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Sonstiges und Experimentelles Andersartige, experimentelle Texte und sonstige Querschläger.

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Alt 20.01.2011, 16:03   #1
männlich Ayatollah
 
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Standard Auszug aus einem Protokoll

Fallstudie # 3; 22.10.2010; 11:13 Uhr; M/22
Leipzig

“Ob ich auf Mythen stehe? Das kommt nun wirklich ganz darauf an, was Sie denn unter einem Mythos verstehen. Ich meine…als Kind, habe ich meiner Schwester gerne und oft zugehört, als sie mir aus den Griechischen Sagen vorgelesen hatte. Neben diesem Gartenteich – oder war es ein Sumpf? -, unter der Fichte. Odysseus und Theseus, und Jason und die Argonauten. Das fand ich immer sehr spannend, und als kleiner Junge interessierte ich mich in Deutschland auch sehr für das Alte Ägypten. Mumien und Pharaonen; ihre geheimnisvolle Dynastien und diese wunderlichen Pyramiden. Dann die billigen Zeichentrickfilme aus Amerika, die jede geschichtlich relevante Tatsache in so einen Actiontrash verwandelten. Aber gut…klar, wer mag denn keine Phantasiegeschichten? Allerdings weiß ich nicht worauf Sie jetzt genau anspielen. Wohl kaum auf Ariadne und Dädalus und die anderen Helden und Tragiker, oder? Ich glaube es geht eher um moderne Mythen, nicht wahr? Großstadtlegenden wie Alligatoren in Berlin hatte die BILD ja letztens. Oder? Deswegen bin ich ja hier, nehm ich an. Klar, ist eben ein guter Job…so nebenher ein paar…Euro zu verdienen. Jetzt hab‘ ich beinah Mark gesagt. Dabei erinnere ich mich kaum an die. Meine Schwester schon. Aber zurück zum Thema…ich weiß nicht was für mich persönlich ein Mythos ist. Ich glaube die Uni hat mir eingetrichtert, dass man fast alles irgendwie irgendwann zu irgendeinem Zweck auslegen kann. Hatten Sie schon einen Jurist als Probanden? Die wissen wovon ich rede. Von daher…puuhh….keine Ahnung. Mit dem ganzen nordischen Kram kenn ich mich nicht aus. Also der ganze Siegfried-Quatsch, der mal so en vogue war. Aber entschuldigen Sie bitte…ich habe öfters die Neigung abzuschweifen. Andererseits erwarten Sie genau das, sonst wär‘ ich ja nicht hier. “
F.
„Das ist einmal so gekommen. Mir hat keiner davon erzählt und ich war auch nicht - wie man so schön sagt - spitz drauf, es nachzulesen. Obwohl…ich glaube, ich war vierzehn oder so, und da habe ich in dieses echt fette Buch reingeguckt, mit den Ringen, und dem seltsamen Namen. Haben Sie es gelesen? Auf jeden Fall fand ich die Story…ich meine Geschichte, relativ abwegig. Mehr als ein paar Seiten waren da nicht drin. Aber vielleicht macht das ja einen gelungenen Mythos aus. Dass es zugleich wider jede Vernunft läuft, und dabei doch wahrscheinlich, unbedingt, aufrichtig sein kann. Könnte. Oder? Es hätte sich wahrscheinlich ereignen können. Könnte. Verzeihung, ich verwechsle manchmal diese Formen. Konjunktiv und so. Es fällt mir nicht immer leicht. Besser als bei meiner Tante auf jeden Fall. Wenn ich der am Telefon zu hören, da will ich nur noch wegsiechen.“
F.
„Wie meinen Sie das? Ob ich nachdenke? Ich nehme doch stark an, dass jeder Mensch darüber nachdenkt was er sagt – noch bevor er den Mund aufmacht. So hatte ich es zumindest in der Schule gelernt. Und mein besonderer Zustand macht es schließlich auch notwendig. […]Ich glaube, Sie spielten darauf an…[…] wie es der ganze Rest tut.“

(c) ayatollah
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Alt 24.02.2011, 14:43   #2
männlich Schmuddelkind
 
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Beiträge: 4.798

Hi,

das liest sich für mich alles sehr kryptisch, aber spricht mich auf eine seltsame Weise an. Ich glaube, ich habe deinen Beitrag nicht in seiner ganzen Tiefe verstanden, aber eine Sache ist mir ins Auge gesprungen:

"Dass es zugleich wider jede Vernunft läuft, und dabei doch wahrscheinlich, unbedingt, aufrichtig sein kann. Könnte."

Da drückt sich für mich der bei Rousseau thematisierte Konflikt zwischen Mensch und Bürger aus. Rousseau würde wahrscheinlich sagen, dass der Mythos (das gilt für klassische wie für moderne Mythen) aufrichtig ist, weil er sich über die marmorne Vernunft erhebt. Der Mythos versucht hinter den vergesellschafteten, mit heuchlericher Moral angestrichenen egoistischen Bürger zurückzugelangen zum Menschen, der harmonisch mit sich selbst und dem Naturganzen, nicht anders kann als aus tiefer Seele seine Wahrheit auszudrücken, seine Ängste, seine Hoffnungen, seine Zuneigungen und Abneigungen.

Dazu passt dann auch der Bezug zur Uni, wo einem gelehrt wird, etwas zu einem bestimmten Zweck auszulegen. So zumindest würde es auch Rousseau sehen, der den Wissenschaften nur die Funktion zugestand, die Heuchlerei des zwiegespaltenen Bürgers zu veredeln. Wissenschaft habe nur den Zweck, unser Lügengebäude zu stützen und angenehmer zu machen. Das sehe ich zwar selbst anders, aber es ist ein interessanter Gedanke, der gut als Gegensatz zum aufrichtigen Mythos herhalten kann.

LG
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