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Zeitgeschehen und Gesellschaft Gedichte über aktuelle Ereignisse und über die Menschen dieser Welt.

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Alt 26.02.2017, 14:04   #1
männlich Schmuddelkind
 
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Standard Problemkind

Für alles sind Industrienormen da,
für Menschen dann erst recht -
für Arbeitskraft und Kenntnisstand,
für Alter und Geschlecht.

Und wenn einer nicht in die Schublade passt,
dann wird er klein gemacht.
Dann weiß er, wo es lang gehen soll.
Das wird ihm beigebracht.

Und wenn einer lacht oder träumt und malt,
ist das unangenehm.
Dann stört er doch den Unterricht;
dann ist er ein Problem.

Dann ruft seine Schule die Eltern an
und er kriegt Hausarrest,
wird das Zuhause zum Gefängnis,
wo ihn der Mut verlässt.

Und wenn er daran auch zu Grunde geht,
vergisst, was er doch will,
dann ist das weiter gar nicht schlimm -
Hauptsache, er ist still.

Und wenn einer nachhakt und Fragen stellt,
dann ist er halt zu dumm.
Er hat das Lernziel nicht erreicht.
Das nimmt man ihm dann krumm.

Problemkinder, die für sich denken mit
Vernunft und Phantasie,
sind unerwünscht und lästig in
der Schulmaschinerie.
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Alt 26.02.2017, 15:17   #2
gummibaum
 
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Ganz so schlimm ist es nicht. Die Normen haben sich gelockert, und in Ländern, wo Kinder nicht in die Schule gehen können, geht es meist harscher zu.

LG g
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Alt 26.02.2017, 15:35   #3
mimimi
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Schönes Gedicht - es beschreibt mich zu 100 Prozent, nur war ich noch viel schlimmer.
Ich war der Lehrerhass und Bildungsverweigerer.

@gummibaum

Die Situation an Schulen und weiteren Bildungsebenen wird schlimmer. In meinen Augen lockert sich da nichts, auch wenn die Medien das verbreiten.
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Alt 07.03.2017, 12:34   #4
männlich Schmuddelkind
 
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Danke für eure Diskussionsbeiträge.

Hierzu gibt es völlig legitimerweise unterschiedliche Ansichten, denn @Gummibaum natürlich haben sich Dinge im Vergleich zu meines Vaters Zeiten, der noch in der Schule mit dem Rohrstock geschlagen wurde, deutlich gebessert. Dennoch finde ich nicht, dass man mit dem Status Quo zufrieden sein kann und da bin ich voll und ganz bei mimmi, dessen Erfahrungen ich aus meiner Schulzeit teilen kann.

Ich führe viele Einzelgespräche mit Schülern und erfahre immer wieder, wieviel Angst sie erleiden und wie wenig sie sich als Individuen ernst genommen fühlen. Das fängt an dem Punkt an, dass alle Schüler die exakt gleichen Hausaufgaben erledigen müssen, auch wenn diejenigen, die die Quadratwurzel schon bei der ersten Erklärung verinnerlicht haben, sich zu Tode langweilen, wenn sie die hundertste Aufgabe dieses Typs bekommen, während es für die Schüler, die bei diesem Thema nicht mitkommen, eine sinnlose und fruchtlose Quälerei darstellt, wenn sie keine individuelle Hilfestellung erhalten. Das geht dann über die Tatsache, dass Schüler als störend und dumm bloßgestellt werden, wenn sie sich zu fragen trauen, ob die Menge der natürlichen Zahlen kleiner ist als die Menge der ganzen Zahlen. Dann stellen Schüler eben keine Fragen mehr, sondern verkommen entweder zu Automaten, die möglichst den schulischen Input wieder auszuspucken versuchen oder die, denen dies nicht gegeben ist, stellen sich in Fundamentalopposition zur Schule.

Ich will damit, bis auf mir bekannte Ausnahmen, gar nicht die Lehrer angreifen. Die armen Schweine tun meist ihr Bestes, solange es noch psychisch haltbar ist. Aber auch der beste Lehrer kann nicht die Absurdität mancher Lehrpläne überwinden, in 30er Klassen auf individuelle Probleme der Schüler eingehen oder Kindern, die in ihrer Entwicklung Zuspruch und Geborgenheit brauchen, das Gefühl geben, wertvoll zu sein, wenn alles, worauf es am Ende des Schuljahres ankommt, eine Zahl auf einem Zettel ist, die Schüler pauschal in mehr oder weniger willkürliche Kategorien einteilt.

