor steinerne Siegel nach Übertag ich holte (grausammes Deutsch)

finde ich fast alles mit in Reimen gepresstes, als Gerüst der Pflicht auch völlig in Ordnung-
aber...was ich ab Zeit für ne Prise...angedacht sehen würde wollen, wäre ohne Reime- frei geschrieben- weil es unter Tage, der gedankliche Abschnitt war, der ohne Zwang von allein kam

und alles was mit der aktiven Arbeit unmittelbar zusammengebracht werden kann- natürlich in metrischen Vorgaben pressen.


lg phönixe
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Alt 15.01.2011, 12:56   #3
männlich Heinz
 
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Liebe Phönixe,
ein bisschen Daumen hoch, das ist ja auch schon mal was, vor allem, wenn er von einem/einer offenbar Sachkundigen hochgestreckt wird. Dafür danke!
Kritik ist mir immer willkommen. Jetzt kommt aber mein aber: Das Ding ist schon so alt, das es schon reichlich Kohlenstaub angesetzt hat. Das grausame Deutsch - ui, da hast Du recht. Ich kritisiere ja selbst allzu gern Inversionen und schreib dann auch noch selbst welche. Also, an die geh ich auf jeden Fall nochmal ran.
Danke für den Kommentar, danke auch für die berechtigte Kritik. Ich halte mich ein bisschen am hochgestreckten Daumen für den gelungenen Teil fest.
Liebe Grüße,
Heinz
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Alt 15.01.2011, 15:47   #4
Thing
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Halli Hallo, Heinz -

ich habe das mit sehr viel "Mitkennen gelesen".
Außer Futtsack war mir alles geläufig. Da gibt es wohl regionale Unterschiede.
Es wurde hier bei uns aber nicht nur geprist, es wurde auch viel gepriemt und ausgespuckt (ebenfalls zum Reinhalten der Atemwege). Daher viele schwarz verfärbte Zähne bei den Bergleuten/Bergmännern.
Auch waren die Steiger nicht durch die Bank Sklaventreiber.

Ändern würde ich lediglich "'nauf zum Licht'" in
"Rauf ans Licht!".

Ansonsten:
Gut getroffen,obwohl nicht nur gute Erinnerungen weckend (es gab auch Schlagwetter, davon weiß ich familiär ein Leid zu singen..).

Eines meiner liebsten Lieder war immer

"Glückauf, Ihr Bergleut jung und alt, Glück auf, Glück, auf Glück auf!".

Mir ins alte Herz geschrieben!



Thing
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Alt 15.01.2011, 16:49   #5
männlich Heinz
 
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Lieber Thing,
Glück auf, ihr Bergleut jung und alt,
seid froh und wohlgemut.
Erhebet eure Stimmen bald,
es wird noch werden gut.
Gott hat uns all'n die Gnad gegeben,
dass wir vom frommen Bergwerk leben;
drum singt mit uns der ganze Hauf:
Glück Auf, Glück auf, Glück auf!

Merkst Du was? Ich war nicht nur Bergmann, sondern auch noch Mitglied eines Knappengesangvereins.
Sprachtechnische Frage: Wenn ich von unten, also der 6oo-Meter-Sohle, nach über Tage will, fahre ich dann nicht doch hinauf?
"Futtsack" ist ganz bestimmt ein regional gebräuchlicher Ausdruck, aber ich kann es beschwören: In den Bergwerken am linken Niederrhein (Steinkohle) ist Futtsack eine Betriebspanne.
Dass Steiger keine Sklaventreiber sind kann ich bestätigen. Ich wollte ja selbst mal einer werden. Junge Steiger unter Erfolgsdruck sind eher Sklaven ihres Jobs.
Liebe Grüße,
Heinz
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Alt 15.01.2011, 17:56   #6
Thing
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Halli Hallo, Heinz -

da mir das Gedicht sehr vielliebgedeutend ward:

Ja - 'nauf ist richtungsmäßig korrekt.
Ich hatte ein bisserl konglomeriert:

Bloß rauf! Bloß ans Licht!


war beim Flackern der Lampen und Funken (Hörensagen, ich selbst war nicht mehr dabei) der wildeste Wunsch der Bergmänner und das

"Zum Förderkorb, zum Förderkorb!".


Mich hat Dein Gedicht sehr aufgewühlt.


