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Alt 21.01.2007, 18:09   #1
Yve
 
Dabei seit: 12/2005
Beiträge: 756


Standard Ohnmacht

Die schwere Holztüre schlug so laut hinter ihm zu, dass er selbst zusammenzuckte. Langsam ging er den Mittelgang entlang und bemühte sich leise zu gehen, denn jeder Schritt hallte auf dem heiliggesprochenen Boden. Als die Orgel schwieg, verharrte er ebenfalls. Trotz der unbehaglichen Stille, herrschte reges Treiben. Blumengestecke wurden nach vorne getragen und zurechtgerückt. Die Holzbänke zu seiner Rechten und Linken füllten sich mit in schwarz gekleideten Trauergästen, die sich leise unterhielten. Der Pfarrer legte sich seine Rede auf dem Rednerpult neben dem Sarg zurecht. Als die Orgelpfeifen erneut ertönten, setzte er sich wieder in Bewegung. Je weiter er ging desto schrecklicher und erdrückender wurde das Gefühl. Es schauderte ihn bei dem Gedanken ihr in das Gesicht blicken zu müssen.

Vor einer Woche hatte er sie das letzte Mal gesehen. Er konnte sich noch an jedes Detail erinnern. Sie hatte in einem Korbsessel gesessen und eine helle Decke um ihre Beine gewickelt. Ihr Blick war hohl und sie starrte aus dem Fenster. Ihre Haut war so blass wie gewöhnlich und ihr Gesicht so schön wie nie. So weiche Gesichtszüge, volle Lippen, eine formvollendete Nase und ihre wunderschönen Augen, die jeglichen Glanz verloren hatten. Apathisch war ihr Blick und nur Leere strahlte aus ihr. So viel, dass er sich darin hätte verlieren können. Gerne erinnerte er sich daran, wie sie voller Leben und Wärme war. An die gemeinsamen allabendlichen Gespräche, an ihren Charme, ihren Humor und das herzhafte Lachen. Irgendwann zwischen damals und jetzt war es einfach versiegt. Wie sehr hatte er versucht es ihr wieder zu bringen. Ihr Kopf war immer voll von Gedanken. Von Schönen und Wunderbaren, bis hin zu Ängstlichen und Trauererfüllten. Doch irgendwann verlor sie einen nach dem anderen, bis nichts mehr übrig war. Hilflosigkeit bestimmte schon seit Jahren sein Leben. Wie gerne hätte er sie gerettet. Sie hatte stets versucht, alles für ihn zu sein, auch wenn er es lange nicht verstanden und geglaubt hatte. Erst mit der Zeit hatte er begriffen, wann es begonnen hatte, sie zu zerstören. So sehr versuchte er ihr Halt zu geben und doch entglitt sie ihm jeden Tag mehr. Ohnmächtig sah er zu, wie sie ihn verließ. Stück für Stück. Bis irgendwann nichts mehr von ihr übrig war.

In diesem Moment stand er vor ihr. Ihre langen Wimpern ruhten auf den blassen Wangen. In ihrem Gesicht konnte er erkennen, dass sie nicht einmal im Tod ihren Frieden gefunden hatte, denn ihr Herz kam nie mehr zurück. Ein letztes Mal berührte er ihre kühlen Hände und nahm Abschied von seiner Mutter, wie schon vor Jahren.
Yve ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 16.02.2007, 17:50   #2
Schattenspieler
 
Dabei seit: 11/2006
Beiträge: 9


Ein interessantes Stück von dir. Im mittleren Teil macht es den Eindruck, als ob ein Mann die Liebe seines Lebens verloren hätte. Der Wechsel ist dir gut gelungen, hätte aber meiner Ansicht nach noch etwas besser hervorgehoben werden können. Allerdings stellte sich mir eine Frage: Wieso hatte er schon vor Jahren Abschied genommen?

Liebe Grüsse Tom
Schattenspieler ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 16.02.2007, 17:55   #3
evilsuperbitch
 
Dabei seit: 08/2006
Beiträge: 1.073


Das ist formal, soweit ich es gelernt habe, kein drama, gehört also nicht in diese kategorie.

gruß. esb.
evilsuperbitch ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 16.02.2007, 17:56   #4
Schattenspieler
 
Dabei seit: 11/2006
Beiträge: 9


Interessiert das?
Schattenspieler ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 17.02.2007, 11:49   #5
Yve
 
Dabei seit: 12/2005
Beiträge: 756


Für deinen Kommentar danke ich, Tom

Zu deiner Frage: Na ja, der Sohn hat Zeit seines Lebens versucht, seine Mutter zu "retten" und ihr zu helfen wieder zu sich selbst zu finden. Aber schon vor Jahren hatte er gemerkt, dass das nicht funktioniert und er nie wieder die "alte" Mutter finden/haben würde. Für ihn war sie also schon vorher gestorben.

@ Esb: Danke für den Hinweis. Trotzdem möchte ich es in dieser Kategorie stehen lassen.

