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Alt 15.04.2012, 16:14   #1
männlich Desperado
 
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Standard Wesp's Nest

Das vergessene Dorf mit dem klingend vielsagenden Namen Wesp’s Nest am Ende der Welt am äußersten Rand der Wüste hat einen Tanzboden und ist stolz darauf.

Eine große Trinkhalle für Youngsters, Mittelalterliche und Oldies, einen von alten Bäumen überschatteten Garten, je nach Wetterlage und Jahreszeit leidlich dicht bevölkert. Man möchte meinen, hier wäre der rechte Ort für ein geruhsam heiter geselliges Zusammensein, aber der friedliche Schein trügt.

Niemand kann sich mehr erinnern, wann genau die Sache aus dem Ruder lief.

Vielleicht liegt es am Gemeinderat, der nicht über die nötige Durchsetzungskraft und noch weniger Überblick verfügt und stattdessen immer wieder parteiisch dazwischengeht und dreinschlägt, ohne sich vorher die Mühe zu machen, auch nur ansatzweise nach den wahren Ursachen zu fragen, vielleicht am Bürgermeister, der ständig rumreist und unterwegs ist und sich nur alle heiligen Zeiten mal kurz blicken lässt, vielleicht daran, dass der Sheriff ein selbstgerechter Frömmler ist und sein Gehilfe ein Trunkenbold, womöglich auch an der herrschsüchtigen selbstverliebten Wirtin, deren Zunge spitz ist wie ein Dolch,vermutlich aber einfach nur daran, dass die Goldmine seit langem erschöpft und ausgeplündert ist, der Wesp’s Nest seine Gründung verdankt- jedenfalls vergeht kein Tag, an dem es im Tanzboden nicht zur wilden Keilerei kommt.

Die Anlässe sind nichtig, etwa ob der Himmel nun wirklich blau ist oder ob es den Leuten nur so vorkommt, es geht her und hin, drunter und drüber, immer lauter und heftiger, im Nu jagt eine Beleidigung das nächste Schimpfwort, und schon fliegen Fäuste und Krüge. Am nächsten Tag kommen die Beteiligten mit Veilchen und verschwollenen Lippen im Saloon angekrochen, wo Beliebiges vor sich hingeplaudert wird, und geben ziemlich zerschlagen jeweils der Gegenseite die Schuld, immer waren es die anderen, die den Streit vom Zaun gebrochen und die Gemüter zum Explodieren gebracht haben, doch heute wird sich die Angelegenheit bereinigen lassen, hoch und heilig versprochen.

Abends dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis der zerknirscht erzwungene Waffenstillstand zu bröckeln beginnt und die knisternde Spannung sich erneut entlädt, ein Funke genügt, um das Pulver zum Flammen zu bringen, und schon fallen sie wieder übereinander her, wutentbrannt entfesselt und frag nicht wie. Das geht nun so seit langen Jahren, und stoßen die jugendlich gewordenen Kinder des Dorfes dazu, folgen sie über Nacht dem Vorbild der Älteren und mischen schlagkräftig mit.

Wer das als friedliebender Zeitgenosse nicht mit anschauen will und nicht darin verwickelt werden, weil es auf Dauer nicht möglich ist sich herauszuhalten oder den herumfliegenden Wurfgeschossen auszuweichen, dem bleibt nur sein Pferd zu satteln und das Weite zu suchen. Wer gar versucht zu schlichten, bezieht von beiden Seiten Prügel, die sich gewaschen haben, und wird als Anstifter und Störenfried vor den Gemeinderat geschleift, der keinen Augenblick zögert, ihn ungehört zum Alleinschuldigen zu küren, teeren und federn zu lassen und aus dem Dorf zu jagen.

Es darf gerauft werden, das ist das ungeschriebene Gesetz in Wesp’s Nest, ja mehr noch, wer nicht mitschlägert, der hat hier nichts verloren.

All diese Entgleisung und Verrohung spielt sich gut verborgen hinter der Fassade von gepflegten Blumenbeeten, gediegenen Kaffeekränzchen und belanglosem Getratsche ab, mittels derer der Ankömmling getäuscht wird, wenn er arglos angeritten kommt im naiven Glauben, ein halbwegs normales Dorf vor sich zu haben.

