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Alt 10.06.2017, 09:48   #1
männlich mcblie
 
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Standard Mission Mars Version 2

Es hat etwas gedauert, aber hier nun eine neue Version von "Mission Mars", nicht als Logbuch, sondern als kurze Erzählung.

Es war einer jener Tage, die sich wunderbar zum Sterben eignen.
„Yuri, es hat keinen Sinn. Es gibt kein Wasser, es gibt kein Leben, es gibt zu wenig Atmosphäre.“ Abebi Nbeli blickte resignierend zu Boden. Wir saßen uns an dem Tisch im Zelt gegenüber, das uns mit seiner dünnen Kunststoffhaut gegen die unwirtliche Wüste des Mars schützte. Noch.
„War wirklich alles umsonst? Soll es so zu Ende gehen? Ich will das nicht hinnehmen.“ Meine Faust krachte auf die Tischplatte. All meine Frustration lag in diesem Schlag. Nbebi blieb unbewegt sitzen und schaute mich an. Ich sah ihr in die Augen und erkannte darin ihre Hoffnungslosigkeit. Wie hatte sie sich verändert! Zu viel war passiert in den letzten Monaten, seit wir auf dem Mars gelandet waren, zu viel war auf uns eingestürzt. Die Welt, wie wir sie kannten, gab es nicht mehr. Und wir beide waren die Letzten der Besatzung, die voller Hoffnung aufgebrochen war, um eine neue Welt zu erforschen. Als erste Menschen hatten wir unsere Spuren durch den roten Staub gezogen, ja, so wie es aussah, als erste Lebewesen überhaupt. Acht Männer und Frauen waren wir gewesen, als Auserwählte hatten wir uns gefühlt, als Botschafter der Erde, als Pioniere, als Speerspitze der Menschheit. Schlagworte in den Reden der Politiker, während im Hintergrund bereits die Uhr tickte. Die Uhr, die die Stunden, Minuten, Sekunden bis zum Untergang der Erde herunterzählte.
Alles war perfekt getimt gewesen: Einschwenken in die Umlaufbahn des Mars am 4. Juli 2030. Auch wenn die Besatzung international zusammengestellt war, auch wenn die ISS 2 als Ausgangspunkt diente, so hatten sich doch die Amerikaner durchgesetzt mit ihrem Zeitplan. Der Unabhängigkeitstag musste es sein. Offiziell lagen die Zeitfenster für den optimalen Flugplan zufällig so. Schon in der Planungsphase konnten die Differenzen nur schwer übertüncht werden. Nach außen Zuversicht, Optimismus, große Worte von Völkerverständigung und gemeinsamem Ziel für die Menschheit. Im inneren krachte und knisterte es im Gefüge. Wir waren Profis, wir wussten, wofür wir arbeiteten und dass es nur im Team funktionierte, dass kleinliche Vorurteile, gar nationalistische Ressentiments hier nichts verloren hatten. Doch je weiter oben in der Hierarchie, desto scheinbar unüberwindlich, mächtiger und ausgeprägter wurden die Eitelkeiten, die aufgeblasenen Egos.
Dennoch dachten wir, dass unsere Mission auch etwas beitragen konnte, um die Zwistigkeiten auf der Erde zu beenden, um allen deutlich zumachen, was wir an dieser winzigen, schillernden Perle in der unendlichen Verlorenheit des Alls haben. Der Mars war ein wissenschaftliches Ziel, er war eine Herausforderung für den forschenden, neugierigen Menschen. Aber er konnte kein Ersatz für unseren Heimatplaneten sein. Terraforming würde Jahrhunderte brauchen. Zeit, die wir nicht hatten.
Es stand nicht gut um die Erde. Die Klimaveränderung war ungebremst vorangeschritten, all die schönen Zielvereinbarungen der Politik waren das Papier nicht wert, auf dem sie geschrieben und feierlich unterzeichnet wurden. Überflutungen, Wetterkapriolen, Trockenheit, Dürre machten es für unzählige Menschen unmöglich, in ihrer Heimat zu bleiben. Die Migrationsströme wuchsen. Mauern und Zäune wurden ebenso rasch überwunden, wie sie errichtet worden waren. Nord gegen Süd, Arm gegen Reich. Die Konflikte spitzten sich zu, die vernachlässigten, perspektivelosen Regionen des Erdballs wurden zu Brutstätten von Extremismus und Terror. Verzweifelte Menschen sahen ihre einzige Perspektive im Aufstand und in der Gewalt gegen jene, die sie für ihr Elend verantwortlich machten. Religiöse Intoleranz wuchs so, wie gegenseitige Solidarität abnahm. Projekte wir die ISS 2 und die Marsmission waren für die einen unnötige Geldverschwendung oder sogar Gotteslästerung. Für die anderen waren sie ein letztes Beispiel dafür, wozu der Mensch in seinem besten Sinne fähig war, Beispiel dafür, dass noch nicht alles verloren war, dass es noch etwas gab, wofür es sich lohnte, all das geistige, wissenschaftliche Potential abzurufen, das im menschlichen Gehirn schlummert und das ihn befähigt, für unmöglich Gehaltenes doch zu verwirklichen.
