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Alt 25.04.2017, 22:11   #1
weiblich Anastasia1301
 
Dabei seit: 04/2017
Alter: 26
Beiträge: 5


Standard Erlösung

19:30. Ich stehe. Der kühle Wind weht mir durch die Haare. Während in weiter Ferne die Sonnenkugel sich hinter den Horizont schleicht, wird sie von einem Heiligenschein aus zarten Rosatönen verfolgt. Vögel singen fröhliche Hymnen und kreisen über das Dickicht. Es ist unbequem. Bald wird es dunkel, dann wird es einfacher. Den Schlüssel des roten Pickups in dem ich hergefahren bin habe ich stecken gelassen - es wäre verschwenderisch ihn mitzunehmen.

Dass ich feige bin weiß ich, doch es ist mir egal. Du und all die anderen haben zugesehen und nichts getan. Und ich? Ich habe es zugelassen. Wer Schuld hat? Diese Frage stelle ich mir schon lange nicht mehr, die Liste wäre zu lang. Meine Freunde, meine Eltern und dann warst da noch du Jake.
Du warst reinstes Gift und ein Gegenmittel gab es nicht. Als ich verletzt am Boden lag hat sich niemand zu mir gelegt und gesagt „Hey, was eine scheiß Aussicht, lass uns wieder aufstehen“. Nein, ihr habt mich mit euren Sprüchen und Lästereien dazu verdammt am Grund eines Meeres voller Verachtung und Hass in Einsamkeit zu ertrinken. Besonders Emma und Kate, danke, danke, dass meine besten Freunde, meine Schwestern beschlossen haben mich zu verraten, als sich euch die Chance dazu bot. Und Mum und Dad? Ich liebe euch, auch wenn ihr durch eure Arbeit blind für mein Leid wart und auch sonst viel zu sehr mit sich selber beschäftigt, um zu merken, dass mit mir irgendwas nicht stimmt.

Die Gewässer sind heute besonders unruhig. Auf das fast pechschwarze Wasser fallen einige letzten Sonnenstrahlen und schimmern wie Blitze an der Oberfläche. Auch die Wärme auf meiner Haut hat nachgelassen. Ich fühle wie mein Körper abkühlt, gleichzeitig bin ich von Angstschweiß bedeckt. Unwillkürlich klammere ich mich ein wenig fester ans Geländer.

Ich habs versucht. Ich habe es wirklich versucht. Anfangs war er unscheinbar, aber dann wurde er stärker. Und schließlich war der Schmerz mein stetiger Begleiter. Innerlich habe ich geschrieen, immer öfter, immer lauter, doch niemand hat mich gehört. Gefangen in meiner persönlichen Hölle suchte ich vergeblich nach einem Ausweg. Und dann geschah es.
Meine Entrüstung, meine Wut und Machtlosigkeit flossen in Strömen und die Flut war nicht mehr zu stoppen. Das Fass war übergelaufen und als es sich geleert hatte, blieb nichts weiter als emotionslose Stille zurück. In mir war es dunkel und stumm. Meine Gedanken höre ich seitdem nur noch in weiter Entfernung, als seien es nicht meine eigenen.

Ich zittere. Mein Blick gleitet über die mir vertraute Umgebung. Die Tannen, die mir in meiner Kindheit als Riesen gekleidet in prachtvolle Kleider erschienen, sind zu Zwergen geschrumpft und haben ihre Nadeln verloren. Das Vogelgezwitscher ist verstummt, als wüssten selbst die Vögel, dass das Unheil naht.
Inzwischen ist die Sonne untergegangen und langsam wird der Wald in einen Mantel aus Dunkelheit gehüllt.

Seit Monaten lebe ich in Dunkelheit, eine Dunkelheit die sich unscheinbar und leise in deine Seele schleicht und sie erbarmungslos zerfrisst bis nichts mehr übrig bleibt. Sie lässt eine leere Hülle zurück, äußerlich makellos, doch der Schein trügt. Sie übernimmt dich und wenn du es merkst ist es längst zu spät und der Kampf ist verloren. Alles scheint ohne Sinn, doch es gibt eine Ausweg. Einen Ausweg die Dunkelheit zu besiegen und auf Ewigkeit mit dem Licht, der Seelenruhe vereint zu sein. Alles hat seinen Preis und dieser ist besonders hoch.
Doch ich werde ihn zahlen.


Ein letzter Blick auf die Uhr. 19:36. Auf Wiedersehen Welt.
Langsam lösen sich meine Finger aus dem festen Griff mit dem ich das kalte Metall umklammerte. Es folgt ein Gefühl der Schwerelosigkeit und zum ersten Mal seit langer Zeit fühle ich Frieden und Ruhe. Erlösung.
Ich lasse mich fallen bis die schmerzhafte Unendlichkeit endlich endet.
Anastasia1301 ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 27.04.2017, 19:00   #2
männlich wort.
 
Benutzerbild von wort.
 
Dabei seit: 04/2017
Ort: Klein aber fein... und gemietet!
Alter: 31
Beiträge: 9


Hi Anastasia

Du hast eine unglaublich "nahe" Art zu schreiben. Ich bin normalerweise überhaupt nicht der Typ für längere als Monolog gehaltene Texte, doch dieser hier hat mich irgendwie angesprochen. Es sind traurige Gedanken und das Bild, das der Text für mich gezeichnet hat war ein düsteres, eher kühles Bild einer sternenklaren Nacht (und das obwohl von einem Sonnenuntergang die Rede ist)

Alles ist sehr persönlich und auch poetisch beschrieben und man kann ohne Probleme in die Geschichte dieser jungen Frau (ich gehe mal einfach davon aus) eintauchen. Oft haben so treffende und authentische Texte ihren Ursprung in der tatsächlichen Gefühlswelt ihrer Autoren. Sollte das auch hier so sein, wünsche ich dir viel Kraft und dass du über deinen überauss gekonnten Ausdruck ein Ventil erhältst damit dein Fass nicht auch überläuft

Sehr schön geschrieben, auch ganz am Schluss... "bis die schmerzhafte Unendlichkeit endlich endet". Fast schon lyrisch... Der schmerzhafte eigentlich endliche Zustand, der aber aufgrund der verzweifelten Lage als Unendlichkeit wahrgenommen wird. Ein sehr schönes und treffendes Abbild der Psyche der Protagonistin. Danke für den guten kurzweiligen Lesestoff und schreib unbedingt weiter!
wort. ist offline   Mit Zitat antworten
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