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Alt 20.05.2017, 15:46   #1
weiblich DieSilbermöwe
 
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Standard Die Liste - Tina sucht die Liebe, 3. Teil

Tina sucht die Liebe 3. Teil – Die Liste

Als sie zuhause angekommen war, verzog Tina sich sofort auf ihr Zimmer. Zum Glück war Will nicht da, heute hatte sie keinen Nerv für ihn. Ihre Eltern waren zum Geburtstagskaffee plus Abendessen bei einer Freundin ihrer Mutter eingeladen und würden wohl erst am späten Abend nach Hause kommen. So hatte sie die Wohnung für sich allein, aber weder auf Fernsehen im Wohnzimmer noch auf Essen in der Küche Lust, was sie sonst gerne tat, wenn sie „sturmfreie Bude“ hatte.

Sie warf sich auf ihr Bett und starrte missbilligend auf ihre Tapete, obwohl diese nichts für die schlechte Laune, die sie auf einmal überfallen hatte, konnte. Warum hatte Ellen einen Freund und Tina war ihr egal? Vielleicht hatte sie mit ihrem Jonas und damit, dass sie ihn abknutschte, nur angeben wollen. Vielleicht hatte sie sich überhaupt nur deswegen mit Tina treffen wollen. „Ätsch, ich hab einen Freund und du nicht“ - war es das gewesen? War Ellen wirklich so – so voll Schadenfreude, obwohl sie doch beste Freundinnen gewesen waren? Oder wollte sie ihr nur zeigen, wie man das machte, wenn man einen Freund hatte? Tina dachte darüber nach, wie vielen Liebespaaren sie schon beim Knutschen zugesehen hatte - eigentlich mehr unabsichtlich, weil man geradezu über sie stolperte, wenn sie knutschend in der Pause auf den Treppen in der Schule saßen oder auf der Parkbank oder wenn sie auf den Schulbus warteten. Da gab es immer wieder Paare, die es überkam. Noch vor einem halben Jahr hatte Tina sich gefragt, was daran so toll sei und das eher langweilig gefunden. „Offensichtlich bin ich ein Spätzünder“, dachte sie. Jetzt hatte sie andere Gedanken beim Anblick eines Pärchens. Ihr fiel ein, dass Oliver und Marion, beide in ihrem Mathe-Leistungskurs, ständig Händchen haltend über den Flur schlenderten, wenn sie sie sah. Die beiden waren seit knapp drei Monaten zusammen. Carina und Martin, die sie beide schon seit der 5. Klasse kannte, waren seit kurzem zusammen. Tim und Lilly aus der Theatergruppe waren zusammen und jeder fand, dass sie „so ein schönes Paar“ waren. Zoe und Pete, die sie aus dem Schwimmtraining kannte, waren zusammen. Knutschende und glückliche Paare, wohin man schaute. Und sie? Tina drehte den Kopf zur Seite und hätte auf einmal am liebsten geweint. „Wie albern,“ dachte sie, während sie mit den Tränen kämpfte, „als ob es da was zu heulen gäbe!“ Aber die Tränen ließen sich nicht mehr aufhalten. Sie hatte Ellen, ihre beste Freundin, verloren und bis jetzt nichts anderes dafür bekommen. Keine neue beste Freundin und erst recht keinen Freund. Es war niemand da, mit dem sie darüber hätte reden können oder mit dem sie überhaupt hätte reden oder auch nur einfach hätte lachen und lustig sein können. Schließlich schluchzte sie einfach haltlos in Ihr Kopfkissen, dann schlug sie wütend mit den Fäusten darauf. „Stell dich nicht so an!“, sagte sie zu sich selbst, putzte sich energisch die Nase und überlegte sich, das Ganze logischer anzugehen. Jeder hatte einen Freund, nur sie nicht. Irgend etwas musste daran sein, und deswegen wollte sie auch einen. Also würde sie sich ganz einfach einen suchen.

