Bin ich frei?

[Ex-DrKarg]

Bin ich frei?

©Hans Hartmut Karg
2015

Das Ringen um die Freiheit
Ist höchstes Menschengut.
Allein mit ihr sind wir bereit,
Dem Tod zu fliehen, geben Mut!

Doch wisse, dass doch der nur frei,
Der Freiheit sieht eben nicht rosa,
Denn was Unfreiheit wirklich sei,
Das lehrte uns dereinst Spinoza.

Sind wir doch fremdbestimmt
Vom Zeugungsakte an,
Von außen man uns nimmt,
Was wir nicht selbst getan:

Phylogenese und Phylografie,
Soziogenese und Soziografie,
Biogenese und Biografie
Verlassen uns lebenslang nie!

Selbst wenn wir alles verdrängen,
Uns abnabeln von aller Herkunft,
Bleiben wir innerlich hängen,
Steuern uns Emotion – und Vernunft.

Sinnnormen als die Leitintentionen,
Sachnormen als die Lebensfunktionen,
Bedingungen als Präsenzkonditionen
Umschwirren uns wie die Kosmosionen!

Determiniert ist doch alles vernetzt,
Landsmannschaft prägt immer auch jede Person.
Die Mentalität bleibt dadurch stets benetzt,
Was an Herkunft kommt auf die Tochter, den Sohn.

Beeinflusst sind die Nachkommen,
Die um Selbstbestimmung schwer ringen,
Die freiheitsmächtigen Zonen –
Erschließen, vielleicht auch erzwingen.

Frei bin ich doch immer nur,
Wenn ich weiß, dass ich unfrei bin.
Allein mit dieser Richtschnur
Gibt Tatsache dem Aufbau Sinn.

*

[inana]

Du hast die Thematik gut beleuchtet. Gefällt mir.

[Ex-DrKarg]

Liebe inana,
noch immer gilt in unserer Kulturtradition der Satz Schillers: "Der Mensch ist frei - und wär´ er in Ketten geboren." Danke für das Lob!
Herzliche GrüßeH. H. Karg

[NuclearWinter]

Seit Libet weiss man ja eigentlich, dass es so etwas wie Freiheit nicht gibt. Man kann sich jedoch durchaus einbilden, frei zu sein. Dies macht die kurze Existenz für den Menschen durchaus erträglicher.
Es gibt ja viele Lügen die der Mensch nur zu gerne glaubt, damit sein Leben nicht ganz so Sinnlos erscheint:
-Freiheit
-Chancengleichheit
-Gerechtigkeit
-Seele
-Götter
-Schicksal (wenn man Schicksal jedoch mit Determiniertheit gleichsetzt, so ist dies der Lüge nicht mehr ganz so voll)

Lg NW

[Ilka-Maria]

Zitat von DrKarg

Frei bin ich doch immer nur,
Wenn ich weiß, dass ich unfrei bin.
Allein mit dieser Richtschnur
Gibt Tatsache dem Aufbau Sinn.

*

Ich will diese Aussage noch ein wenig ausbauen, lieber Hans: Ich weiß, dass ich unfrei, also gesellschaftlichen und sachlichen Zwängen ausgeliefert bin, aber dass ich innerhalb dieser Unfreiheit durchaus Freiräume habe, weil mir gewisse Rechte (Menschenrechte, Grundgesetz, individuelle Verträge) diese Freiräume gewähren. Es liegt an mir, sie zu nutzen. Liegt mir nichts daran, ist dies immerhin auch eine freie Entscheidung.

Es gibt Freiheit, aber nicht en bloc und nicht immer zur gleichen Zeit. Rechte gewähren Freiheit, Pflichten nehmen sie zurück. Jeder hat z.B. das Recht zur freien Meinungsäußerung, aber wenn jemand seinen Boss als Arschloch beschimpfen will, sollte er sich vorher überlegen, ob er es in der Öffentlichkeit tut oder lieber in einem geschlossen Raum unter vier Augen. Sagen und tun darf ein Mensch fast alles, wenn er weiß, so sein Freiraum ist und solange er nicht gegen das Gesetz verstößt.

Es gibt auch die totale Freiheit, nämlich die Selbsttötung. Nun könnte der Einwand kommen, dass erst ein Zwang oder ein Leiden einen Menschen in den Suizid treibt. Das ändert aber nichts daran, dass der Suizid eine derart freie Entscheidung ist, wie sie freier nicht getroffen werden kann.

LG
Ilka

[Ex-DrKarg]

Liebe Ilka-Maria, lieber NuclearWinter,
seit Améry wissen wir schon, wie wir mit der Suizidfreiheit umgehen sollten. Das wäre dann die totale Freiheit...
Grundsätzlich ist es heute leider so, dass wir damit rechnen müssen, was ein Großteil der Neurowissenschaften uns weismachen will:
WAHRE FREIHEIT ODER GAR FREIHEIT DES ICH GIBT ES NICHT!
Dagegen müssen sich wenigstens Dichterinnen und Dichter verwahren....
Und der Determinismus hilft uns manchmal auch nicht weiter....
Herzliche Grüße!
H. H. Karg