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Alt 21.08.2023, 19:51   #1
weiblich LoveWriting
 
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Standard 28 Jahre älter

Eine lange Umarmung
Einige vermeindlich unbedeutende Berührungen
Unzählige Textnachrichten

2020, das Jahr, in dem es geschah.
Im September, aber wahrscheinlich noch eher.
Viele Erinnerungen sind noch verschwommen.
Durch immer wiederkehrende Flashbacks erlange ich sie zurück.
Kann ich endlich alles verarbeiten?

An meinem Geburtstag schrieb er mir einen Text, in dem er mich "Herzchen" nannte.
Zu dem Zeitpunkt schien es unbedeutend, heute ist es das nicht.

"An das, was ich gerade denke, würde mich ins Gefängnis bringen.", schrieb er mir in einer Nacht nach dem Training und ich werde es nie vergessen.
Und dann frage ich mich: Wie konnte ich diese Bemerkung übersehen? Warum habe ich nicht eher jemandem davon erzählt?

In einer weiteren Nachricht sagte er mir wie heiß und sexy mein Körper in dieser Leggins aussieht.
Und ich frage mich: Hätte ich etwas anderes anziehen sollen?

Als ich eine Oberschenkelzerrung hatte, fragte er mich, ob ich schon nackt in der Badewanne liege.
Und ich frage mich: Hat er an mich nackt in der Badewanne gedacht und mir aus diesem Grund die Nachricht geschrieben?

Nach einem Telefonat schrieb er mir wie sehr er mich vermisst und wie gern er meine Stimme hört.
Und ich frage mich: Hätte ich eine Ausrede finden sollen, um nicht mit ihm zu telefonieren?

Er hat mich nach Bildern von mir gefragt und ich habe immer "nein" gesagt - zum Glück.

"Du bist echt heiß und fasst dich toll an.", schrieb er mir einige Stunden nach dem Training als er mich lang, alleine, in der Umkleide umarmte. Ich ging betäubt, mit panisch rasendem Herzen zurück. Nach dieser Aktion waren mir die Augen geöffnet, also redete ich und hatte Angst, dass mir niemand glaubt. Schließlich ist er beliebt bei allen.

"Es ist ja nichts richtiges passiert", war die Antwort von einer Freundin - zum Glück war sie die Einzige mit dieser Aussage.

Mehr als ein Jahr habe ich versucht ihn zu rechtfertigen.
Jetzt, drei Jahre später, fange ich an zu realisieren, dass ich keine Kontrolle hatte und erst recht nicht Schuld bin. Ich realisiere, dass er mich manipuliert und mein Vertrauen missbraucht hat als ich jung und naiv war.
"Tut es ihm leid? Weiß er was er mir angetan hat?", sind Fragen, die ich mir heute stelle.

2023, das Jahr, in dem ich anfange zu akzeptieren und zu realisieren.
LoveWriting ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 23.08.2023, 13:35   #2
männlich dunkler Traum
 
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Standard Hallo LoveWriting

... der Titel scheint sich in der Geschichte irgendwie nicht wieder finden zu lassen. Das Thema scheint ja immer noch aktuell zu sein.

""Tut es ihm leid? Weiß er was er mir angetan hat?", sind Fragen, die ich mir heute stelle."
Was hat er der Protagonistin denn angetan? Das sie sich jetzt Gedanken macht um hätte hätte Fahrradkette? Manipuliert, nein, er scheint es versucht zu haben. Doch ich verstehe nicht, warum man jetzt ein Trauma daraus aufbauen sollte. Man kann alles dramatisieren, aber wozu?

wünsche schöne Träume
dT
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Alt 23.08.2023, 14:43   #3
weiblich Ilka-Maria
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Zitat:
Zitat von dunkler Traum Beitrag anzeigen
Was hat er der Protagonistin denn angetan? Das sie sich jetzt Gedanken macht um hätte hätte Fahrradkette? Manipuliert, nein, er scheint es versucht zu haben. Doch ich verstehe nicht, warum man jetzt ein Trauma daraus aufbauen sollte.
Ich sehe es nicht ganz so, dunkler Traum. Sicherlich wäre es übertrieben, ein Trauma aus der Geschichte heraus zu rechtfertigen; aber harmlos ist sie auch dann nicht, wenn es nicht zum Äußersten gekommen ist. Denn ein Erwachsener, der Schutzbefohlene Jugendliche (davon gehe ich aus bei einem Altersunterschied von 28 Jahren) auf hinterhältige Art sexuell zu manipulieren versucht, überschreitet eindeutig die rote Grenze. Psychisch wirkt sich das immer auf das Opfer aus, erst recht in einer Phase, in der die Adoleszenz noch voll in Gang ist.