Tina setzte sich an ihren – unaufgeräumten – Schreibtisch , riss ein Blatt aus ihrem Ringbuch, das sie eigentlich dafür hatte benutzen wollen, Mathe zu üben und schrieb mit fetten schwarzen Blockbuchstaben darauf:

LISTE ALLER JUNGEN, DIE IN FRAGE KOMMEN

und darunter einige Namen. Insgesamt kam sie auf etwa 20. Dann überflog sie die Liste nochmal, schüttelte schon beim ersten Namen den Kopf und strich ihn entschlossen durch. Dem zweiten Namen erging es nicht besser, ebenso wie auch dem dritten und vierten und zum Schluss war jeder Name auf der Liste durchgestrichen. Es war einfach kein Junge dabei, der sie als Freund interessiert hätte, bestenfalls als Kumpel, aber einen Kumpel wollte Tina nicht. Es sollte schon ein Freund sein, mit dem man auch knutschen konnte, ein Freund, in den man sich so richtig verlieben konnte, mit Schmetterlingen im Bauch und allem, was dazugehörte. Sie hatte nicht das Gefühl, dass ein einziger Junge auf der Liste ihr das würde bieten können. Diejenigen, die schon eine Freundin hatten, versah sie mit einem lila X. Schließlich hatte sie nicht vor, einem anderen Mädchen den Freund auszuspannen, nicht nur, weil sie keine Ahnung hatte, wie sie das hätte machen sollen, sondern auch, weil sich das ja nicht gehörte. Aber vielleicht machte ja eines der Mädchen mit ihrem Freund Schluss, und dann wäre er wieder frei, deswegen für alle Fälle mal die Markierung mit dem lila X. Sie starrte immer noch unentschlossen auf ihre Liste, als sie die Haustür klappen hörte. Will war offensichtlich nach Hause gekommen. Schnell warf sie das Ringbuch in die Schublade. Es fehlte noch, dass Will etwas von ihren Überlegungen mitbekam! Tina mochte ihren kleinen Bruder, aber alles musste er nicht wissen, und eine Nervensäge konnte er ab und zu obendrein sein. Sie atmete auf, als sie hörte, dass im Wohnzimmer der Fernseher angeschaltet wurde, beschloss, es für heute mit dem Nachdenken über die Liebe und einen Freund sein zu lassen, sondern lieber ebenfalls fern zu schauen und ging ins Wohnzimmer. Will sah flüchtig auf, als sie hinein kam, dann wieder weg und sah sie dann genauer an.
„Hast du geheult?“
„Nein!“ sagte Tina heftig, „warum sollte ich?“
„Schaust so aus. Hast bestimmt Liebeskummer.“ Will grinste.
„Quatsch! Liebeskummer ist was für Doofe!“
Tina setzte sich hin, schnappte sich die Fernsehzeitung, hielt sie sich vor das Gesicht und tat so, als würde sie sich konzentriert darin vertiefen. Zum Glück war Will nicht weiter an ihr interessiert, weil seine Lieblingsserie gerade begonnen hatte, und so kam es , dass Tina ungewollt weiter darüber nachdenken musste, wo und wie sie einen Freund finden konnte.

In dieser Nacht träumte sie von einem hübschen Jungen, den sie noch nie gesehen hatte. Seine Züge waren im Traum ganz klar, er lächelte sie an und sagte: „Tina! Du hast mir gefehlt!“ Er wollte sie küssen, Tina näherte sich ihm, sie war fieberhaft gespannt, wie der Kuss wohl sein würde. Da schlich sich ein schriller Ton in den Traum, Tina schaute sich um, woher dieses Geräusch wohl käme, und langsam, ganz langsam verblasste die Gestalt des Jungen, sie öffnete die Augen und musste feststellen, dass das schrille Geräusch von ihrem Wecker kam. „Verdammt nochmal!“ Wütend schlug sie auf den Wecker. „Musst du blödes Ding mich ausgerechnet jetzt stören!“ Aber obwohl der Traum nicht so schön ausgegangen war, wie sie es sich gewünscht hätte, ging er ihr den ganzen Tag nicht aus dem Kopf.

Am Abend war Schwimmtraining, wie immer einmal die Woche montags, an dem Tina schon seit zwei Jahren regelmäßig teilnahm. Als sie nach dem Umkleiden ihre Sachen im Schrank einschloss, sprach Sybille, die schon genauso lange wie Tina Mitglied im Schwimmclub war, sie an.
„Ich wusste ja gar nicht, dass Zoe und Pete zusammen sind! Habe sie gerade knutschen gesehen,“ erzählte sie fröhlich.
„Ja, na und? Interessiert doch keinen“, sagte Tina mürrisch. Die Feststellung ärgerte sie. Sollten sie doch knutschen, wenn sie wollten, aber musste man das ihr noch auf die Nase binden, wenn sie mal nicht zufällig und ungewollt Augenzeugin war?
„Ach, mich schon“, antwortete Sybille. Ihre Augen funkelten. „Ich finde Pete nämlich gut. Weißt du, ob die beiden schon lange zusammen sind? Sie passen ja gar nicht zueinander!“
„Kann sein“, sagte Tina, „hab noch nicht drüber nachgedacht.“ Flüchtig erinnerte sie sich, dass Pete mit einem lila X auf ihrer Liste stand.


