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Humorvolles und Verborgenes Humorvolle oder rätselhafte Gedichte zum Schmunzeln oder Grübeln.

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Alt 18.04.2014, 14:08   #1
gummibaum
 
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Standard Lob der Vergesslichkeit

Mein Leben blieb in engen Schranken,
besäße ich nicht als Talent
Vergesslichkeit, die stets Gedanken
am Fußpunkt ihrer Logik trennt.

So finden sich verkürzte Stücke
aus weit entfernten Zonen ein,
verbinden sich. Die neue Brücke
lässt Altbekanntes seltsam sein.

Ich gehe staunend durch die Menge
der Dinge, Menschen, um mich her.
Erkenne nichts. An Fremdes dränge
ich mich, als wenn’s das meine wär.

So ist mein Dasein all die Tage
voll Überraschung und Gefahr,
reich an Tumult wie eine Sage -
Vergesslichkeit ist wunderbar!
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Alt 18.04.2014, 21:16   #2
weiblich Ilka-Maria
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Ich wünschte, ich wäre schon soweit, vergessen zu kiönnen. Dein Gedicht hat mir Hoffnung auf bessere Zeiten gemacht.
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Alt 18.04.2014, 22:03   #3
gummibaum
 
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Frauen halten sich unglücklicherweise länger frisch. Aber, die besseren Zeiten, ich verspreche nicht zuviel, kommen sich bald.

Danke und lieben Gruß
gummibaum
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Alt 18.04.2014, 22:11   #4
weiblich Ilka-Maria
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Darf ich Dich dann im Heim besuchen? Ich hefte mir ein Schildchen mit Namen und Foto an, damit Dich mir niemand wegschnappt.
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Alt 18.04.2014, 22:33   #5
gummibaum
 
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Im Heim

werde ich laut das Schildchen lesen
und lange dein Foto betrachten
und dich fragen

ob draußen jetzt alle solche
Schildchen tragen und Ilka heißen
und wer das auf dem Foto ist

und ich werde dir so viele Namen geben
bis du dich selbst nicht mehr kennst

und dann ist es soweit
dass auch du dort einziehst

dann spielen wir Blinde Kuh
den ganzen Tag...
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Alt 19.04.2014, 10:19   #6
Thing
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Standard Lieber gummibaum -

da ich diesen Prozeß (unter Qualen) bei meiner Mutter mitmache, trifft mich Dein wohlgestaltetes Gedicht sehr, bis unter die Haut.
Da ich nicht in der "Haut" meiner Mutter (97 Jahre alt) stecke, kann ich das Empfinden nicht nachvollziehen, ich sehe aber, was diese Versatzstücke anrichten können.

Bleibt zu hoffen, daß ich - wenn es bei mir so weit ist - lediglich die positiven Seiten erlebe.

Sehr gut gemacht!

Herzlichen Gruß
von
Thing
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Alt 19.04.2014, 11:36   #7
gummibaum
 
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Hallo Thing,

ich habe es bei Mutter auch erlebt. Wer an all den Fallen wie Herzinfarkt, Schlaganfall und Krebs glücklich vorbeikommt, bleibt zuletzt in dieser hängen.

Liebe Grüße
gummibaum
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Alt 19.04.2014, 11:45   #8
weiblich Ilka-Maria
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Zitat:
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Hallo Thing,

ich habe es bei Mutter auch erlebt. Wer an all den Fallen wie Herzinfarkt, Schlaganfall und Krebs glücklich vorbeikommt, bleibt zuletzt in dieser hängen.

Liebe Grüße
gummibaum
Muss aber nicht sein. Meine Mutter wird 85 und zeigt noch nicht die geringsten Anzeichen.
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Alt 19.04.2014, 12:27   #9
gummibaum
 
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Das ist gut. Möge es so bleiben, Ilka! Aber: mit 85 ist meine Mutter noch verreist und saß am Steuer. Mit 88 folgte sie meinem Rat und ließ ihr Auto verkaufen. Danach verließ sie das Haus nicht mehr. Jetzt erst setzten die grauen Zellen langsam aus.