Die Protagonistin wird ihrer Schilderung nach massiv körperlich genötigt, sowohl indirekt wie direkt: einmal durch die Badewannen-Phantasie und Aufforderung, Bilder von ihr zu schicken (womit das gewünsche Motiv angedeutet ist, ohne es geschickterweise direkt auszusprechen), ein andermal durch die Umarmung in der Umkleidekabine (was hatte "er" dort überhaupt zu suchen?), die bewusst ambivalent gehalten wird, so dass die Protagonistin in eine höchst unsichere Situation gerät. Ist das nun freundschaftlich gemeint, oder schießt das ganze über das Erlaubte hinaus? Wie ist das im sportlichen Bereich zu deuten, wo es nicht unüblich ist, dass ein Trainer seinen Schützling bei erfolgreicher Leistung vor Freude in den Arm nimmt?

Es ist schlicht gesagt perfide, einem jungen Menschen die Balance zu nehmen, indem man ihn verbal auszieht, mit zweideutigen Gesten verunsichert und ihm anzügliche Avancen macht, die in einem Abhängigkeitsverhältnis nichts zu suchen haben. Wenn dann, wie hier geschildert, die Betroffene (kann natürlich auch ein Betroffener sein) auch noch Angst hat, sich jemandem anzuvertrauen, weil man ihr nicht glauben könnte, wird die Situation nicht einfacher.

Ein Lichtblick der Geschichte ist, dass sich die Protagonistin trotz alledem einer vermeintlichen Autorität nicht geöffnet hat und misstrauisch geblieben ist. Das hat sie offensichtlich vor einer Entwicklung bewahrt, die vielleicht hätte zum Trauma werden können.

LG
Ilka
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Alt 24.08.2023, 09:46   #4
weiblich LoveWriting
 
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Hallo dunkler Traum,

erst einmal bedanke ich mich für deine Kritik. "28 Jahre älter" ist der erste Text, den ich veröffentlicht habe und der nicht nur so dahin geschrieben ist. Ich werde mich weiterhin dem Schreiben widmen, um besser zu werden.

Für mich sagt der Titel aus, wie perfide die ganze Situation ist. Ich wollte den Altersunterschied mit hineinbringen, aber nicht in dem Text, weil es für mich nicht ganz gepasst hat. Für mich zeigt der Altersunterschied auf, dass seine Gedanken nicht so hätten sein dürfen.

"Das sie sich jetzt Gedanken macht um hätte hätte Fahrradkette?"
Die Fragen, die in meinem Text vorkommen zeigen, dass ich mir lange Zeit die Schuld gegeben habe, für das was passiert ist. In einigen Momenten frage ich mich immer noch solche Sachen, deshalb habe ich nicht geschrieben "Und ich fragte mich". Ich habe keine Schuld, weil ich eine Leggins anhatte, einen Anruf angenommen habe oder aus jeglichen anderen Gründen - das weiß ich heute.

Ich kann nachvollziehen, dass es schwer ist zu verstehen, wie sich so etwas anfühlt - "Es war ja bloß eine Umarmung", wurde einige Male gesagt, aber nein. Es ist so viel mehr als das. Also ja, für mich ist das ein "Drama", denn es hat mich ein Stück weit verändert.

Ich hoffe du kannst jetzt den Hintergrund zum Text und den Schreibstil besser verstehen.

LG
LoveWiriting
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Alt 24.08.2023, 10:24   #5
weiblich LoveWriting
 
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Hallo Ilka-Maria,

du hast deine Antwort genau auf den Punkt gebracht und ich bin sehr froh, dass der Text richtig angekommen ist.

"(was hatte "er" dort überhaupt zu suchen?)"
Wir hatten draußen Training und man braucht einen Schlüssel, um zurück in die Sporthalle zu kommen. Ich musste rein, um etwas zu holen und er ist mitgekommen. Danach ist es passiert.

"Ist das nun freundschaftlich gemeint, oder schießt das ganze über das Erlaubte hinaus? Wie ist das im sportlichen Bereich zu deuten, wo es nicht unüblich ist, dass ein Trainer seinen Schützling bei erfolgreicher Leistung vor Freude in den Arm nimmt?"
Das sind Fragen, über die meine Eltern und ich damals auch nachgedacht haben. In Kombination mit den ganzen Nachrichten, die wohl sehr weit über eine Grenze hinausgingen, war ich mir sicher, dass es von seiner Seite aus nicht freundschaftlich war. Du hast Recht, dass eine Umarmung sonst normal ist (vor allem bei Erfolgen), aber unter den Umständen, dass ich zu dem Zeitpunkt verletzt war, können wir das ausschließen.

"Ein Lichtblick der Geschichte ist, dass sich die Protagonistin trotz alledem einer vermeintlichen Autorität nicht geöffnet hat und misstrauisch geblieben ist."

Leider hat mein Misstrauen erst ab dem Punkt angefangen, als er mich nach persönlichen Bildern gefragt hat. Davor gab es unzählige andere Nachrichten, die oft genauso anzüglich waren. Ich kann mich an diese Nachrichten nur noch schlecht erinnern, denn er hat mich dazu gebracht diese zu löschen - daran erkenne ich die Manipulation. Heute betrachtet, würde ich niemals solche Nachrichten löschen und mich fragen warum diese Person das unbedingt möchte. Meiner Erinnerung nach hatte er mich fast angebettelt, dass ich sie lösche, aber kann mich nicht daran erinnern was er geschrieben hatte. Vielleicht kann ich mich ja eines Tages daran erinnern.
Mein persönlicher Lichtblick ist, dass ich auch verschiedene Lektionen daraus gezogen habe. Ich vertraue nicht sofort und bin zuerst vorsichtig. Es ist auch heute noch schwer damit zu leben, aber ich habe gelernt damit umzugehen und all das zu akzeptieren.