Yve
Yve ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 17.02.2007, 12:08   #6
Struppigel
 
Dabei seit: 05/2006
Beiträge: 1.007


Standard RE: Ohnmacht

Zitat:
Original von Yve
Die schwere Holztüre schlug so laut hinter ihm zu, dass er selbst zusammenzuckte. Langsam ging er den Mittelgang entlang und bemühte sich leise zu gehen hier hast du zweimal "gehen" im selben Satz , denn jeder Schritt hallte auf dem heiliggesprochenen Boden. Als die Orgel schwieg, verharrte er ebenfalls. Trotz der unbehaglichen Stille, herrschte reges Treiben. Blumengestecke wurden nach vorne getragen und zurechtgerückt. Die Holzbänke zu seiner Rechten und Linken füllten sich mit in schwarz gekleideten Trauergästen, die sich leise unterhielten. Der Pfarrer legte sich seine Rede auf dem Rednerpult neben dem Sarg zurecht. Als die Orgelpfeifen erneut ertönten, setzte er sich wieder in Bewegung. Je weiter er ging Komma desto schrecklicher und erdrückender wurde das Gefühl. Es schauderte ihn bei dem Gedanken ihr in das Gesicht blicken zu müssen.

Vor einer Woche hatte er sie das letzte Mal gesehen. Er konnte sich noch an jedes Detail erinnern. Sie hatte in einem Korbsessel gesessen und eine helle Decke um ihre Beine gewickelt. Ihr Blick war hohl und sie starrte aus dem Fenster. Ihre Haut war so blass wie gewöhnlich und ihr Gesicht so schön wie nie. So weiche Gesichtszüge, volle Lippen, eine formvollendete Nase und ihre wunderschönen Augen, die jeglichen Glanz verloren hatten. Apathisch war ihr Blick und nur Leere strahlte aus ihr. So viel, dass er sich darin hätte verlieren können. Gerne erinnerte er sich daran, wie sie voller Leben und Wärme war. An die gemeinsamen allabendlichen Gespräche, an ihren Charme, ihren Humor und das herzhafte Lachen. Irgendwann zwischen damals und jetzt war es einfach versiegt. Wie sehr hatte er versucht es ihr wieder zu bringen. Ihr Kopf war immer voll von Gedanken. Von Schönen und Wunderbaren, bis hin zu Ängstlichen und Trauererfüllten schönen und wunderbaren, ängstlichen und trauererfüllten - alles kleinschreiben. Doch irgendwann verlor sie einen nach dem anderen, bis nichts mehr übrig war. Hilflosigkeit bestimmte schon seit Jahren sein Leben. Wie gerne hätte er sie gerettet. Sie hatte stets versucht, alles für ihn zu sein, auch wenn er es lange nicht verstanden und geglaubt hatte. Erst mit der Zeit hatte er begriffen, wann es begonnen hatte viermal "hatte", sie zu zerstören. So sehr versuchte er ihr Halt zu geben und doch entglitt sie ihm jeden Tag mehr. Ohnmächtig sah er zu, wie sie ihn verließ. Stück für Stück. Bis irgendwann nichts mehr von ihr übrig war.

In diesem Moment stand er vor ihr. Ihre langen Wimpern ruhten auf den blassen Wangen. In ihrem Gesicht konnte er erkennen, dass sie nicht einmal im Tod ihren Frieden gefunden hatte, Woran erkannte er das - wie sah ihr Gesicht aus? Das restliche Aussehen - also Kleidung, Körperhaltung usw würden mich als Leser auch brennend interessieren. denn ihr Herz kam nie mehr zurück. Ein letztes Mal berührte er ihre kühlen Hände und nahm Abschied von seiner Mutter, wie schon vor Jahren.
Das Ende gefällt mir sehr gut.
Struppigel ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 17.02.2007, 12:15   #7
Yve
 
Dabei seit: 12/2005
Beiträge: 756


Vielen Dank für deinen Kommentar und dein aufmerksames Lesen

Ich werd mich dransetzen und das verbessern.

Danke auch für das Lob und alles Weitere siehe PN

Yve
Yve ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 17.02.2007, 12:23   #8
Struppigel
 
Dabei seit: 05/2006
Beiträge: 1.007


- Text verschoben -
Struppigel ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 21.07.2007, 13:20   #9
männlich Roan Eck
 
Dabei seit: 01/2007
Ort: München
Beiträge: 168


hey
ich find den text sehr gut und auch das überaschende ende finde ich gut gewählt. Ich finde die wechsel immer gut gelungen und Spannung ist auch vorhanden, also was will man mehr?
gruß roan
Roan Eck ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 31.07.2007, 11:16   #10
Yve
 
Dabei seit: 12/2005
Beiträge: 756


Ups Ich hab deinen Kom. ganz übersehen Roan Aber danke für das Lob und ich freu mich drüber

Yve
Yve ist offline   Mit Zitat antworten
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