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Alt 23.02.2006, 22:34   #1
witness
 
Dabei seit: 12/2004
Beiträge: 81


Standard Trauma

Ich horche ganz tief in mich und schaue 16 Jahre meines Lebens zurück.
Der Gedanke daran lässt mir das Blut in meinen Adern gefrieren und Träne für Träne fließen.
Ich erinnere mich noch genau, als wäre es gerade erst wenige Tage her.
Es war wie immer, wie jeden Tag, meine Mutter brachte mich zu meinem Onkel, damit sie sich den Kopf mit Alkohol zusaufen konnte. Mein Onkel war allerdings auch nicht besser, denn er hatte ebenfalls ein Alkoholproblem. Es war logisch, dass meine Mutter mich eher dahin brachte, als mich an einen Ort mitzunehmen, wo sich um diese Zeit viele kaputte Leute trafen, um vor der beschissenen Realität ihres Lebens wegzulaufen.

An jenem Tag hatte ich keine Ahnung, was mit mir passieren würde, als sie mich zu meinem Onkel brachte. Er wohnte nur vier Häuser weiter, mit einer schwarzen Haustüre, schwarz wie die dunkle Seele, die ich hier bekam. Ich ging die Treppen rauf, hatte wie immer meinen weißen Bären in der Hand, den ich überall mit hinnahm.
Da saß er nun, mein Onkel, dieser dicke Mann mit seiner halben Glatze, seinen langen Unterhosen und seinem schmuddeligen Unterhemd.
„Komm her mein Kind.“ und nahm mich in den Arm, wo ich mich noch nicht unwohl fühlte. Ich wusste ja noch nicht, dass ich Ekel und Angst schon bald genau vor diesen Armen bekommen würde.
Meine Mutter ging, ich setzte mich vor den Fernseher und schaute Kinderprogramm.
Es war ein warmer Sommertag. Das warme helle Licht schien durch schmierige Fensterscheiben. Ich erinnere mich, dass mich das Licht oft vom Fernseher ablenkte. Irgendwo auf der Straße klang Kinderlachen, platschen von Wasser und das Zwitschern der Vögel in den Bäumen. Es wäre sicher auch schön gewesen mit den anderen Kindern draußen zu spielen.
Wenig später sagte mein Onkel:
„Setzt dich zu mir. Wir schauen zusammen fern.“ Aus unerfindlichen Gründen befolgte ich seinen Wunsch nur ungern. wollte aber auch nicht unhöfflich sein.
Ich weiß nicht wie viele Minuten schon verstrichen waren, als mich mein Onkel scheinbar ungeschickt mit seinem Bier besudelte. Heute weiß ich, dass es Absicht war.
Er sagte, ich soll meine nassen Sachen ausziehen. Frieren würde ich ja nicht, da es draußen und drinnen warm genug wäre. Ich zog ein weißes T-Shirt an und legte mich auf die alte grüne Couch, mein Onkel seinen Arm um mich.
Er streichelte mich im Gesicht, den Arm entlang runter bis zu den Schenkeln.
„Was machst du da?“
Er tue mir was Gutes, wolle lieb zu mir sein, antwortete mein Onkel.
Er tätschelte meine Beine, und fuhr langsam mit seiner hand meine Beine entlang, über meine Schenkel, und fasste mir dann zwischen meine Beine.
Er steckte seine widerlichen Finger in mich rein.
Ich empfand das als sehr unangenehm und hatte Angst. Ich wusste und verstand nicht, was er da tat, hatte Angst, kannte nicht einmal ein Wort für dieses Ding, dieser verrunzelte Schwanz, mit dem er gewaltsam in mich eindrang, hatte nur Angst.
Ich weinte, weil es so weh tat.
Ich flehte, er solle aufhören.
Ich versuchte mich zu wehren, verspürte immer größere, unbeschreibliche lähmende Angst.
Doch es half nichts.
Ich fing an zu schreien. Er hielt meinen Mund zu und stieß immer fester in mich hinein.
Endlich war er fertig.
Es war soviel Blut aus mir geflossen, das machte mir noch mehr Angst.
„Danke mein Engel, dafür das du mich so glücklich machst.
Ich werde deiner Mutter Geld dafür geben.“
Ich verspürte Ekel, verkroch mich vor Furcht in die dunkelste Zimmerecke und starrte wie leblos auf den Boden. Ich war völlig verstört, mit meinen Gedanken war ich nicht mehr hier. Die Geräusche der Straße waren auf einmal fort, mein Herz raste und schien laut zu dröhnen.
Voller Angst sagte ich nichts mehr, war stumm, wollte dennoch schreien, weinen, einfach weg.
Ich wartete darauf, dass meine Mutter kam.

Endlich war sie da.
Meine Mutter schaute mich an, sagte aber nichts darüber wie ich aussah , bemerkte es nicht einmal. Wir gingen nach Hause, ich war stumm, sagte nichts, aber sie fragte auch nichts.
Dieses Erlebnis wiederholte sich immer und immer und immer wieder.