Auch das natürliche Interesse der Schüler zu lernen, wird durch solcherlei zunichte gemacht. Man muss ja nur mal darauf achten, mit wieviel Neugier und mit welchen unglaublichen Fragen Kinder in ihr erstes Schuljahr gehen und wie sehr sie das Wort "lernen" spätestens nach drei Jahren Schule hassen. Die Schule (als System - nicht als Menge, der in ihr Tätigen) bringt tatsächlich das Kunststück fertig, das Lernen, etwas, das uns Menschen gegeben ist und uns von Natur aus Freude bereitet, in einen Alptraum zu verwandeln.

Das sind jedenfalls meine Gedanken zu dem Thema, die ich mit unzähligen Beispielen anreichern könnte, aber ich muss meinen Post ja nicht noch größer machen.

LG
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Alt 07.03.2017, 12:47   #5
männlich Schmuddelkind
 
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Zitat:
und in Ländern, wo Kinder nicht in die Schule gehen können, geht es meist harscher zu.
Ach ja, ich möchte natürlich nicht unerwähnt lassen, dass du da freilich uneingeschränkt recht hast. Natürlich ist die Schulpflicht und die damit einhergehende bildungspolitische Infrastruktur eine unvergleichliche kulturelle Entwicklung. Vor 200 Jahren haben Kinder ja meist ihren Eltern auf dem Feld geholfen. Trotzdem darf man sich auf diesem Fortschritt nicht ausruhen und muss sich immer die Frage stellen, wie geht es noch besser. Und da gibt es einige Beispiele in Europa, wo Schule schüler- und lehrergerechter funktioniert. Überraschenderweise sind dies die Länder, die die beste Lernentwicklung der Schüler aufweisen.
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Alt 07.03.2017, 13:08   #6
mimimi
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"Die Schule (als System - nicht als Menge, der in ihr Tätigen) bringt tatsächlich das Kunststück fertig, das Lernen, etwas, das uns Menschen gegeben ist und uns von Natur aus Freude bereitet, in einen Alptraum zu verwandeln." Zitat Schmuddelkind...

Ich sehe das genauso, irgendwas krankt - andererseits frage ich mich auch: ist es vielleicht normal und entwicklungsbedingt?

Außerdem gibt es in Deutschland immer mehr Familien, die ihre Kinder von der Schulpflicht befreien und nach Frankreich auswandern, um die Kleinen von Zuhaus aus zu unterrichten.
In Deutschland herrscht ja Schulpflicht und wenn dieser nicht nachgegangen wird ists eine Strafttat (bin mir gerade nicht sicher).
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Alt 07.03.2017, 14:01   #7
männlich Schmuddelkind
 
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Ich denke schon, dass Unterrichtspflicht auch die Möglichkeit einschließen darf, die eigenen Kinder zuhause zu unterrichten. Natürlich darf das nicht dazu führen, dass in extremo gesprochen Analphabeten ihren Kindern lesen und schreiben beibringen wollen. Da müsste es irgendwelche Mindest-Standards geben, die der Staat gegebenenfalls bei den Eltern kontrolliert und da vielleicht Lizenzen verteilt. Wenn Eltern also so weit fit in Mathe sind, aber bei Differentialrechnung die Segel streichen, hätten sie dann das Recht, ihre Kinder bis zum mittleren Schulabschluss zu führen. Danach müssten sie dann auf ein staatlich anerkanntes Gymnasium... Oder so in der Art.

Wenn man es also richtig angeht, sehe ich nichts grundsätzlich Falsches darin, Eltern die Möglichkeit einzuräumen, ihre Kinder selbst zu unterrichten. Ich kenne auch persönlich Menschen, die darüber nachgedacht haben, denen ich das auch zutrauen würde und wenn ich zum Teil sehe, dass Mathe-Lehrer Schülern weismachen wollen, dass 1 eine Primzahl ist (nur eine von unzähligen idiotischen Aussagen, die ich von Lehrern hören musste), halte ich es nicht für abwegig, dass in Einzelfällen die Fachkompetenz bei Eltern höher ausgeprägt sein kann als bei mancher Lehrkraft.