Thing
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Alt 15.01.2011, 18:47   #7
männlich Heinz
 
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Lieber Thing,
zur Information: Ich war fast 10 Jahre Bergmann (Berglehrling, Knappe, Hauer, Schießmeister). Ich weiß nicht, wer Dir erzählt hat, dass die Lampen flackerten. Welche Lampen gab es? 1. die Grubenlampe des Kumpels, anfangs waren das schwere Pötte, die an einem Haken getragen wurden. Energie lieferte ein Akku, der nach Schichtende in der "Lampenstube" aufgeladen wurde. Die Dinger haben nie geflackert, wurden bei langer Beanspruchung (Doppelschicht) langsam dunkler. 2. der "Blitzer", wesentlich kleiner und am grubenhelm getragen. Da er einen Refelktor hatte, war das Licht heller. Diese Lampen waren den Steigern vorbehalten. Das Gute an den Blitzern war, dass man als Kumpel den Vorgesetzten schon von weitem sehen konnte. 3. die Wetterlampe (die auf den meisten bildlichen Darstellungen als die Bergmannslampe dargestellt ist). Sie war den "Wetterleuten" und Schießmeistern vorbehalten und diente nicht als Beleuchtung (die Träger der Wetterlampen hatten immer noch eine andere dabei), sondern der Aufsdpürung von "Schlagenden Wettern", bzw. dem Feststellen des Methangasgehaltes in der Umgebungsluft. Luft - bergmännisch "Wetter", deswegen "Wetterleute", also Kontrolleure der Luftverhältnisse. Die Wetterlampen hatten als Leuchtmittel Benzin. Geflackert haben die auch nicht. 4. die elektrische Grubenbeleuchtung. Die "flackerte" nicht, aber sie diente der Übermittlung von Signalen (1 x an-aus = Halt! 2 x an-aus = auf, also vorwärts, 3 x an-aus = hängen, also abwärts/rückwärts).
Der Wunsch der Bergleute zum Schichtende sah ist nicht anders beschaffen als der Wunsch eines Bürohengstes: "Hoffentlich ist bald Schicht (Feierabend). Dieser Wunsch hatte überhaupt nichts mit der Lage des Arbeitsplatzes, 400, 600 oder 1000 Meter "unter Tage" zu tun, sondern mit dem Wunsch, nach Hause zu kommen und das zu tun, was eben so jeder gern tut. Ein weiteres, mir bekanntes Bergmannslied singt genau vom Gegenteil: "Hinab, hinab, die Klopfe (Glocke) ruft: Ihr Bergleut in den Schacht!"
Liebe Grüße,
Heinz
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Alt 15.01.2011, 19:33   #8
Thing
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Halli Hallo, Heinz -

das "Flackern" rührte daher, daß die Batterie in den Lampen (am Helm) aus Gründen der Sparsamkeit (oder Geldnot) nicht genügend geladen war.
Passiert bei Taschenlampen auch mal.

Schlagende Wetter, wie von Dir auch gut erklärt, waren sehr gefürchtet.
Aus persönlicher Erfahrung kenne ich den Bergbau nicht. Also nur mittelbar.
Weiß aber, daß vor allem vor Ort niederbrechendes Kohle-Gestein-Gemenge Schlimmes anrichtete - habe amputierete Arme und Beine gesehen, die Leichen bekam ich nicht zu Gesicht. Oft hielten die Stempel nicht, was (sich) die Bergwerkunternehmer (davon) versprachen.
Das war vor Deiner Zeit.

Der Mensch/Bergmann liebt das Dunkel im Flöz nicht. Es dient dem Broterwerb.
Deswegen "GlückAUF".


Ich wollte überhaupt nicht fachsimpeln! Dafür bin ich nicht prädestiniert.
Vergiß dieserhalb meine Anmerkungen und laß uns bei Deinem eindringlichen Gedicht bleiben!


Thing
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Alt 15.01.2011, 20:58   #9
männlich Heinz
 
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Lieber Thing,
gerne - bleiben wir beim Gedicht. Wenn die Kreatonisten (heißen die so?) in 1000 m Tiefe die geschilderten Abdrücke - meist in Schiefergestein - sehen würden, kämen sie vielleicht auch auf die Idee, dass die Evolutionisten nicht ganz unrecht haben.
Liebe Grüße,
Heinz
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