Poetry.de - das Gedichte-Forum
 kostenlos registrieren Forum durchsuchen Letzte Beiträge

Zurück   Poetry.de > Poetry Workshop > Theorie und Dichterlatein

Theorie und Dichterlatein Ratschläge und theoretisches Wissen rund um das Schreiben.

Antwort
 
Themen-Optionen Thema durchsuchen
Alt 15.07.2005, 13:07   #1
GothicAngel
 
Dabei seit: 06/2005
Beiträge: 30

Standard Problem mit dem Versmaß

Ich versuche inzwischen immer auf das versmaß zu achten, aber ich krieg das absolut nicht auf die Reihe. Ich weiß was Anapäst, Daktylus u.s.w ist ...aber ich höre die Hebungen und Senkungen einfach nicht.. Hab ihr da irgendnen Trick bei!?
GothicAngel ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 15.07.2005, 14:59   #2
Beteigeuze
Gast
 
Beiträge: n/a

Es gibt keinen Trick, außer dem musikalischen Gehör. Versuch darauf zu achten, ob Du bei einer Silbe eher die Stimme senkst oder hebst. Sprichst Du beispielsweise das Wort "schaue" aus, hebt sich die Stimme auf "schau" und senkt sich auf "e". Das ist alles. Manchmal betonen sich Worte im Fluß des Satzes auch anders als sonst; dann gibt es wiederum auch Worte, deren Betonung nicht verändert werden kann.

Ich habe vor einiger Zeit einen ausführlichen Senf über Metrik verfasst, wo ich auch die Betonungen an bestimmten Stellen angegeben habe. Möglicherweise hilft Dir das ja.

Dann poste ich mal:

Metrik


Zeichenerklärung:

H = Hebung bzw. betonte Silbe
S = Senkung bzw. unbetonte Silbe


Männliche Kadenz bedeutet, der Vers endet mit einer betonten Silbe.
Weibliche Kadenz bedeutet, der Vers endet mit einer unbetonten Silbe.


Der Trochäus (H S) ist ein Versfuß, der eine Hebung mit einer folgenden Senkung verbindet.

Hier ein Beispiel:

„Freude, schöner Götterfunken“ / 4-füßiger Trochäus
---H--S-----H-S---H--S--H---S

Der Jambus (S H) ist ein Versfuß, der eine Senkung mit einer folgenden Hebung verbindet.

Hier ein Beispiel:

„Im Nebel ruhet noch die Welt“ / 4-füßiger Jambus
--S---H-S--H-S---H----S---H

Der Daktylus (H S S) ist ein Versfuß, der eine Hebung mit zwei folgenden Senkungen verbin-det.

Hier ein Beispiel:

„Unbemerkt nahet die Göttin mir“ / 3-füßiger Daktylus
--H--S---S---H--S---S---H--S--S

Der Anapäst (S S H) ist ein Versfuß, der zwei Senkungen mit einer folgenden Hebungen ver-bindet.

Hier ein Beispiel:

„Schau zurück und erkenn jene Küste“ / 3-füßiger Anapäst, der in weiblicher Kadenz endet
--S------S--H--S---S--H---S--S--H--S

Weiterhin gibt es z.B. noch Versfüße wie den Spondeus (H H) oder andere, die aber in der deutschen Sprache eher unüblich sind, weshalb ich auf diese hier nicht weiter eingehe.



In der Dichtung wird nun eine bestimmte Anzahl an Versfüßen im Vers miteinander verbunden. So entstehen drei-, vier-, fünf- oder sechsfüßige Jamben, Trochäen usw. Unter diesen haben einige be-sondere Namen:


Der Blankvers ist ein fünffüßiger ungereimter Jambus.