Ich sehe aber vor allem folgendes Problem: In der Schule machen Kinder eine Fülle von sozialen Erfahrungen. Soziale Interaktionen mit Gleichaltrigen, Jüngeren und Älteren einzugehen und unterschiedliche Sichtweisen kennenzulernen, ist aus meiner Sicht unermesslich wichtig für die psychische Entwicklung eines Kindes und stellt für mich vielleicht noch den besten Grund dar, die Kinder zur Schule zu schicken. Das ginge natürlich verloren beim Unterricht Zuhause. Ich persönlich möchte nicht, dass meine Kinder nur im Dunstkreis meiner eigenen Gedanken und Sichtweisen aufwachsen, dass sie sich nur in der Rolle des Sohnes oder der Tochter und nie bis selten in der Rolle des Freundes, des Kameraden, des Nachbarn, des Konkurrenten etc. erfahren.

Aber das ist nur meine persönliche Sicht. Wenn Eltern die Freiheit haben, ihre Kinder den ganzen Tag dem Fernseher anzuvertrauen (und diese Freiheit sollten sie, so dämlich ich das persönlich auch finde, haben), warum sollten sie also nicht die Freiheit haben, die "schulische" Entwicklung ihrer Kinder selbst zu gestalten?
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Alt 07.03.2017, 14:15   #8
weiblich Ilka-Maria
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Richard David Precht plädiert seit Jahren für die Abschaffung unseres verkrusteten Schulsystems. Wer seine Gedanken zum Thema noch nicht kennt, hier zur Anregung:

https://www.youtube.com/watch?v=q4wmSt_3jm8

https://www.youtube.com/watch?v=Gewb3-DUlJs&t=100s

LG
Ilka
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Alt 07.03.2017, 15:00   #9
männlich Schmuddelkind
 
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Vor allem was Precht über solche Projekte sagt (dass man nicht Erdkunde und Physik als Fächer lernt, sondern etwas über Klimawandel lernt und dabei physikalische, geographische, politische und ethische Aspekte des Themas begreift), ist mir seit Jahren ein Anliegen. Wird ja gerade auch in Finnland praktiziert. Ich halte das für überfällig.
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Alt 07.03.2017, 15:04   #10
mimimi
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https://www.youtube.com/watch?v=Wj-KTcxjLqs

lg
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Alt 07.03.2017, 15:18   #11
männlich Schmuddelkind
 
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Super auf den Punkt gebracht von Lesch! Wobei, was er über Mathe sagt, da gehe ich nur zu 50% in seine Richtung, aber das nur am Rande.
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Alt 07.03.2017, 16:37   #12
mimimi
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Nun packt mich die Neugier!

Warum?

lg
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Alt 07.03.2017, 17:06   #13
weiblich Ilka-Maria
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Zitat:
Zitat von Schmuddelkind Beitrag anzeigen
Vor allem was Precht über solche Projekte sagt ..., ist mir seit Jahren ein Anliegen. Wird ja gerade auch in Finnland praktiziert. Ich halte das für überfällig.
Das hätte es zu meiner Zeit schon geben sollen. Ich hatte genau diejenigen Probleme, die Precht immer wieder anspricht: In Mathe war alles gut, solange es um alltagstaugliche Berechnungen ging, aber wenn es abstrakt wurde, war der Ofen aus. Später habe ich mir Algebra und Geometrie selbst beigebracht - das lief wunderbar. Satz des Pythagoras? Binomische Formeln? Kein Problem.

In Physik ging es mir ähnlich. Ich machte bei den Klassenarbeiten die ganze Notenskala durch, je nachdem, ob das Thema für die Praxis interessant war oder nicht. Ich hätte mich z.B. dafür begeistern können, wenn wir mal eine Autowerkstatt besucht hätten, um den Mechanikern dort bei der Arbeit zuzusehen oder sogar mal mit anzupacken.
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Alt 08.03.2017, 11:58   #14
männlich Schmuddelkind
 
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Zitat:
Nun packt mich die Neugier!

