Homo sapiens

[Krebsgestoeber]

Ich sitze vor dem Fernsehbild mit aufgesperrter Fresse
und seh, mit wem ich täglich den Planeten teilen muss.
Die Menschen auf der Straße denken quer und reden Stuss.
Mein Kopf hält unsrer Spezies eine finstre Totenmesse.

Im Bierzelt meines Bauchs beginnt es angenehm zu jucken,
ein Taumel der Erhabenheit bricht über mich herein.
So virtuos wie ich kann niemand in die Röhre gucken,
darum zitier ich erstmal Kant und grunze wie ein Schwein.

„Wer holt die Menschheit nur aus ihrem selbstgerechten Schlummer?
Oh lieber Gott, lass Hirn vom Himmel fallen!
Die Welt erstickt, wir knien auf ihrem Nacken, fressen Hummer
und lassen die Champagnerkorken knallen.

Der Homo sapiens (seufz und schnief) von Dummheit hingerafft,
die Last der Welt, sie ruht auf mir, dem Denker.
Wer führt die Schwurbler endlich aufs Schafott und spielt den Henker,
wenn's nicht einmal der kluge Drosten schafft?“

[Anaximandala]

Ich setz einfach mal nen Text von Goethe dazu, ich find der bezieht toll Stellung.

Keinen Reimer wird man finden,
Der sich nicht den besten hielte,
Keinen Fiedler, der nicht lieber
Eigne Melodien spielte.

Und ich konnte sie nicht tadeln;
Wenn wir andern Ehre geben,
Müssen wir uns selbst entadeln.
Lebt man denn, wenn andre leben?

Und so fand ich's denn auch juste
In gewissen Antichambern,
Wo man nicht zu sondern wusste,
Mäusedreck von Koriandern.

Das Gewesne wollte hassen
Solche rüstge neue Besen,
Diese dann, nicht gelten lassen,
Was sonst Besen war gewesen.

Und wo sich die Völker trennen,
Gegenseitig im Verachten,
Keins von beiden wird bekennen,
Dass sie nach demselben trachten.

Und das grobe Selbstempfinden
Haben Leute hart gescholten,
Die am wenigsten verwinden,
Wenn die andern was gegolten

Ich find bei so einem Thema sollte man seinen Standpunkt auf kleine Aspekte runterbrechen, oder man sucht weitreichendere Aussagen im lösen von Gegensätzen. Dem eignen Standpunkt treu wie blind ergeben ist rechts wie links, oben wie unten, pro wie contra... scheiße. Trotzdem mag ich je eins mehr.

Außerdem, wer findet den eigenen Standpunkt denn nicht besser, fühlt sich klüger, will sich selbst damit erheben und was gelten.

Ich mein, nichts andres tu ich hier grade. Ich würd nichts schreiben, wenn ich die Antwort nicht gut und passend fände, für die Beste die ich so zusammenbekomme. Als eine um mit ihr gelten zu können, und wenn nur vor mir selber, vor mir aber gewiss.
Kunst, Literatur, Selbstdarstellung im Internet: hier singt das Ego Lobeshymnen auf Standpunkte und darauf, wie klein es ist. Das ganze schreibe ich natürlich aus Gründen des Egos, was ich in den Fokus rücke als Lobeshymne auf mein kleines Ego^^

[Krebsgestoeber]

Lieber Anaximandala,

danke dir für deine reflektierte Antwort. Aber ein bisschen Beef muss auch mal sein. Schließlich sind unsere Egos nicht nur Deko

Beste Grüße
Krebsgestoeber

[Anaximandala]

Hey mein Lieber,
du hast total recht, das selbe hab ich vor ein paar Tagen erst sehr ähnlich erlebt... also manchmal muss es einfach sein
Und manchmal macht es auch einfach richtig viel Spass das Ego zu holen und es Krieg spielen zu lassen, das würde ich am liebsten bei jedem stocksteifen Standpunkt machen, der richtig ist eben weil er richtig ist... so hab ich in den letzten paar Tagen beiden Seiten nen Schlag ins Gesicht geschrieben

Hab noch einen schönen Abend
und beste Grüße zurück

[Ilka-Maria]

Zitat von Anaximandala

Dem eignen Standpunkt treu wie blind ergeben ist rechts wie links, oben wie unten, pro wie contra ...

Guten Morgen,

ich sehe den Text als Überspitzung an. Einem Autor, der sich das zutraut, ist Aufmerksamkeit sicher. Und Krebsgestöber hat das wahrlich von Anfang bis Ende durchgezogen. Witzig ist der Widerspruch zwischen dem Titel "Homo sapiens" ("wissender Mensch") und der Generalabrechnung des Autors mit der (aus seiner Sicht) totalen Dummheit dieser Spezies. Deshalb hätte das Gedicht auch unter "Humor" stehen können.

Ich finde das Gedicht gelungen.

Schönen Tag noch.

Ilka

[Krebsgestoeber]

Liebe Ilka,

vielen Dank für deinen lobende Replik.

