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Sonstiges Gedichte und Experimentelles Diverse Gedichte mit unklarem Thema sowie Experimentelles.

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Alt 05.11.2006, 17:24   #1
cute_fighter
 
Dabei seit: 02/2006
Beiträge: 1.123

Standard Schach

In Winterkriegeshänden
ruht schwarzer Bauer
zum letzten Zug bereit.

Das Schachbrettleben
im Schleierwind, von Grau
der Taubenfederblicke.

Am Rand des Feldes blieb
versehrt - Figurenfriedhofslager
mit schwarz und weiß gefüllt.
cute_fighter ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 05.11.2006, 18:36   #2
dead_poet
 
Dabei seit: 03/2006
Beiträge: 624

hi du (Schachspiel)Kriegerin!

du hast in deinem Gedicht ein Wort, dass ich glatt zum Wort des Monats küren würde!

"Figurenfriedhofslager" - klasse!
Der Friedhof ist ein Ort, an dem man den Menschen gedenkt, die man einst geliebt hat. Figuren zu beerdigen, machte diese Athmosphäre kaputt, da man zu ihnen keinen persönlichen Bezug zu ihrem individuellen Charakter hatte, lediglich ihre Funktion zu schätzen kannte. Lager ist dann der Hammer. Tote ökonimisch zu deponieren ist wirklich heftig.

Die Qualität dieses eines Wortes setzt natürlich einen äußerst hohen Anspruch an den Rest des Textes, den es m.E. nicht ganz tragen kann - zumindest nicht auf sprachlicher Ebene - den Inhalt habe ich noch nicht erfasst.

Wollen wir mal der Reihe nach:

"Winterkriegeshänden" ist auch spitze - sie scheinen mir abgehärtet und auch in kritischen Situationen wie einem "krieg" absolut beherrscht zu sein. Musste hier sofort an Stalingrad denken.
Der letzte Zug, der vermutlich die Vernichtung des Gegners / Schachmatt erwirken wird, liegt also in starken Händen. Dass dieser mit einem "Bauer(n)" ausgeführt wird, lässt darauf schließen, dass es sich um eine große Überlegenheit oder aber eine zuvor ungewöhnliche Ausschaltung der jeweils besten Kräfte gehandelt haben muss.
Diese Strophe ist mir etwas seltsam formuliert, konkret: mir fehlt der Artikel beim "schwarze(n) Bauer" - nach meinem Verständnis würde ich einen unbestimmten verwenden, da der Bauer ja nur eine relativ unbedeutende Figur ist (es gibt ja beiderseits acht der Sorte). Gut, wenn ein Zug beim Schlachspielen vollzogen wird, sagt man auch "schwarzer Bauer E7E5"... Aber da ist er immerhin auch noch eine relativ bedeutende Figur, vergleicht man ihn denn mit einem einfachen Infanteristen.
Interessant ist die Farbe "schwarz", die den 'Schachspieler' mir erst als den 'Bösen' dargestellt hat; aber bei kurzem Nachdenken bin ich diesbezüglich ins Wanken gekommen, da ja Weiß (mit dem Krieg) beginnt.

"Schachbrettleben" gefällt mir gar nicht. Das klingt so nach "Alltag" und das ist ein Krieg m.E. nicht. Andererseits: wo soll der Schachspieler sonst seine abgebrühte Hand her haben?
der "Schleierwind" scheint mir etwas verbergen zu wollen. Aber was? Ein eiskalter Schneesturm passte für mich in die Athmosphäre besser, aber ich kenne ja nicht Bedeutung dieser Strophe auch nicht.
...denn die "Taubenfederblicke" kann ich auch nicht deuten. "Taube" für Frieden, "feder" für Freiheit, "blickt" jemand auf das Schachbrettleben? Und warum "Grau"? Sollen damit die Augen Freiheitsdenkenden verbunden werden? Die Propaganda ("Schleierwind") hat sie im Griff?
Hm, bin mir da recht unsicher - wie gesagt, auch sprachlich finde ich diese Strophe nicht so ansprechend. (vor allem auch, weil Federn doch nicht blicken können... gut das sollen sie ja vllt. auch nicht - hm...)