Eines Tages, wollte mich meine Mutter wieder zu meinem Onkel bringen.
Ich zitterte am ganzen Körper, mein Herz hämmerte so schnell wie noch nie, meine Angst war so groß, ich wollte einfach nicht mehr dorthin zurück. Es war Mittags. Wir machten uns auf den Weg, gingen an den Häusern vorbei und auch an dem Spielplatz. Der Weg dorthin, der eigentlich Sekunden dauert, kam mir vor wie eine Ewigkeit.
Doch plötzlich waren wir auch schon bei meinem Onkel angekommen.
Meine Mutter blieb noch etwas, und unterhielt sich mit meinem Onkel, während ich vor dem Fernseher saß. Nach einer Weile sagte meine Mutter, ich solle mich noch ins Bett legen, mich ein bisschen ausruhen .
Sein Schlafzimmer war so ekelig. Wie eine Hölle mit unangenehmen Geruch.
Bei dem Gedanken daran könnte ich heute noch kotzen.
Ich fragte meine Mutter warum meine Tante mal wieder nicht da war.
„Du weißt doch, sie muss arbeiten.“
Ich ging ins Schlafzimmer, mit meinem Bär in der Hand. Ich hielt ihn ganz fest und glaubte daran, dass er mich beschützen würde. Irgendwann wachte ich auf und konnte nichts sehen. Meine Hände waren an das Bett gebunden. Ich roch den ekelhaften Geruch meines Onkels, den von Bier und seinen ekelhaften Zigaretten. Die Zigaretten waren in einer roten Verpackung mit einer Hand drauf. Diese Verpackung wirkt noch heute wie ein Symbol auf mich, für das was mit mir geschah. Durch dieses Symbol werde ich auch in meinem jetzigen Leben mit diesem Erlebnis konfrontiert.
Der Geruch wurde immer intensiver, bis ich seinen Atem an meinem Körper spürte, und er sich wieder an meinem unschuldigen, kleinen Körper vergriff.
Ich blieb ganz still.
Ich hatte so Angst, es tat so weh.
Nachdem er fertig und gegangen war, wurde es ruhig. Ich stand auf und wollte abhauen, doch die Türe war verschlossen. Ich ging ins Wohnzimmer.
„Onkel, mach mir doch bitte die Türe auf, ich möchte spielen gehen.“
Er sagte nein, ich solle fernsehen.
Ich sah zum schrägen halboffenen Fenster, lief darauf zu und stellte mich auf den Sessel der direkt unter dem Fenster stand.
Ich schrie aus dem Fenster:
„Hilfe er lässt mich nicht raus.“
Mein Onkel sprang von der Couch, zog mich vom Fenster weg und machte es zu.
Niemand achtete auf meine Hilferufe, niemand kam mir zu Hilfe.

Zeit verging.
Tag für Tag.
Mein Körper und meine Seele wurden leblos. Ich aß kaum noch etwas.

Meine Mutter erkannte mal wieder nichts. Ich fühlte mich von ihr verraten, im Stich gelassen, einfach allein. Das einzige was sie sah, war sie selbst, und Hauptsache sie konnte mich abschieben.
Drei Jahre vergingen bis zu jenem Tag, an dem ich aus der Schule kam. Ich war neun und in der 2. Klasse. Ich kam nach Hause, meine Mutter saß dort und weinte.
„Mami, was ist denn los mit dir? Warum weinst du?“
„Dein Onkel ist diese Nacht verstorben.“
Ich konnte sie nicht in den Arm nehmen.
Ich ging in mein Zimmer.
Ich weinte nicht, war wort- und gedankenlos, empfand keine Trauer.
Es war für mich ein befreiendes tiefes Durchatmen. Der Tod meines Onkels war meine Befreiung, die er all die Jahre nicht zuließ.

Und jetzt, wo ich diese Zeilen verfasst habe, mit stockenden Atem, schwerem Schlucken, rasendem Herzen und fließenden Tränen, weiß ich:
Ich bin endlich frei,
endlich frei.
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Alt 23.02.2006, 22:41   #2
TobiL.
abgemeldet
 
Dabei seit: 12/2005
Beiträge: 280


Hi witness.

hmmm... ich weiß nicht. ich finde nicht, dass ich diesen Text sprachlich kritisieren sollte. Er ist sicher aus deiner tiefsten Seele entsprungen, da geht es nicht um sprachliche Mängel oder sonstwas.

Ein tierisch ergreifender Text, der mir sehr Nah ging. Bei den Hilfescheien hätte ich auch fast selber geschrien. Bei dem letzten Satz habe ich mich auch frei gefühlt.

Ein mitreißender Text, der nicht durch seine Sprache, sondern durch seinen Inhalt mitzureißen weiß.

Toll.

Danke, dass du uns deine Erfahrungen und Gedanken mitgeteilt hast.

Liebe Grüße von Tobi.
TobiL. ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 19.03.2006, 19:54   #3
Search.my.Life
 
Dabei seit: 03/2006
Beiträge: 18


Ich bin gefesselt von deinem Erlebnis, das verschlägt einem einfach die Sprache, so ausdrucksstark.

Ich kann das gut nachempfinden was du da zu Wort gebracht hast.

Mein Respekt.




Liebe Grüsse





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