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Lebensalltag, Natur und Universum Gedichte über den Lebensalltag, Universum, Pflanzen, Tiere und Jahreszeiten.

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Alt 14.01.2022, 11:52   #1
männlich MonoTon
 
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Beiträge: 1.105

Standard Canis Lupus

Und über mir ein Sternenmeer
aus abertausend Seelen.
In tiefer Schwärze funkeln sie
doch scheinen Ferner nur.

Ich wäre gerne schwerelos
das Fell erdrückt mein Sehnen.
Die Tränen die der Mond durchfällt
verwischen ohne Spur.

Das Auge leer, ein hohler Raum,
fast nichts kann es umfassen.
Ein jeder Stern den es umschliesst
entgleitet ihm ganz stur.

Die Zeit der Sterne ist mir Nacht
und sacht dreht sich die Zeit.
Die Auf, im lauten Sehnsuchtslaut,
zum Mann im Monde fuhr.

Er wacht über die kalte Welt,
bis wildes Herz versiegt.
Das Rudel ist schon lange fort
doch hört mein moll A-Dur.
MonoTon ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 21.01.2022, 01:24   #2
männlich Ex-Tristanhirte
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Dabei seit: 12/2021
Beiträge: 139

Lieber Mono,

ich wollte hier schon lange kommentieren, habe aber keine Zeit dafür gefunden und riskiere jetzt für morgen doch mal eine totale Unausgeschlafenheit. Dein Gedicht ist natürlich sehr gelungen. Wir kommen zwar von verschiedenen Polen – ich bin mehr Fan von Hunderwasser, du wohl mehr von van Gogh und Monet, wie ich tippen würde (wobei ich die natürlich auch sehr mag) –, weshalb ich mit dem dialektischen „moll A-dur“ auch eher angefangen hätte, damit das alles schön reinknallt; aber es lässt sich trotzdem ein sehr feinsinniges, originelles Konzept herauslesen, was einen ja immer erfreut. Ich stehe sehr auf Wölfe, da sagt diese feinnervige Allegorie zwischen dem Wolfsleben und der menschlichen Melancholie natürlich prinzipiell zu. Ein paar Gedanken von mir:

Die jeweiligen Strophen vom Reimschema relativ frei zu halten und nur die letzten Wörter mit „ur“ zu beenden ist nicht natürlich sehr geschickt, so bewahrt man sich eine gewisse epische Gestaltungsfreiheit innerhalb der gewählten Metaphorik und zugleich einen feinen klanglichen Seidenfaden – hier wohl kein roter, sondern mehr ein dunkelsilber, melancholisch funkelnder. Die Metaphorik füllt durch klangliche Farbtupfer die Strophen aus (etwa 1. Strophe „Sternen“, „Meer“, „Seelen“, „Schwärze“, „Ferner“ usw.).

Die Annäherung zwischen Menschenauge zu jenem vom Wolf geht wirklich unter die Haut (zumindest mir). Es wird damit indirekt auf das rein beobachtende Innenleben von Hunden und Menschen angespielt, das sich in ihrer hiesigen melancholischen Zentriertheit kaum voneinander unterscheidet und den Verstand des Menschen für die gewählte Szenerie beiseitedrängt, wodurch Mensch und Tier nachfühlbar einander angenähert werden. Das schließt das Gedicht gleich ins Herz – zumindest für Hunde- und Wolfsfreunde.

Vielleicht ein subjektiver Anregungsvorschlag für das „moll A-Dur“: Musiker erkennen den Zweck natürlich sofort, wonach in dieser Atmosphäre sogar eine Dur-Tonart sich in eine melancholische Stimmung verkehrt. Für mich persönlich entsteht nur ein kleines Detailproblem: A-Dur stand bei einem Großteil der früheren Komponisten, denke ich, mehr für Freude, Glück, Heiterkeit, usw. Verbindet man so etwas mit einem Wolf? Auch wenn er sich endlich vom Rudel entfernen konnte? Streitig. Natürlich wird der dialektische Konflikt dadurch verschärft, nur fügt sich meines Erachtens die Antithese nicht in das Gesamtbild – was ja durchaus ein Stilmittel sein kann, nur scheint mir der Rest derart durchkomponiert, dass der „Logikfehler“ zum Schluss ein wenig "erschummelt" wirken könnte. Ich würde mit dem Wolf eher „As-Dur“ verbinden, oder eine andere b-Tonart, etwa „B-Dur“ oder „Des-Dur“; die B-Tonarten tragen zumeist trotz ihres affirmierenden Dur-Charakters zumeist eine leicht melancholisch, "ziehende" Färbung an sich, die Kreuztonarten bewegen sich eher an der glatten Oberfläche und stellen sie weniger infrage. Ich denke, das könnte für den hiesigen Zweck ideal sein. Anbei vielleicht mal zwei bekannte Beethoven-Sätzen (auch recht bekannte), um die beiden Pole zu veranschaulichen: der erste von Op. 110 in As-Dur: https://www.youtube.com/watch?v=DbnM-1MQSGw&t=86s, der erste Satz von Op. 92 steht in A-Dur: https://www.youtube.com/watch?v=JMrm9jEo_Pk. Natürlich kommen neben der Tonart noch andere Parameter hinzu, die die Stimmungen (Op. 92 1. Satz eher pastorale Affirmation, wie ich denke, Op. 110 mehr selige Melancholie) evozieren; es dürfte jedoch kaum ein Zufall sein, dass Beethoven für diese Stimmungen die jeweiligen Tonarten gewählt hat. Das ist natürlich nicht repräsentativ, entspräche aber in etwa der Affektenlehre des 18. und frühen 19. Jh., auf der auch heutige Grundkurse in Komposition und Musiktheorie aufbauen, allen voran auch denen der Popularmusik.

