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Alt 18.09.2012, 14:45   #1
männlich Gonzo
 
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Standard Libertango

Libertango

Regler ging in die kleine Seitenstraße in der die Tanzschule lag. Er hatte es seiner Frau versprochen. Also würde er es durchziehen.
Er hasste es zu tanzen, es gab nicht viel was er mehr hasste, vielleicht seine Frau, er wusste es nicht genau.
Aber er tat es ihr zur Liebe, oder eher sich zur lieben Ruhe, sonst lag sie ihm wieder ständig in den Ohren, dass sie nichts zusammen unternähmen.
Er brauchte sie um seine Kinder zu erziehen und nebenbei half es beruflich verheiratet zu sein.
Liebe war ein Wort, dass er lange nicht mehr ausgesprochen hatte, lange nicht mehr gedacht, gelebt hatte.
Gewohnheit ist doch auch ganz schön und beruhigender als Liebe.
Aber sie liebte ihn, wollte die Aufregung der Liebe ersetzen durch, ja durch was eigentlich?
Durch Unternehmung, Unordnung, Unruhe - wiederbeleben was doch längst tot war und auch gut in seinem Grab lag; jedenfalls gut genug für Regler.

Er stieg die enge Treppe zum Tanzsaal hinauf, es gab zwar auch einen verzweifelt mondän wirken wollenden Haupteingang mit abgewetztem Plüsch an den Seiten, aber er ging lieber die kleine Treppe vom Parkhaus aus hoch. Es passte einfach besser zu seiner Stimmung.
Der Saal den er betrat war groß und atmete noch den Abglanz vom Anschein besserer Zeiten, dunkles Tischholz mit abgebrochenen Ecken, falscher Brokat mit katzengoldener Patina.

Da saß sie, unruhig wartend, vermeintlich ein Wort des Vorwurfs schon halb auf den Lippen, als sie ihn sah, doch sie schwieg. Schwieg und lächelte, lächelte das schmallippige überlegene Lächeln einer Siegerin.

Was bildest du dir bloss ein, dachte sich Regler, meinst du wohl, nur weil ich wieder einmal deinem Befehl gefolgt bin, bist du mir in irgendeiner Weise überlegen?
Du bist dümmer, hast aus deinem Leben nicht gemacht, das einzige Gold was bei dir mit der Zeit zum Vorschein kam, war jenes um die Hüften.

Doch da saß sie und lächelte. Etwas war anders, er fühlte es, etwas war anders.
Musste er eine neue Frisur bemerken ein neues Kleid wertschätzen?
Ihre Frisur war dieselbe halbherausgewachsene Dauerwelle, ihr merklich gebrauchtes Kleid für eine Frau ihres Alters lächerlich rot und lächerlich kurz.
Nein, dass alles war unverändert, sie war anders, irgendwie anders.

Regler ging auf sie zu, begrüßte sie mit einem leisen Hallo, sie sagte nichts und sah nur lächelnd zu ihm auf, er versuchte sich neben sie zu setzen, doch da bat der Tanzlehrer alle Paare auf den Tanzboden. Es sollte ausgerechnet ein argentinischer Tango sein.

Sie gingen in Grundstellung.

Dieses Lächeln, diese überhebliche Lächeln, es machte ihn aggressiv, fast wollte er es ihr aus dem Gesicht schlagen.

"Ich muss dir etwas sagen." hauchte sie ihm ins Ohr.

Obwohl nur gehaucht verriet die Stimme überheblichen fast gehässigen Triumph.

Er ging mit dem rechten Fuß einen Schritt zurück. Sie folgte ihm mit einem Seitwärtsschritt nach links.
"Ich überlege mir dich zu verlassen."

Regler durchzog es: Das wagst du doch gar nicht! Was bist du schon ohne mich!

"Leeres Gerede!" sagte er gelassen, während er zwei Vorwärtsschritte seitwärts an ihr vorbei machte.

"Oh, nein ich habe schon gepackt." erwiderte sie leicht dahin im selben ruhigen, triumphalen Ton.

Eigentlich kann es mir ja egal sein, ich meine sie ja schon lange nicht mehr zu lieben. Es tut mir ein wenig um den Unterhalt leid den ich ihr zu zahlen habe, damit sie sich auf die faule dumme Haut legen kann.

Er schloss seine Beine und drehte eher ruckartig und unsanft seinen Oberkörper von ihr weg, sodass sie die Beine überkreuzen konnte.

"Du kriegst kein Geld von mir!" zischte er ihr bösartig zu.

