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Zeitgeschehen und Gesellschaft Gedichte über aktuelle Ereignisse und über die Menschen dieser Welt.

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Alt 29.08.2017, 11:56   #1
männlich Erich Kykal
 
Benutzerbild von Erich Kykal
 
Dabei seit: 09/2011
Ort: Österreich
Alter: 59
Beiträge: 876

Standard Bilder aus dem Dreißigjährigen Kriege

I

Geborgen liegt der Ort in tiefen Schatten,
das Morgenlicht fängt Kinder in den Türen,
ein junges Mädchen geht sein Mieder schnüren
und Veilchen blühen schon in den Rabatten.

Wer wollte wohl an solchem Bilde rühren,
und doch: Es strömen über grüne Matten
Verfemte her, die niemals Heimat hatten
und deren Lebenswärme nicht verspüren.

Ein Ruf erschallt, man sieht die wilde Meute,
ein Bauer und die Knechte fassen Beile.
Ein Ruck geht durch das ganze Dorf, denn heute

soll ihr Entlegensein den Frieden büßen!
Man schreit und strömt davon in banger Eile,
in Unterkleidern und auf nackten Füßen.

II

Es ist ein Schreien und ein wildes Toben,
die Hütten brennen und die Frauen flehen.
Ein Furor, den die Welt noch nicht gesehen,
doch tausend Male schon, hat sich erhoben!

Die Braven fallen, und von allen Enden
ergießt die Gier der nackten Ungeheuer
sich über Kirche, Bauernhof und Scheuer,
und kein Gebet mag das Gemetzel wenden!

Die Wut verebbt, die derben Waffen schweigen,
nur dort, wo sich des Waldes Ufer neigen,
hat man noch blutig Frau und Kind gefangen.

Die Frau hat man geschändet und gehangen,
der Knabe wird geprügelt und geschunden
und endlich bloß an einen Baum gebunden.

III

Geschwärzte Pfeile in den schmalen Rippen,
genagelt an des alten Baumes Rinde,
so stirbt das letzte Licht in diesem Kinde,
ein ungelebtes Leben auf den Lippen.

Die krausen Enden dunkler Schäfte wippen
ein letztes Mal, das junge Herz steht stille,
und mit ihm scheint ein losgelöster Wille
zur Seite mit dem leeren Blick zu kippen.

Ein sachtes Raunen streift die alte Linde,
das Kriegsvolk zieht davon mit blanken Hippen.
Fast unbemerkt treibt mit dem leisen Winde

ein Schluchzen fort. Darüber legt sich Stille.
Ein altes Weiblein sieht man Gräber schippen.
Des Menschen Zorn ist seines Grams Destille.
Erich Kykal ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 30.08.2017, 12:20   #2
gummibaum
 
Dabei seit: 04/2010
Alter: 70
Beiträge: 10.909

Lieber Erich,

das Gedicht gefällt mir außerordentlich. Besonders die dritte Strophe zeigt im Sterben des Kindes intensiv die sinnlose Grausamkeit des (im Krieg verrohten) Menschen und gibt lapidar, weise und resigniert eine Erklärung dafür: der Zorn sublimiert den (lang gehegten) Gram.

Chapeau und LG
gummbaum
gummibaum ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 30.08.2017, 22:45   #3
männlich Erich Kykal
 
Benutzerbild von Erich Kykal
 
Dabei seit: 09/2011
Ort: Österreich
Alter: 59
Beiträge: 876

Hi Gum!

Eigentlich ist die letzte Conclusio so gemeint, dass aus den aggressiven menschlichen Gefühlen letztlich nur Leid entsteht.

Der Zorn, bzw. die darin verübten Taten, sind die Destille des Trankes namens Gram.

Aber du siehst es auch insofern richtig, dass aus dem Gram immer wieder neue Wut, neue Rachsucht entstehen, die den Teufelskreis weiter antreiben!

Das Gedicht entstand in Erinnerung an einen Film, den ich mal gesehen hatte, und der in dieser Zeit spielt - es war allerdings nicht der Simplizissimus.
Diese drei Sonette sollen als vergleichendes Bild für alle mörderischen Greueltaten des Menschen stehen, die er in blinder Wut, purer Mordlust oder aus niederer Gehässigkeit heraus begeht.

Vielen Dank für die Auseinandersetzung mit dem schwierigen Stoff.

LG, eKy
Erich Kykal ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 09.09.2017, 09:52   #4
weiblich Ex-Letreo71
abgemeldet
 
Dabei seit: 01/2014
Ort: Niedersachsen
Beiträge: 4.032

Schrecklich, grausam und so wahr, eKy. Mir schossen Tränen ins Gesicht...
Großartige Dichtung! Zeitlich verdammt übertragbar...

Favorit!

Lieben Samstaggruß

Letreo
Ex-Letreo71 ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 09.09.2017, 10:52   #5
Thing
R.I.P.
 
Benutzerbild von Thing
 
Dabei seit: 05/2010
Beiträge: 34.998

Standard Lieber Erich -

Dir ist es beinahe gelungen, die Schrecken dieses Krieges einzufangen.
Nur, daß er noch schlimmer war, als hier beschrieben.
Ich brauchte nicht nur erst den Der Abentheuerliche Simplicissimus Teutsch, heute meist Simplicius Simplicissimus
zu lesen, um zu sehen, zu welchen Gräueln eine "arbeitslose" Soldateska instande war.

Dein Gedicht ist hervorragend, es schaudert mich bei der Lektüre.
Meine Favoritenliste wird lang und länger.

Lieben Gänsehautgruß
von
Thing
Thing ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 09.09.2017, 11:05   #6
männlich Erich Kykal
 
Benutzerbild von Erich Kykal
 
Dabei seit: 09/2011
Ort: Österreich
Alter: 59
Beiträge: 876

Hi Letreo, Thing!

Waffen verleihen Macht, und Macht wird immer missbraucht werden, umso leichter und eher von Menschen, die davor nie welche hatten, oder die durch Traumatisierung, (quasi)religiösen/politischen Wahn oder angeborene Soziopathie gelernt haben, ihre Gräueltaten zu genießen.

Gebildete Soziopathen werden Generäle oder Politiker - sie nutzen die bewaffneten Menschen und ihre Dummheit/Manipulierbarkeit als Waffen, indem sie von vaterländischen Idealen, bzw. rassischen oder kulturellen Eliten daherquatschen.

Der Krieg ist letztlich eine gesetzes- wie moralfreie Zone, in der jeder sein Allerschlimmstes ausleben kann und wird, wird er durch die gewaltsamen Umstände ausreichend enthemmt und geprägt.

LG, eKy
Erich Kykal ist offline   Mit Zitat antworten
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