Doch noch etwas hatte der menschliche Geist entwickelt und nach allem, was wir über die letzten Funksprüche, die wir vor Monaten empfangen hatten, wussten, war diese schrecklichste aller Erfindungen zum Einsatz gekommen: die Atombombe. Ich wusste nicht, wer als erster auf den Knopf gedrückt hatte, wer zurückgeschlagen hatte, wer diesen Wttluaf in den Tod in Gang gesetzt hatte. Es war mir auch egal.
Wir, die Besatzungsmitglieder waren für etwas gestanden, wir waren das Symbol für den doch noch bei einer schmalen Gruppe vorhandenen Fortschrittsglauben. Und nun saßen Abebi und ich hier in dieser kümmerlichen künstlichen Welt auf dem Mars, wissend , dass wir uns nur noch wenige Tage am Leben halten konnten.
„Denkst du an die Erde?“, fragte mich Abebi. Ihre Stimme durchbrach die Stille und ich schreckte aus meinen Gedanken auf.
„Ja, ich denke an die Erde, die Menschen.“
„Gibt es überhaupt noch Menschen auf der Erde?“
„Oh ja, sicher. Eine Zivilisation, wie wir sie kennen, wird es nicht mehr geben. Aber Menschen, die gibt es sicher noch. Menschen und Ratten, die beiden Überlebenskünstler, die werden sich das Match wohl ausmachen.“ Ich lachte gequält auf.
„Yuri, was machen wir hier eigentlich noch? Warum öffnen wir nicht einfach diese verdammte Schleuse und vergessen dabei, unsere Helme aufzusetzen? Warum warten wir?“
„Weil wir für das Überleben trainiert sind, nicht für den Tod. Kämpfen bis zum Ende, immer noch irgendwo einen Funken Zuversicht herauskramen.“
„Entschuldige, aber das ist jetzt wirklich lächerlich! Alle anderen sind tot, unsere Vorräte gehen zur Neige. In diesem verdammten roten Staub wird nichts wachsen, es gibt kein Wasser, das wir erreichen könnten. Hilfe von der Erde wird es nicht geben.“
„Wir könnten noch immer zurückfliegen, so unwahrscheinlich es auch ist, dass wir das überleben.“
„Ach, weißt du was? Ich geh jetzt raus!“
„Vergiss nicht, deinen Helm aufzusetzen.“
„Was du nicht sagst. Ich wollte jetzt einfach so verschwinden.“
Abebi stieg in den Raumanzug und öffnete das innere Schleusentor. Als sie es hinter sich zugezogen hatte, wusste ich, dass ich sie nicht mehr lebend sehen würde. Ich war jetzt alleine. Der letzte der Marsmission. Eric Wollington war kurz nach der Landung bei einer Explosion verunglückt. Tatjana Klermatow und Akito Hiragano waren bei einer Expedition in einen Sandsturm geraten und seither vermisst. Enrice Gonzales hatte einen tödlichen Unfall mit dem Rover. Laura Gruber und Li Wang waren bei einer Klettertour abgestürzt, als sie versuchten, Wasser aufzutreiben, das in Eisform in Canyons verborgen war.
Und nun auch Abebi Nbeli, die immer so taff gewirkt hatte, die es verstanden hat, sogar mich ab und zu aufzumuntern. Was blieb mir jetzt noch ich tun? Mein Gerede vom unbedingten Überlebenswillen diente nur zum Überspielen meiner Verzweiflung. Ich stand auf und griff nach dem Raumanzug, den Helm ließ ich liegen, als ich mich zur Schleuse wandte. Möglicherweise war heute tatsächlich ein guter Tag zum Sterben. Das Zischen zeigte den Druckausgleich an, ich öffnete die äußere Schleusentür und trat hinaus, blickte nach oben in die Nacht des Mars. Kurz vermeinte ich am Himmel einen in der dünnen Marsatmosphäre leicht funkelnden Punkt auszunehmen, der die Erde sein musste. Ich spürte, wie die Kälte in mich hineinkroch und meine Lunge verzweifelt nach Sauerstoff suchte. Einige Meter entfernt konnte ich noch eine Gestalt am Boden liegen sehen: Abebi. Dann brach ich zusammen und es wurde dunkel.
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Alt 30.06.2017, 08:10   #2
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Und wie hast du bzw. der Protagonist die Geschichte dann geschrieben? Dafür wird ein wacher und lebendiger Protagonist gebraucht. Es sei denn, er lässt durchblicken, dass er aus dem Jenseits erzählt