So, letzte Strophe mit meinem Lieblingswort
Der Einstieg ist gut: Ein Verletzter am Spielfeldrand - einen Soldaten als solches zu bezeichnen, finde ich wieder schön fies
Der Satz wird aber nicht zu Ende geführt... weil es vermutlich gar keine Verletzen gibt? Darauf ließe mich zumindest das "Figurenfriedhofslager" schließen - beim Schach gibt es keine Verletzen, nur Tote.
Mir gefällt es trotzdem nicht, dieser angefangene Satz. Das steht im Widerspruch zu dem kaltschnäuzig (scheinbar vorhersehenden) Schachspieler. Klar, es ist nicht aus der Sicht dessen, sondern von einem neutralen Betrachter geschildert. Aber genau das bleibt er an diesem Punkt nicht! Durch das Stocken im Erzählfluss nimmt er eine menschliche Person an, zeigt, wie er langsam erst das Grauen begreift. Ich würde es aber bei einer einfachen Schilderung belassen - das Trugbild der "Sportverletzung" reicht meiner Meinung nach aus, als dass es einer so unschön zu lesender Unterbrechung bedarf.
Oder...?
Ich weiß nicht, meine Begründung sagt mir überhaupt nicht zu Sie bestätigt eher, dass deine Zensur in der vorletzten Zeile ihren Sinn macht. Ließt sich einfach komisch, vllt. sollte ich es dabei belassen und akzeptieren, dass das gewollt ist...

Also Resumée:
Die zweite Strophe gefällt mir nicht sonderlich, der Rest ist weitgehend ganz gut
und "Figurenfriedhofslager" muss ich unbedingt nochmal als WOW-WORT betonen

Liebe Grüße,
dead
dead_poet ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 05.11.2006, 19:50   #3
cute_fighter
 
Dabei seit: 02/2006
Beiträge: 1.123

huch, hi dead.

Du hast ja ganze Romane über das kurze Gedicht verfasst.

Ich erkläre kurz das Bild (der zweiten Strophe). Vor liegt das Schachbrett (schwarz,weiß,schwarz,weiß...). Der Schleierwind war zunächst ein simples "verschwimmen" jedoch fand ich das irgendwie unschön und habe lange nach dem Schleierwind gesucht. Er zieht praktisch einen Schleier über das Ganze. Vielleicht hat dich das Komma danach so irritiert, denn wenn man die beiden Schachbrettfarben verwischen, verschleiern sieht, erhält man ein grau. Dasselbe Grau der Taubenfedern, die Blicke aufsaugen.
All das, was du in meine Bilder interpretiert hast, hat mich sehr fasziniert. Der Grund, warum ich Metaphern so liebe. Du bist das beste Beispiel. Man kann seitenweise in verschiedenste Bilder hineininterpretieren. Meist nehme ich die gelesenen Bilder einfach so, wie sie sind. Interpretiere sie vielleicht ein wenig für mich, aber trotzdem bleibt die wahre Schönheit bei den Metaphern selbst. Für was genau welches Bild steht, weiß ich meistens gar nicht und mir fällt erst im Nachhinein auf, dass "Taube" Frieden bedeutet, was ja sogar in deine Interpretation passt. Wirklich toll.
"Figurenfriedhofslager". Ja ein tolles Wort. So was kommt dabei heraus, wenn ich keine Adjektivketten vor das Nomen hängen mächte, die erklären sollen, wie genau man sich das vorstellen soll. Die Figuren passten erst nicht ganz in den Lesefluss, vielleicht siehst du da auch deinen kleinen Bruch, der dich gleichzeitig stört und im Text begründbar ist (mir geht es oft genauso ). Ich finde aber der Bruch, der bei mir durch den Bindestrich als Pause hervorgerufen wird, irgendwie wichtig an der Stelle. Ohne Bindestrich zum Beispiel würde es sich nicht so lesen lassen, wie es jetzt dort steht.

Vielen Dank für deinen ausführlichen Kommentar. Hat mich sehr gefreut und vor allem die Sichtweisen, die du angeschnitten hast, laden sehr zum Nachdenken an.

Also nochmal: Danke!

vlg
cutie
cute_fighter ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 06.11.2006, 17:54   #4
Appelschnut
 
Dabei seit: 07/2006
Beiträge: 279

Hey cutie.
Das ist wirklich schön geworden, da hat dead ganz recht... Dein Neologismus: genial und wirklich so was von aussagekräftig. Klasse!
Ich weiß nicht, warum und ich weiß auch nicht, ob du das jetzt als Kompliment empfindest, aber mich erinnert die von dir geschilderte Szenerie an "Harry Potter und der Stein der Weisen", als sie sich durch dieses Riesenschachbrett kämpfen müssen - eine toller Abschnitt!

Gern gelesen! Und liebe Grüße...
Appelschnut ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 06.11.2006, 19:05   #5
cute_fighter
 
Dabei seit: 02/2006
Beiträge: 1.123

hallo Fussballerin.

Freut mich sehr, dass mein Gedicht auf bei dir Anklang findet.
Mit einer Szene in Harry Potter verglichen zu werden ist doch ein ziemliches Kompliment, wobei ich selbst da überhaupt nicht drauf gekommen wäre. Denn immerhin ist sie, auch wenn mitlerweile von manchen nicht mehr gemocht, eine gute Schriftstellerin. Zu mindest fasziniert es mich immer wieder auf's Neue, wenn ich in den englischen oder deutschen HP Büchern stöber.
Also Danke Dir!

vlg
cute
cute_fighter ist offline   Mit Zitat antworten
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