Zitat von Ilka-Maria

Witzig ist der Widerspruch zwischen dem Titel "Homo sapiens" ("wissender Mensch") und der Generalabrechnung des Autors mit der (aus seiner Sicht) totalen Dummheit dieser Spezies. Deshalb hätte das Gedicht auch unter "Humor" stehen können.

Ich finde es witzig, dass ihr beide glaubt, ich wäre das lyrische Ich. Mein Gedicht ist eine Generalabrechnung, ja, aber mit Menschen, die die gesamte Menschheit in Sippenhaft für ihre eigene medial induzierte Unzufriedenheit nehmen. Menschen, die an die Vernunft appellieren, aber selbst nur das Stimmungsbild aus den Leitmedien reproduzieren. Diese Menschen kommen hier - wie du schriebst, Ilka - überspitzt zu Wort und verballhornen sich selbst. Offenbar ist das nicht eindeutig rübergekommen, was mit Sicherheit nicht an euch, sondern an dem Gedicht liegen muss. Vielleicht auch am Titel? Es kommt also noch mal ins Arbeitsfach.

Ich für meinen Teil habe keinen Fernseher und finde den erzieherischen Unterton, besonders in den aktuellen Beiträgen der Tagesschau, so unerträglich, dass ich mir nichts dergleichen freiwillig antue.

Liebe heitere percaperca,

Mir persönlich ist das "Fernsehbild" als Spiegel unserer Gesellschaft, als verlässlicher Gradmesser unserer menschlichen Eigenarten, zu flach.

Mein Text hat keinen anthropologischen Anspruch.

Beste Grüße
Krebsgestoeber

[Ilka-Maria]

Zitat von Krebsgestoeber

Ich finde es witzig, dass ihr beide glaubt, ich wäre das lyrische Ich.

Keine Ahnung, woraus du das für mich schließt. Habe ich doch gar nicht.

[Krebsgestoeber]

Zitat von Ilka-Maria

Keine Ahnung, woraus du das für mich schließt. Habe ich doch gar nicht.

Du schreibst von der

Zitat von Ilka-Maria

Generalabrechnung des Autors mit der (aus seiner Sicht) totalen Dummheit dieser Spezies

Ich habe den Satz so gelesen, dass ich (KG) als Autor mit der aus meiner Sicht dummen Spezies abrechne. Allerdings rechnet hier ein leidenschaftlicher Tagesschau-Rezipient mit der Dummheit unserer Spezies ab, nicht ich. Wenn du von Anfang an auf demselben Dampfer warst wie ich, dann scheint mein Gedicht doch nicht daneben gegangen zu sein.

Beste Grüße
KG

[Krebsgestoeber]

Zitat von percaperca

Wenn Du nicht möchtest, liebes Krebsgestöber, dass wir Zeilen wie

nicht so lesen sollen, wie sie dastehen, müsstest Du's dazuschreiben, jedenfalls aber nicht "ich" sagen. Sonst meinen einfach gestrickte LeserInnen wie perca, Du meintest wirklich das, was Du uns da geschrieben hast.

Was wolltest Du uns Menschen denn anderes sagen?

Autor ≠ Sprecher

[Ilka-Maria]

Zitat von Krebsgestoeber

Ich habe den Satz so gelesen, dass ich (KG) als Autor mit der aus meiner Sicht dummen Spezies abrechne. Allerdings rechnet hier ein leidenschaftlicher Tagesschau-Rezipient mit der Dummheit unserer Spezies ab, nicht ich.

Natürlich ist der Erzähler einer Geschichte oder das Lyrische Ich nicht mit dem Autor identisch. Das müsste schon als autobiografischer Text eindeutig erkennbar sein. Ich hätte also "Protagonist" anstatt "Autor" schreiben sollen, da war ich tatsächlich unaufmerksam.

Zitat von percaperca
Es gibt sehr viele verschiedene Blickwinkel. Man erhält sie aber nicht, wenn man immer nur auf die eine Stelle starrt

Tolle Weisheit!
Kein Mensch ist fähig, nur aus einer Perspektive zu denken und zu handeln, selbst wenn er wollte, was schlicht daran liegt, dass er von Natur ambivalent ist und ständig in Widersprüchen lebt.

Kannst du eigentlich noch etwas anderes, als querbeet durch das Forum mit dem Oberlehrerfinger zu wackeln?

[Ex-petrucci]

Um ehrlich zu sein, wäre das gesamte Gedicht besser, wären es nur die zwei Strophen:

Ich sitze vor dem Fernsehbild mit aufgesperrter Fresse
und seh, mit wem ich täglich den Planeten teilen muss.
Die Menschen auf der Straße denken quer und reden Stuss.
Mein Kopf hält unsrer Spezies eine finstre Totenmesse.

Im Bierzelt meines Bauchs beginnt es angenehm zu jucken,
ein Taumel der Erhabenheit bricht über mich herein.
So virtuos wie ich kann niemand in die Röhre gucken,
darum zitier ich erstmal Kant und grunze wie ein Schwein.

Strophe drei und vier sind platt und in ihrem Inhalt inflationär und werden der Stärke von S1 und S2 nicht gerecht.