Warum?
Meiner Erfahrung nach gibt es in Mathe zwei Sorten von Schülern: Die einen verstehen Mathematik nur in Bezug auf reale Phänomene (Zahlen sind zum Zählen da, mit Gleichungen kann man Zusammenhänge beschreiben etc.). Für solche Schüler wäre es in der Tat sinnvoller, man zeigte ihnen die Nützlichkeit mathematischer Werkzeuge, indem man, wie Lesch sagte, rausgeht. Da würde ich mir auch alltagstauglichere Problemstellungen wünschen. Keinen Schüler interessiert das Wachstum von Bakterienkulturen - weil man sie nicht sehen kann, nicht anfassen kann, nicht mit ihnen reden kann. Dabei begegnet uns exponentielles Wachstum doch bei so vielen Alltagsphänomenen: Papier falten, Gerüchte verbreiten, Nächstenliebe vorleben... Auch könnte man im Mathe-Unterricht Brett- und Kartenspiele spielen und analysieren, warum Peter gewonnen hat.

Es gibt aber auch Schüler, die sich sehr für die reine, abstrakte Mathematik interessieren. Ihnen geht es um die Schönheit der Mathematik an sich und um die Beschäftigung mit dem eigenen Geist. Ich kenne Schüler, die Fragen stellen wie "Gibt es unendlich viele Primzahlen?" oder "Wie kann man den Gaußschen Summensatz beweisen?". Dieses Interesse muss unbedingt bedient werden, sonst verlieren sie absolut die Lust an der Mathematik.

Ich persönlich gehörte auch zu dieser Gruppe. Ich weiß noch, dass mich in der vierten Klasse brennend die Frage interessiert hat, ob es mehr ganze Zahlen als natürliche Zahlen gibt. Auch habe ich mich gefragt, ob man Infinitisimalzahlen definieren kann, also kleinstmögliche Zahlen. Natürlich kannte ich das Wort "Infinitisimalzahlen" nicht, aber dieses Problem sprang mir förmlich ins Auge. Zur fünften Klasse dachte ich: "Jetzt komme ich ja aufs Gymnasium; da wird man sicher solche Fragen angehen."

Stattdessen musste ich enttäuscht feststellen, dass wir nur langweiligen Kram wie Prozentrechnung und Dreieckskonstruktionen durchgenommen haben. Mich hat diese (seltsam kommunizierte) Realitätsnähe richtig gelangweilt und so habe ich bald gar nichts mehr für Mathe gemacht, wurde dadurch sogar richtig schlecht in Mathe. Erst zur Oberstufe bin ich wieder aufgewacht, als wir Differentialrechnung zum Thema hatten. Da hatte ich dann das Gefühl, die Mathematik stattet mich mit Worten aus, die ich schon immer benötigte, um meine Gedanken klarer zu fassen. Deshalb wurde ich auch schlagartig wieder besser in Mathe, auch was meine Noten anbelangte. Aber die meisten Fragen, die mich seit der Grundschule begleiteten wurden in meiner ganzen Schulzeit umgangen. Erst nach der Schule durfte ich erfahren, dass meine Fragen gar nicht so dumm waren und dass es darauf sogar definitive Antworten gibt.

Ich hatte also ziemlich das gegenteilige Problem wie Ilka. Ein Ausflug in die Kfz-Werkstatt hätte mich auch eher gelangweilt. Hingegen hätte ich mir in Physik Antworten auf Fragen gewünscht wie: "Was ist Zeit?" "Was ist Raum?" "Was ist die Relativitätstheorie?" "Was ist Kausalität und kann man Kausalität überhaupt nachweisen?" Also eher Naturphilosophie und Epistemologie. Was ich damit sagen will: Kinder sind höchst unterschiedlich in ihren Herangehensweisen an wichtige Themen. Die einen wollen eher etwas begreifen, indem sie auch mal was in die Hand nehmen; die anderen, die anderen wollen eher in die Abstraktion gehen und den Gesamtzusammenhang erkennen, bevor sie überhaupt Interesse an konkreten Dingen entwickeln können. Für beide Bedürfnisse sollte in der Schule eigentlich Raum geschaffen werden, indem unterschiedliche Projekte angeboten werden, zwischen denen Schüler dann wählen können. Stattdessen ist Schule ein fauler Kompromiss zwischen beiden Welten, von dem niemand wirklich profitiert.
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Alt 08.03.2017, 12:55   #15
weiblich Ilka-Maria
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Schmuddel, das ist alles sehr interessant.