Ansonsten finde ich die Geschichte sehr viel besser als deine erste Version. Du hast dir die Mühe gemacht, ausführlich zu erklären, an was die anderen Crew-Mitglieder gestorben sind (das Fehlen dessen hatte ich in der ersten Version ja bemängelt). Auch führst du den Leser gut in die Situation ein.

Eine fast sehr gut gelungene Kurzgeschichte (wenn man nicht rätseln müsste, wie der Protagonist sie in seinem Zustand noch erzählen kann).

Oder folgt eine Fortsetzung?

LG DieSilbermöwe
DieSilbermöwe ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 02.07.2017, 09:06   #3
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Liebe Silbermöwe!
Danke für die Rückmeldung. Auf der einen Seite, ganz streng genommen, hast du natürlich recht. Aber: Die Ich-Persepektive ist bewusst gewählt (ich habe es zuvor in einer neutralen geschrieben), um die Unmittelbarkeit zu erhöhen. Auf der anderen Seite wäre natürlich eine Rettung des Protagonisten bei der in dem Text beschriebenen Situation höchst unrealistisch und unglaubwürdig.
Fazit: Nimm den Text als Literatur. Du lebst als Leser mit der Figur, solange es den Text gibt, bzw., solange du im Text bist. Mit dem Ende des Textes verschwindet quasi die Figur (ist ein literaturwissenschaftlicher Ansatz). Dass gut gestaltete Figuren dennoch in unseren Köpfen bleiben, ist wieder etwas anderes.
Liebe Grüße
mcblie
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Alt 13.07.2017, 18:12   #4
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Liebe Silbermöwe!
Ich habe eine Lösung für das Problem Ich-Perspektive + sterbender Protagonist gefunden: Erzählzeit Präsens und elliptische Sätze am Schluss. Ich schreib es noch mal um, wenn ich Zeit haben.
Liebe Grüße
mcblie
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Alt 13.07.2017, 18:24   #5
weiblich DieSilbermöwe
 
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Lieber mobile!

"Mit dem Ende des Textes verschwindet quasi die Figur" und dem Hinweis, dass dies ein literaturwissenschaftlicher Ansatz ist, hast du mir neue Möglichkeiten eröffnet. Also musst du es nicht meinetwegen umschreiben .

LG DieSilbermöwe
DieSilbermöwe ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 13.07.2017, 18:28   #6
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Meine Schreibtrainerin hat mir den Tipp gegeben. 😊
mcblie ist offline   Mit Zitat antworten
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Stichworte
dystopie, mars, science fiction

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