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Alt 22.03.2017, 19:23   #1
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Standard Traum-/Nachtbuch

"Traum-/Nachtbuch"

02.10.
Letzte Nacht träumte ich, ich würde in einem dunklen Tunnel von einem krebs- oder spinnenartig, einem hockend huschenden Menschen gejagt. Ich ging durch die Finsternis und stand plötzlich vor ihm, sah in trübem Traumlicht seine Schattenkontur und bizarre Haltung und wusste dass er gefährlich ist.
Also bin ich geflüchtet und fühlte den fürchterlichen Gliederfüßigen mich verfolgen. Dann vermischten sich Traum und Realität. Ich erreichte auf einmal eine Tür, mit dem unvermittelten Bewusstsein, dass ich nach ihr gesucht hatte. Tastete recht verzweifelt nach der Klinke und riss daran.
Da merkte ich, beim Öffnen der Tür und hereinfallenden Flurlicht, dass ich geträumt hatte und an meinem Schlafzimmereingang stand. Ich spürte drückende, starke und anhaltende Schmerzen in der Brust (ein unangenehmes Ziehen ist noch jetzt da, Stunden später) und wusste nicht woher sie kamen. Habe mich daraufhin umgeschaut und der Metallstuhl, der sonst neben meinem Bett steht und mir als Nachttisch dient, lag umgekippt mitten im Zimmer. Möglicherweise bin ich darübergestolpert und hab mir die kantige Metalllehne in die Rippen gerammt. Doch ich erinnere mich nicht an einen Sturz im Traum, trotz scheinbar enger Verquickung von Schlaffiktion und Realität (das Laufen durch den dunklen Tunnel war offenbar ein schlafwandelndes Gehen durchs Zimmer). Und es wundert mich, dass mich dieses Ereignis nicht aufweckte, obwohl es von derart großer Heftigkeit war, dass die Schmerzen mir das Einschlafen, sogar das Hinlegen zunächst unmöglich machten. Natürlich könnte auch etwas ganz anderes als ein Sturz geschehen sein. Ich weiß es nicht.

Das war gegen drei Uhr morgens. Um etwa fünf schlief ich wieder.
Es war nicht das erste Mal, dass ich angsterfüllt traumwandelnd den Ausgang aus meinem Schlafraum gesucht habe, der dann ein Tunnel, ein Bunker, eine Höhle, ein Hohlraum unter einer Veranda oder sonst etwas ist. Aber es war das erste Mal, dass ich danach solche Schmerzen hatte und es war übrigens auch eine Novität, dass ich tatsächlich die Tür fand und mir die Flucht geglückt ist.
Normalerweise kratze ich in einer Ecke herum, bis ich irgendwann aufwache oder grabe im Bücherschrank.
Insofern war die Nacht ein voller Erfolg (aus Sicht eines somnambulischen Sonderlings).

06.10.
Gestern Abend habe ich mich eine Stunde in den Kissen gesuhlt, bis meinen Körper eine zunächst angenehme Schwere erfasste und erwartete wohlig, dass mein Kopf in den Schlaf verschwinden würde.
Aber mein Kopf blieb klar und gegenwärtig. Ich, der sich eigentlich lösen sollte, spürte das weiterwachsende Gewicht des Körpers wie eine Versteinerung.
Zum erstickenden, schwarzen Sumpf verwandelte sich mein Bett, in den ich langsam hinab gezogen wurde. Meine Decke und mein Kissen, das ich mir beim hin- und herkugeln über den Kopf gelegt hatte, wurden zu niederdrückenden Sandsäcken.
Mit aller Kraft des Bewusstseins und der Todesangst stemmte ich mich dagegen. Mein wacher Geist strampelte panisch in dem ihn strangulierenden einschlafenden Körper.
Langsam stieg ich, durch den Auftrieb meiner Willenskraft, aus der Tiefe an die Oberfläche der Wachheit. Hatte mich befreit und wusste - natürlich wäre ich nicht gestorben.

Da war es ungefähr 23 Uhr.
Ich trank etwas, las etwas, legte mich wieder hin und schlief.
Irgendwann öffnete ich die Augen. Mein Kopf war zur Tür gewendet, die ebenfalls geöffnet war.
Und in der Tür ragte der dunkle Umriss einer Person, die mich beobachtete.
Da zog ich mir schnell die Decke übers Gesicht, meine Beine ein und die Augenbrauen fest zusammen. Und wartete darauf gepackt zu werden.
Mich packte aber nur der Schlaf. Und am nächsten Morgen war die Tür, wie gewöhnlich, zu.

08.10.
Übernachtung im Dachstuhl eines Freundes. Habe schlafwandlerisch ein Loch in die Styroporisolation gegraben, weil ich träumte, ich sei lebendig beerdigt worden. Brüllte dabei lauthals um Hilfe.
Haben darüber gelacht. Ich lachte mehr aus Erleichterung, dass ich nicht allein war.

