Neapel, 1945 bei Poetry.de

Ilka-Maria · 30.10.2011, 19:42

Nummer zehn. Pro Mann brauchten sie knapp sechzig Sekunden. Mir blieben also noch maximal zehn Minuten, und dabei war ich erst siebzehn und dachte an Mutter.

Der vor mir war älter, vielleicht schon verheiratet und Vater. Sie banden ihm die Fußknöchel mit Seilen zusammen, hievten ihn hoch, daß er kopfunter hing, und schlitzten ihm den Bauch auf. Seine Gedärme quollen schneller raus als sein erster Schmerzensschrei. Als er begriffen hatte, was ihm geschah, hielt er sich nicht mehr zurück und schrie alles, was an Leben noch in ihm war, in die Welt hinaus.

Der Stille nach dem Tod folgte der nächste Soldat, da war ich Nummer acht.
Und erst siebzehn.

Und der vor mir war noch ein Kind. Aber was wiegt das im Krieg?

Nummer sieben, sechs, fünf, vier – ich und noch zwei vor mir.

Ich hatte mir Neapel immer anders vorgestellt.

„Stop it!“ bellten englische Soldaten mit erhobenen Gewehren. Nicht unsere Verbündeten, sondern meine Feinde bewahrten mich vor dem Tod.

Nach zwei Jahren Gefangenschaft durfte ich nach Hause, ohne den Krieg verstanden zu haben, aber mit unlöschbaren Bildern im Kopf. Ein unversehrter Krüppel.

30.Oktober 2011
by Ilka-Maria

Thing · 30.10.2011, 20:41

Wieder grausig, wahr und grausig wahr.
Schrecklich. Heute Nacht kann ich bestimmt nicht schlafen!

Kannst Du noch ändern?
"Quillten" ist falsch, korrekt: quollen.

Thing

Ilka-Maria · 30.10.2011, 21:06

Ja, ich konnte es noch ändern, obwohl ich unter quillen und quellen das gleiche verstehe. Es gibt beide Wörter in der deutschen Sprache. Falsch war es nicht, nur weniger geläufig.

Thing · 30.10.2011, 22:43

Ich bin sehr sicher, daß bei beiden Formen die Vergangenheitsform "quoll" ist.

LG!

Ilka-Maria · 31.10.2011, 04:52

O.k.

Hab's ja geändert. Bin also auf der sicheren Seite.

Ex-Sabi de Sombre · 31.10.2011, 16:01

sehr nah am geschehen, ilka, hast du die story geschrieben.

dein werk wühlte mich auf.
gerade, weil es aus der ich-perspektive erzählt wird. dadurch klingt es sehr authentisch.

im krieg wurden soldaten oft mit drogen versorgt, daher konnten sie nächte- bzw. tagelang durchkämpfen. nicht auszudenken, was für spätschäden sie zusätzlich noch davontrugen.

tolles, jedoch auch grusliges thema.
gut gemacht.

lg sabi

Thing · 31.10.2011, 16:05

halli hallo, sabi -

wenn Dir der Bauch aufgeschlitzt wird, bekommnste vom "Henker" vorher keine Drogen.

Mir fällt ein Film mit M. Mastroianni ein.
Priester.
Wurde zum Glück nur abgeknallt von den Nazis.

U.

Ex-Sabi de Sombre · 31.10.2011, 16:10

Zitat:

Zitat von Thing

halli hallo, sabi - wenn Dir der Bauch aufgeschlitzt wird, bekommste vom "Henker" vorher keine Drogen.

dann sicher nicht. mein wissen um die drogen habe ich aus einer speziellen doku.
so wurden den schwer verwundeten soldaten opiate, wie z.b. morphium verabreicht. das nur so nebenher.

lg sabi

Thing · 31.10.2011, 16:11

Du hast den Inhalt nicht erfaßt!

Ex-Sabi de Sombre · 31.10.2011, 16:20

Zitat:

Zitat von Thing

Du hast den Inhalt nicht erfaßt!

meinst du evtl mich, thing?

oder watt

lg sabi

Thing · 31.10.2011, 16:27

Na klar - wen sonst?
Lies den Text noch einmal Wort für Wort.
Gründlich.

LG!
Thing

Ex-Sabi de Sombre · 31.10.2011, 16:36

Zitat:

Zitat von Thing

Na klar - wen sonst? Lies den Text noch einmal Wort für Wort. Gründlich!

ist ja guuuuuuuuut...

tja, auch nach mehrmaligem lesen bleibe ich bei meiner betrachtung.

ein grusliges, aber höchst interessantes stück prosa.

lg sabi

Ilka-Maria · 31.10.2011, 16:47

Zitat:

Zitat von Sabi de Sombre

sehr nah am geschehen, ilka, hast du die story geschrieben.

Wenn die Tommies dem Abschlachten deutscher Soldaten im Hafen von Neapel nicht ein Ende bereitet hätten, wäre jemand anders mein Vater geworden als jener 17jährige, der nach zweieinhalb Jahren englischer Kriegsgefangenschaft wohlbehalten nach Hause entlassen wurde. Das "Certificate of Discharge" habe ich immer noch.