LG
Love Writing
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Alt 24.08.2023, 11:19   #6
weiblich Ilka-Maria
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Zitat:
Zitat von LoveWriting Beitrag anzeigen
Hallo Ilka-Maria,
du hast deine Antwort genau auf den Punkt gebracht und ich bin sehr froh, dass der Text richtig angekommen ist.
Das ist nicht schwierig, wenn man die Perspektive der Betroffenen einnimmt und sich erinnert, wie es in der eigenen Adoleszenz war. Da verstand man vieles nocht nicht und musste sich auf seine Instinkte verlassen.

Zitat:
Zitat von LoveWriting Beitrag anzeigen
"(was hatte "er" dort überhaupt zu suchen?)"
Wir hatten draußen Training und man braucht einen Schlüssel, um zurück in die Sporthalle zu kommen. Ich musste rein, um etwas zu holen und er ist mitgekommen. Danach ist es passiert.
Dem entnehme ich, dass er die Schlüssel hatte.

Zitat:
Zitat von LoveWriting Beitrag anzeigen
Leider hat mein Misstrauen erst ab dem Punkt angefangen, als er mich nach persönlichen Bildern gefragt hat.
Das war früh genug. Viele Mädchen fühlen sich geschmeichelt und gehen auf solche Ansinnen ein. Danach bekommen sie die Quittung.

Nichts an der Sache ist deine Schuld, eigentlich hast du alles richtig gemacht und frühzeitig den Schlagbaum runtergehen lassen.

Aber ein paar Fragen (die wahrscheinlich nur spekulative Antworten erlauben):

Hast du in Erinnerung, wie sich dieser Typ anderen Mädchen gegenüber verhalten hat? Was wäre gewesen, wenn nicht du, sondern eine deiner Sportkameradinnen in die Turnhalle gemusst hätten? Hätte er das genauso ausgenutzt? Glaubst du, die einzige gewesen zu sein, die er angebaggert hat? Oder hat er nur gegraben, um ein naives Opfer zu finden, bei dem er hätte weiter gehen können?

LG
Ilka
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Alt 25.08.2023, 13:40   #7
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Standard Hallo LoveWriting

... sorry, mir schien die Geschichte irgendwie aufgebauscht zu sein.
Vermutlich liegt es daran, dass du selbst nur Erinnerungsfetzen wieder gegeben hast und mir selbst ein wenig Empathie fehlt, sorry. Du hast es ja jetzt noch ausführlicher erläutert, jetzt sehe ich klarer.

wsT
dT
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Alt 10.09.2023, 09:21   #8
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Hallo Ilka-Maria,

entschuldige, dass ich so lange nicht geantwortet habe, aber ich habe noch ein paar Antworten auf deine Fragen.

"Hast du in Erinnerung, wie sich dieser Typ anderen Mädchen gegenüber verhalten hat? Was wäre gewesen, wenn nicht du, sondern eine deiner Sportkameradinnen in die Turnhalle gemusst hätten? Hätte er das genauso ausgenutzt? Glaubst du, die einzige gewesen zu sein, die er angebaggert hat? Oder hat er nur gegraben, um ein naives Opfer zu finden, bei dem er hätte weiter gehen können?"

Du liegst mit deiner Vermutung nicht falsch. Ich hatte ein wirklich gutes Verhältnis zu den anderen Mädchen und kannte sie schon mehrere Jahre. Dementsprechend fällt es relativ schnell auf, wenn sich das Verhalten ändert. Ich habe schon Wochen vor meinem Vorfall bemerkt, dass eines der Mädchen ziemlich ruhig geworden ist, was mir komisch vorkam, aber ich dachte jeder hat einmal ein paar schlechte Tage oder die Schule läuft nicht gut. Nachdem ich nach der Situation in der Umkleide realisiert habe, dass ich jemandem davon erzählen muss, habe ich genau diese Gedanken gehabt: Was ist, wenn ich nicht die einzige bin? Ich habe ihr mit dem Risiko geschrieben, dass ich mit dieser vagen Vermutung falsch liege, aber ich hatte Recht. Sie hat nicht über Monate diese Nachrichten bekommen, aber ab und zu verschiedene Andeutungen. Das Schlimmste kommt leider noch: Er hat sie am Hintern angefasst. Es war nicht lange, aber schlimm genug. Diese Situation ist vor meiner passiert und sie hatte sich nicht getraut etwas zu sagen, aber da wir nun zu zweit waren, viel es nicht mehr allzu schwer.

Das, was passiert ist, ist ziemlich schrecklich. Es ging auch im Nachhinein mit verschiedenen Sachen weiter, die ich bis heute nicht verstehen kann.

Liebe Grüße
LoveWriting
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