Das wird wirken, jetzt kriecht sie zurück. Das kleine dumme Mädel hat doch keine Ahnung vom Leben und will doch auch nichts darüber lernen. Aber wenn doch, hier ist die Lektion!

"Das werden wir schon sehen." flüsterte sie ihm zu und verbreiterte ihr Lächeln zu einem kleinen verschmitzten Lachen.
Er führte sie mit einer Linksschritt, anleitend zu einer Vierteldrehung ihres Körpers, aus dem Kreuz ihrer Beine heraus. Sie löste das Kreuz so elegant auf, dass ihr Bein das seine ganz leicht berührte und ganz kurz ein sanftes Streicheln auslöste.

Was soll das, machst du mich an, während du mich verlässt, ist das deine letzte Rache, wie armselig.

"Was wird aus den Kindern?", fragte er und machte einen Schritt nach rechts und schloß die Füße.

Er machte Anstalten mit seinem rechten Fuß wieder einen Schritt zurück zu machen, doch sie kam ihm zuvor und machte ihrerseits einen Rechtsschritt zurück.

"Was soll aus ihnen werden, ich hoffe sie werden nicht wie du!", sagte sie leicht lachend.
Automatisch folgte er ihr mit zwei Schritten seitwärts.
"Warum?", diese Frage hatte er sich nicht überlegt, wollte sie eigentlich auch nicht stellen, stellte sie aber zu seinem eigenen Erstaunen doch.

Sie ging an ihm vorbei, zwei Schritte an ihm vorbei, um ihn ins Kreuz zu stellen und er lies es zu.

Warum breche ich hier nicht ab, warum gehe ich nicht, warum überlasse ich ihr die Führung? Was war plötzlich an diesem Ganzen so wichtig? Ich weiß es nicht!

"Weil du nicht mehr der bist in den ich mich verliebt habe, vielleicht warst du das auch nie."
Sie ging einen Schritt nach links und überlies es ihm, ob er die Drehung vollzog oder nicht. Es machte ihm einige Mühe aus dem Kreuz wieder einigermaßen herauszukommen.

So, du läßt mich hängen!

"Und wie heißt dein Neuer?", fragte er in einem mehr hilflosen, als aggressiven Ton, was ihn selbst ärgerte.

Sie schritt nach rechts und schloss die Beine.

"Freiheit, er heißt Freiheit!", sagte sie nachdenklich, aber nicht traurig, alles andere als traurig.
Beide standen da und schauten sich in die Augen, ohne zu verstehen, was der andere gerade dachte.
Sie zog ihn nach hinten und tanzte mehrere Achter, er folgte ihrem Tanzschritten.

Sie standen wieder in Grundhaltung voreinander.
"So darf es nicht enden, so nicht.", sagte er, ein Gefühl entdeckend, wiederentdeckend, welches er, wenn er es je gefühlt hatte, lange nicht mehr verspürt hatte.
Er übernahm wieder die Führung und versuchte sie enger an sich zu ziehen, als er es vorher für nötig gehalten hatte.

Bleib doch, bleib doch bitte, bleib!

"Wie soll es denn enden?", fragte sie ihn, jetzt sichtlich belustigt. Ihre offensichtliche Fröhlichkeit machte ihn wütend und forderte ihn gleichzeitig heraus.

"Auf jeden Fall nicht so, nicht beim Tanzen, nicht hier!", während er dies sagte merkte er wie seine Stimme in die eines bockigen Kindes verwandelte und der Abschluss seiner Schrittfolge eher einem Aufstampfen glich.
"Du bist meine Frau und bleibst bei mir!", sagte er und glaubte sich selbst kaum, als er es sagte. Sie tanzte wie zur Antwort einen Achter von ihm weg, drehte dabei den Kopf im Takt hin und her und er beeilte sich ihr zu folgen. Er zog sie fester zu sich.

"Heute fühle ich seit langem wieder einmal etwas."
Sie waren wieder in der Grundstellung und die Musik hörte auf zu spielen.

Seine Frau löste sich geschickt aus seinem Griff und lief in Richtung Ausgang.
Ihr lächerlich rotes, lächerlich kurzes, wunderschönes Kleid flatterte bei jedem Schritt ihres Laufs.

Regler schaute ihr nach und als sie halb schon durch die Tür war, rief er ihr nach:

"Bleibst du bei mir?"

Sie sah sich kurz um, lächelte, sagte: "Vielleicht" und ging durch die Tür.
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Stichworte
liebe, tango, trennung




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