flüsse durch das mutterland

[MuschelIch]

flüsse durch das mutterland
(für meinen vater)

das foto
eines kleinen jungen.
er sitzt am ufer des flusses -
markiert mit der jahreszahl 1942.

vom leben weiß er,
daß es hunger bedeutet und krieg
und daß dieser starke frohe mann,
den er vater nennt
für lange monate verschwindet
(ihm erscheinen sie wie ewigkeiten)
mit demselben blick in den augen,
wie ihn der hase hatte,
den sie vor kurzem schlachteten.

nun also sitzt er an der ufermauer -
wirr seine haare im anbrandenden wind
der voll der stimmen war.

offen seine augen
und fröhlich sein kleiner,
nimmermüder mund.

vielleicht läßt er ein kleines schiffchen segeln
an diesem kurzbehosten sommertag 1942?
so landet es heute bei mir.

imaginäre kanäle quer durch unser mutterland
habe ich gebaut
in endlosen nächten des webens
und innewohnens.

so wurde also die weser
mit der donau verbunden;
die flüsse im untergrund sind die namenlosen.

ich liebe ihn
und seine verloren gegangenen träume,
denn sie haben aus mir
den menschen gemacht,
der ich bin.

er mag keine träumer,
weil sie nichts vom leben verstehen.
und wenn es nach ihm ginge,
dann ...

aber ich glaube nicht seinen worten
die er geschworen
zwischen bombenhagel und nagendem hunger,
sondern dem,
was ich in meiner geheimsten
herzkammer über ihn und mich weiss.

auch wenn ich mir so oft
einen anderen gewünscht hätte:
es war genau dieser
und so ist es gut.

ich nehme das schwere, das er mir gegeben hat
in meine linke hand
und puste es ins sein.

an jedem fallschirm des löwenzahns
hängt ein kleiner astronaut
der sich
auf seine landung vorbereitet.