LG g
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Alt 19.04.2014, 13:47   #10
weiblich Rosmarie
 
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Liebe Gummibaum,

mich trifft dein erstes Gedicht (fast auch das zweite) bis ins Mark. Meine Mutter war zehn Jahre lang wegen Demenz im Altenheim in meiner Nähe. So wie du diese Versatzstücke aus diesem und jenem und dieser und jener Erinnerung zusammenfügst, so sah es wohl auch in ihrem Inneren aus.

Wenn alles nur immer zu einem heiteren und friedlichen Bild zusammengesetzt worden wäre, wäre ihre Demenz ja nur für mich schrecklich gewesen. Aber es gab auch Tage voller Tumult, wie du schreibst, und sogar voller Panik.

Ich hoffe, mir bleibt das erspart.
Und jedem, der bei einem geliebten Menschen zuschauen muss, wünsche ich viel, viel Kraft!

Für mich ein beeindruckendes, dichtes Gemälde!
Rosmarie
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Alt 20.04.2014, 03:23   #11
weiblich Ex Täubchen
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Der Nachteil, der nicht mehr vorhandenen Großfamilien.
Ich kannte Familien, da haben die Alten im Verbund mit gelebt und wurden von allen dann auch bis in den Tod gepflegt.
Mein Opa ist im Kreis seiner Liebsten neu gewählten Familie gestorben und musste diese Zeit nicht im Krankenhaus verbringen.
Das wäre ohne eine große, zusammen haltende Familie gar nicht gegangen.
Ich werde wohl in einer Einrichtung sterben, sonst müsste mein Kind sein Leben für mich opfern.

LG Täubchen
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Alt 20.04.2014, 08:31   #12
Thing
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Zum Glück sind wir vier Kinder.
Mutter kommt nicht ins Heim, niemals.
Wir wechseln uns ab.
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Alt 20.04.2014, 09:19   #13
weiblich Rosmarie
 
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Lieber Thing,

wenn sich jeder von vier Kindern beteiligt und die Mutter nicht aggressiv-abwehrend ist, ist alles gut.

Meine Mutter musste ich im Heim unterbringen, weil ich noch gearbeitet habe. Aber ich hätte sie auch nicht zu mir nehmen können, da sie meist aggressiv auf alles reagierte, was man mit ihr "machen" wollte (Hilfe, aus dem Bett aufzustehen, statt liegen zu bleiben, waschen, Toilettengang...). In ihren gesunden Zeiten war sie völlig anders.

Meine Schwester hat sich gedrückt. In Urlaub konnte ich meist nicht, weil sie nicht bereit war, mal für 14 Tage oder wenigstens eine Woche die täglichen Besuche zu übernehmen. Auf die war meine Mutter aber seelisch angewiesen. Ganz allein lassen wollte ich sie nicht.

Liebes Täubchen,

dein Satz: "Ich werde wohl in einer Einrichtung sterben, sonst müsste mein Kind sein Leben für mich opfern." trifft bei mir mitten in die Seele.

Heute denken wir wohl bewusster über die Belastungen nach, die solch eine Pflege für die Angehörigen bringen würde.
Ich kenne Familien, die sind fast an der jahrelangen Pflege der Schwerkranken zerbrochen. Diese Pflege blieb im allgemeinen immer an der Frauen hängen.
Und ob die Zu-Pflegenden immer und überall gut behandelt wurden/werden, das bezweifle ich.

Unsere Kinder heute haben einen ganz anderen Anspruch an Selbstverwirklichung und das, was für sie ein lebenswertes Leben ist. Ich jedenfalls wollte auf keinen Fall auf die Pflege durch die Schwiegertochter angewiesen sein. Meingott, wäre das furchtbar, dieses Ausgeliefertsein auf Gedeih und Verderb!
Ich glaube, da wäre das Ausgeliefertsein Fremden gegenüber noch das kleinere Übel. Da könnte man - so der eigene Kopf noch funktioniert - noch versuchen, Missstände abzuwehren oder notfalls das Heim zu wechseln.
So schlimm Lieblosigkeit auch ist, von Fremden finde ich sie nicht ganz so schmerzhaft wie von den eigenen Familienmitgliedern...