Und noch ehe er im Saloon sein erstes Bier ausgetrunken hat, schleicht sich schon einer von hinten an ihn heran und schüttet ihm das seine über den Kopf. Reagiert er mit der entsprechenden Empörung, hat er schon verloren und wird von so gut wie allen Anwesenden als Raufbold und Störenfried angeklagt, der sich gefälligst zu Benehmen hat, sonst würde er hochkant rausfliegen.

Wenn er klug ist und besonnen, schmeißt er seinen Dollar auf den Tisch und bringt sich in Sicherheit ohne umzuschauen. Handelt es sich jedoch um einen sturen eitlen Desperado, dem es ins Blut übergegangen ist um sein Recht zu streiten, wird er nicht nur in diese sondern von da an mit der Regelmäßigkeit der Mondverwandlung in wüste Schlägereien verwickelt, es wird so lange vehement auf ihn eingedroschen, bis er entweder tot ist oder gelernt hat jenseits aller Regeln der Kunst zurückzugeben und auszuteilen.

Gelingt es ihm noch, die gehässigen Gemeinderatsmitglieder zur rechten Zeit einzulullen, was ob ihrer selbstgefälligen Wichtigkeit nicht allzu schwer ist, sowie der Wirtin andauernd reichlich Honig um ihr böses Schandmaul zu schmieren, unterscheidet er sich bald in nichts mehr von den Ansässigen und ihren Gepflogenheiten, bis er hoffentlich zur Besinnung kommt und sich auf seinen wartenden Gaul schwingt um für immer zu verduften. Ansonsten ist er für tauglich erklärt in die Dorfgemeinschaft aufgenommen und seine Seele los.

Denn außer Gewalttätigkeit bewegt und ereignet sich nichts in diesem verwunschenen Dorf, das selbst die Krähen meiden, niemandem wird wirklich geholfen und kein Suchender findet brauchbaren Rat, so wie es eingangs in höchsten Tönen angepriesen und anheimelnd versprochen wird. Schöne und scheinheilige Plattitüden und Binsenweisheiten sind das Zuckerbrot, dem erbarmungslos die Peitsche folgt, die verlockenden Düfte der fleischfressenden Pflanze werden so manchem hungernden Käferchen zum Verhängnis, der betörende Ruch trügerischer Freiheit zum finsteren Kerker, aus dem es kein Entrinnen mehr gibt.

Wesp’s Nest ist eine verführerische Falle, eine süchtigmachende Droge, ein wirkliches Verhängnis.
Die Wüste ist voller Gefahren, aber der vermeintliche Schutz dieses Nestes ist der hinterhältigsten eine.

Wer nun glaubt dass diese Geschichte frei erfunden ist und es ein Dorf wie dieses in Wahrheit hoffentlich nicht geben kann, hatte einfach noch nicht das zweifelhafte Vergnügen, sich in diesen abgelegenen Winkel im Niemandsland nach Mexiko zu verirren. Und einen freischweifenden Desperado verschlägt es eben überall dort hin, wo vernünftige Leute einen großen Bogen drum machen, einfach weil er weiß dass er auch wieder rauskommt aus dem Schlamassel so er will. Um sich hinterher immerhin damit zu trösten, dass er sich diesen Spaß in Zukunft sparen kann und in der Tat sparen hätte können.

Wer jedoch zufällig mal in diese Gegend kommt überlege sich dreimal was er tut, besser fünfmal.


... vor etwa einem Jahr geschrieben...
Desperado ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 15.04.2012, 19:59   #2
Thing
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hahaha, Desperado -

Rhabarber, Rhabarber, Rhabarber -
nee, anders:
Parabel, Parabel, Parabel.....

Prima gepunzt und genietet!


LG
Thing
Thing ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 16.04.2012, 10:53   #3
männlich Desperado
 
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Tja, Thing, good fellow,

nur mir ist leider das Lachen gründlich vergangen.