11.10.
Vergangenen Abend, nachdem die Dunkelheit über mein Dormitorium hereingebrochen war... ich will nicht zu theatralisch schreiben, aber es war doch sehr schaurig. Also, ich hatte gerade das Licht in meiner Schlafstube ausgeknipst und mich bäuchlings in mein Bett gebuddelt. Ich spürte den Schlaf heranschleichen und entspannte bis ich schließlich...
den sanften Druck zweier Hände auf meinem Rücken fühlte. Physisch.
Ich erstarrte, traute mich nicht mich zu bewegen, konnte es nicht. Der Druck wurde fester und fester. Bald fasste eine dritte Hand auch meinen Kopf und wurde schwer.
Ich weiß, dass sich diese Dinge durch Hypnagogie, Schlafparalyse und solcherlei erklären lassen, aber sie machen mir trotzdem Angst. Auch die Albträume sind schlimm. Mein seit jeher gestörter Schlafrhythmus wird immer kurioser.
Dass ich garnicht schlafe ist keine Seltenheit und häuft sich.
Ich habe seit neuestem ein hartnäckiges, nervöses Zucken im Bereich meines linken, tiefer werdenden Augenringes, als hätte sich dort ein irres Insekt eingenistet. Zuweilen denk ich das wirklich. Der Schlafentzug treibt mich in den Dermatozoenwahn.

12.10.
Kein Schlaf. Das Augenringinsekt quält mich und wird wütender mit wachsender Verdunkelung.
Ich fange an gelegentlich absonderliche Dinge auch am Tag zu sehen. Ich hoffe, ich werde nicht verrückt. Das liegt an der Übermüdung und dem Stress. Aber das gehört in mein Tagebuch. Dieses ist für die Nachtaufzeichnungen. Wobei die Grenzen zwischen Tag und Nacht mehr und mehr zerfließen.

15.10.
Gestern Nacht: An den halb heruntergelassenen Rouleaus rüttelte ein rauer Wind. Mit knarzenden, krummen Fingern kratzte und klopfte die knorrige Knorpelkirsche daran herum. Ein Fingerknochen knackte, brach und bröckelte auf das Brett des Fensters. Vor Schreck schrumpfte abrupt mein Hodenbeutel. Das Unwetter wirkte unüberschaubar und bedrohlich, voller schauerlicher Schimären.
Das Zimmerlicht aus dem Garten nehmend, ließ ich die Rouleaus nun ganz herunterrattern, was mir sehr laut in den Ohren knallte.
Als ich mich umdrehte, trat ich auf eine Reißzwecke und schrie. Bei näherer Betrachtung stellte sich heraus, dass es ein harmloses Holzstückchen war.
Als ich vornüber gebeugt dastand, auf das kleine Objekt konzentriert, überfiel mich eine maßlose Müdigkeit und ich federte impulsiv rebellierend nach oben, wobei ich mich vor meinem plötzlich über die Wand stürzenden Schatten erschrak. Ein Lachversuch verlor sich in Heiserkeit. Ein zweiter endete in der quiekenden Karikatur von Gelassenheit.
Mit zuckendem Augenlid und bebendem, brodelndem Augenring, als kochte darunter schwarze Galle, setzte ich mich aufs Bett.
Ich beruhigte mich. Einige Zeit später lag ich im Bett. Dort beschlich mich ein Gedanke, der mir gewöhnlich die Kehle zuschnürt und meine Brust brennen lässt, der mich panisch macht. Mir ein unerträgliches Gefühl des Ausgeliefertseins vermittelt. Das war der Gedanke an den Tod, dessen Unabwendbarkeit, Absolutheit, dessen undurchdringliche, unverständliche Dunkelheit mir sonst tief ins Bewusstsein sticht und mich dem angstvollen Wahnsinn nahe bringt. Dieser Gedanke raubte mir schon oft den Schlaf, denn vorwiegend überfällt er mich, wenn ich im Bett die Augen schließe. Schon die Angst vor der Angst hält mich oft davon ab, mich der finsteren Verschlossenheit meiner Augenlider auszuliefern.
Gestern Nacht ließ er mich kalt, ich war zu stumpf, zu müde. Fühlte nur ein leichtes Unbehagen, dass seine Bedeutung (sofern davon zu sprechen ist) mein Bewusstsein doch noch packen könnte. Aber das geschah nicht und langsam verschwand auch das Unbehagen. Und die Stumpfheit der Müdigkeit, die eine gewisse Distanz zu einem selber, die sich manchmal in einem Empfinden von Körperlosigkeit äußert, war mir lieb in diesem Moment.
Ich dachte ruhig über den Tod nach.
Und zum ersten Mal kam mir der Gedanke, dass es schön wäre zu sterben.
"Nie wieder Schlafprobleme" dachte ich und lächelte dabei etwas schief.
"Und nie wieder Angst vor dem Tod" dachte ich weiter, mit dem Bewusstsein, dass diese Angst wiederkommen würde. "Selbstmord, um der Angst vor dem Tod zu entkommen." kam es mir in den Sinn.
Ich muss über diese Kontemplationen eingeschlafen sein. Jedenfalls erinnere ich mich an nicht viel mehr.
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