Beispiel:

„Es eifre jeder seiner unbestochnen,
-S-H-S--H-S--H--S---H--S--H---(S)
Von Vorurteilen freien Liebe nach.“
--S---H-S--H-S--H-S--H-S----H


Der Hexámeter (Sechsfuß) ist ein Daktylus-Vers. Er hat jedoch nie ausschließlich daktylische Füße, nur der fünfte Fuß muss ein Daktylus und der sechste ein Trochäus sein.

Beispiel:

Sing, unsterbliche Seele, der sündigen Menschen Erlösung,
--H---S--H--S-S---H--S--S----H-S-S----H----S---S-H--S
Die der Messias auf Erden in seiner Menschheit vollendet.
-H--S--S-H-S--S--H--S--S---H-S----H----S---S-H--S


Das Distichon ist eine Verbindung von Hexameter und Pentameter (Fünffuß). Genaugenom-men ist der Pentameter ein Sechsfuß, aber da der dritte und der sechste Fuß aus nur einer Hebung bestehen, zählt man sie zusammen als einen Fuß.

Beispiel:

Im Hexámeter steigt des Springquells flüssige Säule,
-H--S-H-S-S---H-----S------H----S---H-S-S--H--S
Im Pentámeter drauf fällt sie melodisch herab.
-H--S-H-S-S----H----H--S----S-H--S--S-H


Man kann hier an allen Beispielen sehr schön sehen, dass es unzählige Worte gibt, die man je nach Satzstellung betont – die also keineswegs immer gleich betont werden. Allerdings gibt es auch Worte, die man einfach nicht anders betonten kann. Das sind meistens die Worte, die aus mehr als einer Silbe bestehen. Natürlich analysiert man auch oft falsch, weshalb Metrik eine manchmal nicht ganz einfache Sache ist – besonders bei Daktylus- und Anapästversen.

Nimmt man z.B. den „Schau zurück und erkenn jene Küste“-Vers aus dem Anapäst-Beispiel, könnte man auch versucht sein, das Wort „schau“ als eine Hebung zu interpretieren. Am besten analysiert man das Gedicht also bis zu Ende, damit man den Gesamtkontext versteht. In Einzelfällen kann es dennoch immer gerne mal zu Streitfragen kommen – bleibt beim Thema Metrik nicht aus.

Bevor man sich also an Hexámeter, Pentámeter, Distichon und solche Sachen heranwagt, sollte man sich eher zunächst mal in Trochäus- und Jambusversen versuchen.

P.S.: So wie ich sehe, verschieben sich hier leider meine Betonungswerte. Mal schauen, ob ich das noch hinkriege.
P.P.S.: Nun müsste es einigermaßen hinhauen.
  Mit Zitat antworten
Alt 15.07.2005, 16:46   #3
manfred
 
Dabei seit: 05/2005
Beiträge: 137

Hallo Beteigeuze,

das ist eine schöne Sache, dass du uns das gepostet hast. Ich hab`s ausgedruckt und auch meiner Frau gegeben, die da ebenfalls etwas bewanderter werden möchte.

Gewissermaßen Senf aus dem Feinkostladen (die Metrik, nicht meine Frau ! Die kommt aus der Obstabteilung !)

Dankeschön !
manfred ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 15.07.2005, 17:23   #4
Aust Schwiss-Leugnarr
 
Dabei seit: 06/2005
Beiträge: 124

Wirklich aufschlussreiche Erklärung Bete, Danke dafür.

Habe da aber eine Frage zu deinen erstem Beispiel:
Schaue wird oft schau geschrieben und gesprochen, wird also Ein-silbig ohne Senkung oder?
Aust Schwiss-Leugnarr ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 15.07.2005, 20:26   #5
GothicAngel
 
Dabei seit: 06/2005
Beiträge: 30

Danke für diese Ausführliche Antwort ,das meiste wusste ich schon (aus der Schule *hehe*) ...doch auch diesmal habe ich dazu gelernt..

Ich denke das ich einfach zu blöd bin das rauszuhören bzw. überhaupt kein musikalisches gehör habe!