„Komm, wir gehen!“ Sybille drapierte sich ihr Handtuch um die Hüften, Tina warf sich ihr Handtuch um die Schultern, und beide liefen Richtung Schwimmerbecken. Tina wusste, dass Sybille eine gute Schwimmerin war – genau wie sie selbst – aber Sybille interessierte momentan offenbar etwas ganz anderes. „Ich glaub, Pete steht auf mich“, sagte sie selbstbewusst.
„Er hat doch eine Freundin“, wandte Tina ein. In einem solchen Fall sagte man so etwas.
„Ach, und wenn schon. Er ist doch nicht mit ihr verheiratet. Ich krieg das schon hin.“ Sybille lächelte vor sich hin, und dann fragte sie unvermittelt: „Hast du eigentlich einen Freund?“
„Nein, hab ich nicht!“, sagte Tina gereizt. „Ist doch scheißegal! Muss man etwa einen haben?“
Sybille sah sie etwas irritiert an. „Nun reg dich doch nicht gleich so auf! Natürlich muss man keinen haben, ich mein ja nur! Hattest du denn schon mal einen?“
„Auch nicht!“ Tina lief rot an, ob vor Wut oder weil sie es blamabel fand, das zuzugeben, wusste sie selber nicht. „Was geht dich das eigentlich an?“
„Oh!“ Sybille sah sie an, dann zog sie spöttisch die Augenbrauen hoch. „Na, wenn du so rumblaffst, kriegst du auch keinen!“ Dann lief sie vor und hechtete mit einem Sprung ins Wasser.
Tina folgte ihr und ärgerte sich über sich selber.
Was war denn nur mit ihr los?


- Fortsetzung folgt -
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Alt 21.05.2017, 00:13   #2
weiblich Ilka-Maria
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Liebe Silbermöwe,

am dritten Teil spüre ich, dass du inzwischen für deine Geschichte brennst. Das ist gut. Offensichtlich gehörst du zu den Schreibtypen, die große Teile ihrer Geschichte im Kopf haben und sich regelrecht in einen Rausch schreiben können.

Der zweite Absatz, in dem Tinas Gedanken geschildert werden, ist vielleicht ein wenig lang geraten und stellt die Geduld des Lesers auf die Probe. Das kann aber natürlich an meinen eigenen Leseerwartungen liegen.

Beim Abschnitt über Tinas Aufstellung der Liste hast du den Fehler vermieden, den vielleicht andere Autoren gemacht hätten, nämlich die 20 Namen aufzulisten oder wenigstens einige davon. Du hast Tina sofort Namen streichen lassen, das ist prima. So entsteht das richtige Maß zwischen der Ruhe, die Tina braucht, um sich über die Namen Gedanken zu machen, und dem Tempo der Geschichte, das nicht völlig erlahmen soll. Für den Leser sind Namen, die gestrichen werden, in diesem Fall ohnehin uninteressant.

Die letzten beiden Absätze sind dir richtig gut gelungen. Die Dialoge wirken lebendig und glaubhaft.

LG
Ilka
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Alt 21.05.2017, 17:20   #3
weiblich DieSilbermöwe
 
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Liebe Ilka-Maria.

vielen Dank für dein Lob, über das ich mich sehr gefreut habe!

Ich habe mir die Kritik zu den beiden vorangegangenen Teilen zu Herzen genommen und versucht, so viel wie möglich davon umzusetzen, vor allen Dingen mit den Dialogen. Schön, dass mir dies dann gelungen is!

Eigentlich sollte der Mittelteil mit Tinas Gedanken gar nicht so lange werden, aber dann sprudelte der Schreibfluss einfach und es kam meiner Meinung nach der Geschichte zugute, Tina verletzlich zu zeigen, was ich bis jetzt bei meinen Protagonisten in meinen Texten eher vermieden habe.

Es stimmt, die Geschichte lässt mich nicht los und manche Szenen, die erst viel später kommen können, habe ich schon im Kopf; sodass es mir auch sehr viel Spass macht, darauf hin zu arbeiten.

LG DieSilbermöwe
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Lesezeichen für Die Liste - Tina sucht die Liebe, 3. Teil

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