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Alt 12.05.2019, 15:44   #1
weiblich DieSilbermöwe
 
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Standard In einem Dorf im Winter 2. Teil

Georg sah sie überrascht an.
"Bist du sicher? Das kann ich mir kaum vorstellen. Eine Frau wie dich betrügen? Wenn er das wirklich macht, ist er verrückt."
"Ich habe einen Brief an Richard gefunden, der es beweist." Evelyn stand auf und ging zum Schreibtisch, um den Brief zu holen.
"Hier ist er. Schau mal."
Sie legte ihn vor Georg hin, doch er griff nicht danach.
"Ich möchte nicht in Richards Post rumschnüffeln", sagte er.
"So? Dann lese ich ihn dir eben vor!" Ehe Georg etwas dagegen einwenden konnte, las sie in schnellen Sätzen den Text herunter. Bei der Stelle "ich weiß, dass wir irgendwann zusammen sein werden, ich weiß es einfach" räusperte Georg sich und als Evelyn mit Lesen fertig war, sagte er: "Achso. Dann hat sie wohl einfach nicht mehr alle Tassen im Schrank. Klingt jedenfalls ziemlich durchgeknallt. Ein Beweis dafür, dass Richard dich betrügt, ist das jedenfalls nicht."
"Und was ist mit der unglaublichen Nacht?"
"Vielleicht hat sie sich das nur ausgedacht."
"Ich hoffe, sie kreuzt nicht wirklich hier auf."
"Wann kommt Richard denn zurück?"
"In zwei Wochen. Glaube ich jedenfalls. Ich frage ihn heute Abend, wenn er anruft."

Kurze Zeit später verabschiedete Georg sich. Als er weg war, ging Evelyn in Gedanken noch einmal alle Möglichkeiten durch:
Richard hatte sie betrogen und die Frau sagte die Wahrheit.
Richard hatte sie nicht betrogen und die Frau log.
Richard hatte sie nicht betrogen und die Frau hatte sich alles ausgedacht, wollte Richard aber um jeden Preis haben. Das könnte sie gefährlich machen....

Um 21.00 Uhr klingelte das Telefon. Atemlos stürzte Evelyn an den Apparat im Flur, doch als sie abhob, herrschte nur Schweigen in der Leitung.
"Hallo?"
Es kam keine Antwort. Evelyn lauschte, dann knallte sie wütend den Hörer auf. Frechheit, sowas! Hatten manche Leute nichts Besseres zu tun? Sie betrachtete stirnrunzelnd das Telefon, ein sogenanntes Retro-Telefon in altmodischer Arr. Es war kein mobiles Teil,
das sie ins Wohn- oder Arbeitszimmer hätte mitnehmen können. Das war der Nachteil. Der Vorteil war, dass man den Hörer aufknallen konnte wie in alten Zeiten. Richard hatte sich speziell dieses ausgesucht. Warum eigentlich? Wahrscheinlich, weil er dachte, dass sie ihn nicht hören könne, wenn er im Flur telefonierte und sie im Wohnzimmer war. Wohl für den Fall, dass eine Frau wie Annabell anrief.
Sie wartete noch ein paar Minuten, aber das Telefon klingelte nicht noch einmal. Sie wandte sich ab, ging ins Wohnzimmer und schaltete den Fernseher an. Und wenn Richard anrief, würde sie sich ganz lässig geben und ihn spüren lassen, dass sie auch ohne ihn sehr gut zurecht kam.

20 Minuten später klingelte ihr Handy. Aufatmend sah Evelyn Richards Nummer aufblinken und nahm das Gespräch an. Als sie Richards Stimme hörte, hatte sie das Gefühl, als würde eine Last von ihr abfallen.
"Hallo Liebling", seine Stimme klang samtweich.
"Hallo Richard, ich bin so froh, dass du anrufst", sprudelte sie hervor, obwohl sie sich vorhin noch geschworen hatte, ihm ihre Unsicherheit und die Angst, ihn zu verlieren, keinesfalls zu zeigen. Er lachte.
"Was ist denn los? Ich rufe doch jeden Abend an, das weißt du doch."
"Ja schon...." Sie zögerte, aber dann fragte sie ihn doch gerade heraus.
"Kennst du eine Annabell? Annabell Tickten?"
"Da muss ich überlegen.... Ja, stimmt, sie war auch auf dem Seminar in Hannover vor zwei Monaten. So eine Braunhaarige, glaube ich. Warum fragst du? Hast du sie getroffen?"
Bildete sie sich das ein oder klang Richards Stimme eine Spur anders als sonst, fast so, als hätte er ein schlechtes Gewissen? Oder als hätte ihn die Möglichkeit, sie könne Annabell getroffen haben, erschreckt?
"Sie hat dir einen Brief geschrieben."
"Das kann nichts Wichtiges sein. Ich hatte kaum etwas mit ihr zu tun. Leg ihn zu den Geschäftsbriefen, ich schaue danach, wenn ich wieder da bin."
"Ja....gut, mache ich."
Kurze Zeit herrschte Schweigen in der Leitung.
"Evelyn?
" Hm?"
"Wegen deiner Frage in Zusammenhang mit Annabell... Du bist doch nicht eifersüchtig?"
"Nein, nein... Es ist nur..."
"Komm, Evelyn. Ich dachte, das hätten wir hinter uns mit deiner grundlosen Eifersucht. Du hast doch gesagt, dass Dr. Kiddener bei der letzten Therapiesitzung mit dir zufrieden war. Oder nicht?"
"Doch, natürlich war er das. Du kannst ganz beruhigt sein. Er hat ja auch gesagt, ich brauche nicht mehr zu kommen."
"Dann ist es ja gut."
"Wann kommst du zurück?"
"In zwei Wochen, mein Schatz, das weißt du doch. Tut mir leid, dass diese blöden Seminare immer so lange dauern."
"Ich vermisse dich so."
"Ich dich auch."
Kurz danach verabschiedeten sie sich und Evelyn legte mit einem Gefühl der Erleichterung auf. Richard liebte sie, das war sicher. Und um Annabell würde sie sich selbst kümmern, sollte sie tatsächlich ins Dorf kommen. Das musste er gar nicht wissen.
Sie warf einen Blick auf den Fernseher, in dem gerade der Wetterbericht vorüber flimmerte. Morgen sollte es in den Bergen wieder schneien.

Ende des 2. Teils

Hier ist der 1. Teil nachzulesen:
https://www.poetry.de/showthread.php?t=84833

Geändert von DieSilbermöwe (12.05.2019 um 17:02 Uhr)
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Stichworte
dorf, schneien, winter

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