Ich wünsch mir jedenfalls sehr, dass ich nicht in eine solch schlimme Situation komme. Wer nicht?

Herzliche Grüße
Rosmarie
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Alt 20.04.2014, 09:55   #14
gummibaum
 
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Ich bin überaus dankbar, dass ich hier so wertvolle Beiträge lesen darf, die eine persönliche Erfahrung und vertiefte Auseinandersetzung mit diesem Thema vermitteln. Das Alt- und Hinfälligwerden ist nämlich heutzutage in gewisser Weise tabu.

LG gummibaum
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Alt 20.04.2014, 10:07   #15
weiblich Ilka-Maria
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Das ist ein ernstes und schwieriges Thema. Wer möchte schon seine letzten Jahre im gleichförmigen Alltag eines Heims verbringen? Es wird aber angesichts der Lebensarbeitszeit, die nach oben geschraubt werden soll, für die Nachkommen immer schwieriger, sich um ihre pflegebedürftigen Angehörigen zu kümmern. Wer viele Kinder hat, die sich die Pflicht teilen, ist klar im Vorteil, dieses „Modell“ hat beim Trend zur Kleinfamilie aber wohl keine Zukunft.

Aber auch bezüglich Großfamilien bin ich skeptisch. Was bei deren Idealisierung nämlich oft übersehen wird, ist die Tatsache, dass auch hier im Falle des Pflegenmüssens schwere Konflikte auftreten können. Nicht jeder Mensch verfügt über gleich viel Pflichtgefühl oder gar Liebe, um sich für jemanden aufzuopfern, deswegen gibt es auch in den Großfamilien Drückeberger, die den „schwarzen Peter“ anderen überlassen. Was noch schlimmer ist: Wer sich seiner Pflicht nicht entzieht und irgendwann die Dauerbelastung nicht mehr erträgt, kann bis zum Gewaltausbruch gereizt werden. Die Dunkelziffer von Misshandlungen Pflegebedürftiger durch Familienangehörige ist dramatisch hoch, und ich bezweifle deshalb, ob eine Großfamilie immer die bessere Lösung ist. Auch ist nicht zu vergessen, dass allein mangelndes Fachwissen solchen Verzweiflungstaten Vorschub leisten kann, da kann zu Anfang der beste Wille vorgeherrscht haben.

Es klingt hart, ist aber realistisch: Im Alter ein lebenswürdiges Dasein zu haben und einigermaßen menschlich dem Tod entgegentreten zu dürfen, ist ein Privileg der Reichen. Selbst wenn der eine oder andere reiche Mensch das Pech hat, an einer grauenvollen Krankheit regelrecht zu verrecken, ist seine Familie besser dran als die eines Armen, denn sie hat die finanziellen Mittel, sich professionelle Hilfe zu verschaffen. Reichtum sichert Entscheidungsfreiheit und Kontrolle. Krass, aber wahr – und eine Erkenntnis, die so alt ist wie die Menschheit selbst.
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Alt 20.04.2014, 10:35   #16
Thing
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Der Schoß der Familie wird sozusagen mager, wenn die Kinder selbst schon halbe Greise sind und ihre Kräfte demzufolge nachgelassen haben.
97 Jahre - biblisches Alter.
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Alt 20.04.2014, 10:37   #17
weiblich Ilka-Maria
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Zitat:
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Der Schoß der Familie wird sozusagen mager, wenn die Kinder selbst schon halbe Greise sind und ihre Kräfte demzufolge nachgelassen haben.
97 Jahre - biblisches Alter.
Das kommt noch dazu, ganz richtig.
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Alt 20.04.2014, 10:51   #18
gummibaum
 
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Und es gab nie so viele Alte wie heute. Ganze Stadtteile bevölkern sich mit Rollatoren. Aber das Einzelschicksal bleibt anonym und verborgen. Stille Entsorgung.
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Alt 20.04.2014, 10:59   #19
männlich Ex-Poesieger
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Da fragt man sich was am Fußpunkt der Logik mit den Gefühlen passiert, die doch einem gewissen Vergessen entgegenwirken. Vielöleicht ist der Prozess so gut beschrieben, dass man sich fragt was er eigentlich alles betrifft.

LG RS
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