Grüße GothicAngel
GothicAngel ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 15.07.2005, 21:03   #6
Aust Schwiss-Leugnarr
 
Dabei seit: 06/2005
Beiträge: 124

Zitat:
Original von GothicAngel
Danke für diese Ausführliche Antwort ,das meiste wusste ich schon (aus der Schule *hehe*) ...doch auch diesmal habe ich dazu gelernt..

Ich denke das ich einfach zu blöd bin das rauszuhören bzw. überhaupt kein musikalisches gehör habe!

Grüße GothicAngel
Das Problem habe ich auch, versuche im Moment stärker auf meine Aussprache zu achten, teilweise klappt es.


Allerdings haben auch Reime die nur betont sind etwas an sich, diesen unverkennbaren Maschinengewehrklang wie man ihn selten antrifft.

Versuche doch einfach "sanfte" Reime zu schreiben, nach der Betonung kräht kein Hahn.
Aust Schwiss-Leugnarr ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 15.07.2005, 21:58   #7
GothicAngel
 
Dabei seit: 06/2005
Beiträge: 30

Das hab ich bisher immer gemacht ,hab eigentlich kaum drauf geachtet aber inzwischen würde ich gern mal ein "formal korrektes" Gedicht schreiben.
GothicAngel ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 15.07.2005, 22:38   #8
Aust Schwiss-Leugnarr
 
Dabei seit: 06/2005
Beiträge: 124

Formal korrekt... das hört sich ja jetzt schon langweilig an*g*

Viel Glück bei deinem Versuch
Aust Schwiss-Leugnarr ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 16.07.2005, 09:16   #9
Don Carvalho
 
Dabei seit: 04/2005
Beiträge: 180

Ich schließe mich an: sehr gelungene Übersicht, herzlichen Dank dafür, Beteigeuze!

@Aust: Bei einsilbigen Wörtern ergibt sich die Betonung meist aus dem Zusammenhang, weshalb in Zeilen, in denen sehr viele einsilbige Worte zu finden sind, die Hebungen und Senkungen und somit das Versmaß zeitweise schwierig herauszufiltern sind.

Schau mir in die Augen Kleines
Xx Xx Xx Xx =4-hebiger Trochäus
(ich markiere die Hebungen/Senkungen üblicherweise mit Xx, HS habe ich noch nie gesehen?)

Ich schau niemals fremde Welten (besseres fällt mir gerade nicht ein)
Xx Xx Xx Xx = 4-hebiger Trochäus
oder ich sehe gerade, Bete hat ja beim Anapäst auch ein unbetontes schau. Sowohl da wie hier ergibt sich die Betonung erst, wenn man die gesamte Zeile betrachtet...

Bei meinem Beispiel könnte man auch zunächst versuchen
Ich schau niemals zu betonen,
xXxX - dann aber merkt man, das man nicht jambisch weiterbetonen kann, das ergäbe:
fremde Welten
Während man also den Zeilenanfang noch beliebig betonen kann, geht das am Ende der Zeile nicht mehr, sowohl fremde als auch Welten werden zwingend auf der ersten Silbe betont. Und damit lassen sich bezüglich der Hebungen Rückschlüsse auf den Zeilenanfang ziehen...

Um die Betonung herauszufinden, ist bei Zweifelsfällen übrigens auch oft der Griff zum Duden empfehlenswert, dort sind die betonten Silben gekennzeichnet.


Don Carvalho ist offline   Mit Zitat antworten
Antwort

Lesezeichen für Problem mit dem Versmaß

Themen-Optionen Thema durchsuchen
Thema durchsuchen:

Erweiterte Suche



Sämtliche Gedichte, Geschichten und alle sonstigen Artikel unterliegen dem deutschen Urheberrecht.
Das von den Autoren konkludent eingeräumte Recht zur Veröffentlichung ist Poetry.de vorbehalten.
Veröffentlichungen jedweder Art bedürfen stets einer Genehmigung durch die jeweiligen Autoren.