Unabhängig davon wäre das auf jeden Fall ein Favorit für mich (wie kann man die hier eigentlich hinzufügen?).
LG
Ex-Tristanhirte ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 21.01.2022, 09:17   #3
männlich MonoTon
 
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Dabei seit: 04/2021
Beiträge: 1.105

Hallo Wotan

Oh wow ich bin peinlich berührt, denn ich muss zu meiner Schande gestehen dass ich mit Musik gar nicht in Kontakt komme, außer wenn ich Radio höre und sobald klassische Musik läuft bin ich sogar der erste der auf NDR switched.
Noch peinlicher ist mir, dass ich zugeben muss dass mir die Tonart nicht einmal geläufig ist. Aber du hast recht und ich danke dir sehr für deine Beispiele.
Ich hatte im Kopf dass sich am Ende ein Wolfsgeheul als moll a-dur darstellen könnte. Womit ich anscheinend völlig daneben lag.
Nach deinen Erläuterungen habe ich mir tatsächlich ein wenig in der Richtung angehört und fand die Nocturne des-Dur von Chopin sehr schön, zumindest ist ihr melancholischer Unterton etwas das mich an Nacht und Sehnsucht denken lässt und es hat mich angesprochen dass in dem Musikstück nie die Stimme abrupt erhoben wird, alles klang eher sehr bescheiden und demütig für mein Empfinden.

Den einzigen Berührungspunkt mit klassischer Musik hatte ich über Playstation 3, was schon etwas zurück liegt, da gab es ein Spiel das hieß Eternal Sonata und ich erinnere mich das man da Partituren finden musste. Frederic Chopin war der Hauptcharakter in dem Spiel und die Städte hatten alle Namen wie Ritardando und Tenuto und es gab Spielecharaktere mit dem Namen Allegretto, Beat und Polka und der Name Frederic hat mich damals irritiert, denn alles klang so nach Musik oder Taktarten und dann so ein Normaler Name? Bis ich irgendwann merkte dass das Spiel seine Lebensgeschichte ins Auge fasste und er eine Art Traum oder Wahnvorstellung durchlief während er im sterben lag. Ein wie ich finde extrem schönes Spiel an dass ich gerne zurück denke.

Vielleicht mag Ilka-Maria ja mein Gedicht abändern falls sie das hier liest und die letzte Zeile in

"doch höret mein des-Dur"
verwandeln.

Vielen Dank für deinen ausgiebigen Kommentar
Ich habe diese Reimart gewählt um dem Wolf eine Art Freiheit zuzusprechen. Mein Augenmerk lag auf den Gleichlauten und irgendwie wäre jede Art des Reimes für mein Empfinden zu beengend gewesen. Das "ur" hat im übrigen einen schönen langgezogenen Vokal der einen aufstrebenden Charakter für mich inne hat und einem Wolfsheulen am nächsten kommt.

LG Mono
MonoTon ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 22.01.2022, 11:58   #4
männlich Ex-Tristanhirte
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Dabei seit: 12/2021
Beiträge: 139

Hey

ja, Chopin schrieb sehr oft in Des-Dur das hier wäre noch so ein Klassiker: https://www.youtube.com/watch?v=TGXXLaO0Ke4 Das Spiel kenne ich gar nicht, wobei mir der Name entfernt was sagt (ich war in meiner Zocker-Phase mehr ein Fifa (genauer FUT))-Typ.

Zum ur: ja stimmt, das fügt sich auch mega gut in die Stimmung ein, ist mir bei den ersten zwei Anläufen gar nicht aufgefallen, hab wohl den Wald vor lauter Bäumen nicht gesehen. Innerhalb der Strophen werden die langen und größtenteils auch kurzen "u"s ja weitestgehend gemieden, dadurch gelangen sie überhaupt erst an ihre gliedernde, zäsurale Funktion.

LG
Ex-Tristanhirte ist offline   Mit Zitat antworten
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