Ich blas' ja niemandem aus Jux und Tollerei das Lebenslicht aus, sondern nur dann, wenn es um das Fort nicht mehr anders geht, und das Abknallen macht mir absolut keinen Spass.

Ich bin nur in Citys zum Schusswechsel gezwungen, in denen Gut nicht mehr von Böse unterschieden wird, Wahrheit nicht mehr von Lüge, Recht nicht mehr von Unrecht, Falschblüten nicht von Goldmünzen, Schwachsinn nicht von Freigeistigkeit, Dreck nicht von fruchtbarer Erde und Bosheit nicht von Heiterkeit.

Kurzum in verlorenen und gottverlassenen Nestern, die unterwandert sind, die sich Bandido-Rurales unter den Nagel gerissen haben, staatlich oder auch nicht befugte Mordbrenner, Halsabschneider und Großmäuler im Namen der Gerechtigkeit, denen nichts mehr heilig ist und für die nurmehr der eigene Gewinn zählt, Vertreter ihres eigenes Gesetzes, das sie mit allen Mitteln nach Lust, Laune und Willkür durchzwingen und wofür sie skrupellos über Leichen gehen.

Klar kann ich so ein lächerliches Lästermaul umnieten, nur bringt das der City nichts, wenn der Sheriff gekauft ist und der Bürgermeister abhängig gemacht, Tatsache ist doch, dass die Schleimspur des terrorisierenden Unruhestifters bis dahin geduldet wurde, ja seinen Ausscheidungen gehuldigt, was nur bedeuten kann, dass der nächste Schwall an Erbrochenem und Fäkalien bereits in Habachtsstellung lauert, um ausgespien und ausgeschieden werden zu können, ohne dass sich wer groß aufregt drüber.

Im Grunde genügt ein einzelnes Exemplar ihrer widerwärtigen Spezies, um eine noch so friedliche und idyllische Kleinstadt innerhalb kürzester Zeit rettungslos zu versauen und mehr oder weniger unbewohnbar zu machen, jedenfalls zu einem Ort, den ein Desperado aus triftigen Gründen meidet wie der Teufel das Weihwasser. Wen bitte müsste er als nächstes erschießen, im Schatten warten bereits ein paar Kandidaten, und er ist des Schießens einfach nur müde, des Tötenmüssens unendlich überdrüssig.

In aller Ruhe meine Geschichten erzählen zu können, das war alles was ich wollte, aber wenn ich jedesmal erst einen dazwischengröhlenden Störer umlegen muss, damit meine Zuhörer mir in Ruhe lauschen können, ist mir der Aufwand dafür einfach zu hoch. Nicht dass ich ihren kläglichen Abgang bedauern würde, nicht im Geringsten, aber lieber spare ich mir meine Kugeln für wichtigere Dinge, vor allem aber will ich mir nicht die Hände schmutzig machen an derlei Gesocks.

Nö, liebe Leute, eure City ist ganz schön im Eimer und im Mistkübel gelandet, das kann ich euch ruhigen Gewissens mal in dieser Offenheit sagen, vielleicht solltet ihr wirklich ernsthaft drüber nachdenken, eure Quälgeister und Unterdrücker am nächstbesten Baum aufzuknüpfen, würden ja genug davon rumstehen im grünen Grund des Flusstales.

Wär doch eigentlich ganz schön hier, lovely people, ließe sich doch eigentlich ganz gut leben hier, denkt mal in Ruhe drüber nach.

Ich zieh dann mal wieder meiner Wege.
Haltet die Ohren steif!

Desperado
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Alt 16.04.2012, 11:03   #4
Thing
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Aber ich lausche doch, und das weißt Du genau.
Ein Desperado wischt sich doch Lästermäuler wie müde Fliegen vom Ärmel und läßt weder sich noch Luzifer scheu machen.

Was ich Dir nicht ganz abnehme, ist, daß die short story vor einem Jahr geschrieben wurde, denn der Bezug springt einem förmlich ins Gesicht.

Ich bitte Dich:
Laß Dich nicht vergraulen!
Outlaws gibts überall,
es gibt aber auch Barkeeper, die jede gute Geschichte honorieren.

Cheers!

Thing
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