Zunächst: Allein das Interesse an der Mathematik genügt nicht, um zu der Erkenntnis zu gelangen, ob sie praxisbezogen genügt oder ob ein Schüler lieber in die höheren Sphären vordringt, sagen wir: bis zu Einstein oder in Hugo Freges Philosophie. Es kommt zum richtigen Zeitpunkt auf den richtigen Lehrer an.

Meine Mathe-Lehrerin war nicht nur meine Klassenlehrerin, sondern sie unterrichtete auch die Naturwissenschaften. Sie war ein wunderbarer, geduldiger, freundlicher Mensch, und wir alle mochten sie. Didaktisch war sie für mich und einige andere Schüler völlig falsch. Sie vermochte z.B. nicht zu vermitteln, weshalb man in Algebra mit Buchstaben rechnet, also wofür diese Buchstaben stehen, nämlich als Platzhalter für noch unbekannte Zahlen, die nach ihrer Ermittlung diese Buchstaben ersetzen. Oder ich hatte es nicht mitbekommen, was im Alter der Pubertät, die mit Ablenkungen und Träumereien einhergeht, durchaus nicht ungewöhnlich ist.

Bewusst wurde mir das erst viel später. Als ich das Abitur nachholen wollte, hatte ich mir Lehrbücher in Mathe gekauft (wahrscheinlich sagt dir der Name "Kusch" etwas) und mich selbst durch den Stoff gearbeitet. Dabei ging mir ein Seifensieder nach dem anderen auf. Als ich dann - beruflich bedingt - in die Lage kam, eine kleine Gruppe Mitarbeiter in Algebra zu unterrichten, kam prompt die Frage: "Worin besteht der Sinn, mit Buchstaben zu rechnen?" Ich konnte es anhand einfachster Beispiele erklären.

Ich verstehe vollkommen, dass ein Mensch in der Ästhetik der Mathematik aufgehen kann, sich mit dem Problem der "letzten" Primzahl beschäftigt und eben auch mit der philosophischen Seite der Mathematik. Mit ihr hat sich der Mensch ein künstliches, geschlossenes und (vermeintlich) logisches System geschaffen, bei dem er öfter mal an die Grenzen der Logik stößt - das macht die Sache ungemein spannend.

Aber Logik ist ohnehin eine Disziplin, die zur Philosophie gehört.

Auf die Physik, Kfz.-Werkstatt (war nur ein Beispiel, es hätte auch eine Offset-Druckmaschine sein können) und Relativitätstherorie gehe ich vielleicht noch gesondert ein.

Aber nochmal nach oben zu meiner Klassenlehrerin: Was hätte sie didaktisch und pädagogisch für den einzelnen Schüler in einer Klasse leisten können, in der ca. 40 Paar Ohren und Augen auf sie gerichtet waren?

LG
Ilka
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Alt 18.04.2017, 11:13   #16
männlich Schmuddelkind
 
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Hey Ilka,

da war ich ja wohl lange nicht mehr da: wurdest du befördert?

Zurück zum Thema:
Ja, die Bücher von Kusch sind tatsächlich sehr gut - für den Einsteiger recht gut erklärt, bedienen sie auch tiefergehende Fragen. Das zeigt aber für mich vor allem, dass man theoretisch gar keinen Mathe-Lehrer im Sinne eines Übungsleiters bräuchte. Heutzutage ist das Internet voll von hervorragenden Mathe-Seiten und in Videos wird alles von schriftlicher Addition bis Goedels Unvollständigkeits-Theorem anschaulich gezeigt. Da wäre ein Mathe-Lehrer als Helfer an der Seitenlinie sinnvoll.

Das Problem ist ja eher, dass man als Schüler kaum auf die Idee kommt, selbst Fragen zu stellen und Antworten dafür zu suchen, weil die Schule dies einem abgewöhnt. Dort geht es ja nur darum, die Fragen zu beantworten, die der Lehrer stellt, nach den Methoden, die der Lehrer bereitstellt. Auch bietet die Schule kaum Raum für das interessengeleitete Lernen. Die Kinder sind ja froh, wenn sie nach der Schule und den Hausaufgaben mal noch ein wenig Zeit für sich haben.

LG
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