Thing · 31.10.2011, 16:47

Ich kam mit Deinen Morphinen nicht zurecht.
Die gabs höchstens für die beiden Geretteten.
Die andern waren schon aufgeschlitzt und brüllend gestorben.
Schlimmer als Schlachttiere, denen man zumindest den Schädel zertrümmerte oder die Carotis durchschnitt, bevor man sie halbierte.

LG!
U.

30.10.2011, 19:42	#1
Ilka-Maria Forumsleitung Dabei seit: 07/2009 Ort: Arrival City Beiträge: 31.111 Meine Geschichten Meine Favoriten	Neapel, 1945 Nummer zehn. Pro Mann brauchten sie knapp sechzig Sekunden. Mir blieben also noch maximal zehn Minuten, und dabei war ich erst siebzehn und dachte an Mutter. Der vor mir war älter, vielleicht schon verheiratet und Vater. Sie banden ihm die Fußknöchel mit Seilen zusammen, hievten ihn hoch, daß er kopfunter hing, und schlitzten ihm den Bauch auf. Seine Gedärme quollen schneller raus als sein erster Schmerzensschrei. Als er begriffen hatte, was ihm geschah, hielt er sich nicht mehr zurück und schrie alles, was an Leben noch in ihm war, in die Welt hinaus. Der Stille nach dem Tod folgte der nächste Soldat, da war ich Nummer acht. Und erst siebzehn. Und der vor mir war noch ein Kind. Aber was wiegt das im Krieg? Nummer sieben, sechs, fünf, vier – ich und noch zwei vor mir. Ich hatte mir Neapel immer anders vorgestellt. „Stop it!“ bellten englische Soldaten mit erhobenen Gewehren. Nicht unsere Verbündeten, sondern meine Feinde bewahrten mich vor dem Tod. Nach zwei Jahren Gefangenschaft durfte ich nach Hause, ohne den Krieg verstanden zu haben, aber mit unlöschbaren Bildern im Kopf. Ein unversehrter Krüppel. 30.Oktober 2011 by Ilka-Maria

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Thing R.I.P. Dabei seit: 05/2010 Beiträge: 34.998 Meine Geschichten Meine Favoriten	Wieder grausig, wahr und grausig wahr. Schrecklich. Heute Nacht kann ich bestimmt nicht schlafen! Kannst Du noch ändern? "Quillten" ist falsch, korrekt: quollen. Thing

30.10.2011, 21:06	#3
Ilka-Maria Forumsleitung Dabei seit: 07/2009 Ort: Arrival City Beiträge: 31.111 Meine Geschichten Meine Favoriten	Ja, ich konnte es noch ändern, obwohl ich unter quillen und quellen das gleiche verstehe. Es gibt beide Wörter in der deutschen Sprache. Falsch war es nicht, nur weniger geläufig.

30.10.2011, 22:43	#4
Thing R.I.P. Dabei seit: 05/2010 Beiträge: 34.998 Meine Geschichten Meine Favoriten	Ich bin sehr sicher, daß bei beiden Formen die Vergangenheitsform "quoll" ist. LG!

31.10.2011, 04:52	#5
Ilka-Maria Forumsleitung Dabei seit: 07/2009 Ort: Arrival City Beiträge: 31.111 Meine Geschichten Meine Favoriten	O.k. Hab's ja geändert. Bin also auf der sicheren Seite.

31.10.2011, 16:01	#6
Ex-Sabi de Sombre abgemeldet Dabei seit: 08/2010 Beiträge: 993 Meine Geschichten Meine Favoriten	sehr nah am geschehen, ilka, hast du die story geschrieben. dein werk wühlte mich auf. gerade, weil es aus der ich-perspektive erzählt wird. dadurch klingt es sehr authentisch. im krieg wurden soldaten oft mit drogen versorgt, daher konnten sie nächte- bzw. tagelang durchkämpfen. nicht auszudenken, was für spätschäden sie zusätzlich noch davontrugen. tolles, jedoch auch grusliges thema. gut gemacht. lg sabi

31.10.2011, 16:05	#7
Thing R.I.P. Dabei seit: 05/2010 Beiträge: 34.998 Meine Geschichten Meine Favoriten	halli hallo, sabi - wenn Dir der Bauch aufgeschlitzt wird, bekommnste vom "Henker" vorher keine Drogen. Mir fällt ein Film mit M. Mastroianni ein. Priester. Wurde zum Glück nur abgeknallt von den Nazis. U.

31.10.2011, 16:11	#9
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31.10.2011, 16:27	#11
Thing R.I.P. Dabei seit: 05/2010 Beiträge: 34.998 Meine Geschichten Meine Favoriten	Na klar - wen sonst? Lies den Text noch einmal Wort für Wort. Gründlich. LG! Thing

31.10.2011, 16:47	#14
Thing R.I.P. Dabei seit: 05/2010 Beiträge: 34.998 Meine Geschichten Meine Favoriten	Ich kam mit Deinen Morphinen nicht zurecht. Die gabs höchstens für die beiden Geretteten. Die andern waren schon aufgeschlitzt und brüllend gestorben. Schlimmer als Schlachttiere, denen man zumindest den Schädel zertrümmerte oder die Carotis durchschnitt, bevor man sie halbierte. LG! U.