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Alt 01.08.2005, 02:49   #1
Riif-Sa
 
Dabei seit: 11/2004
Beiträge: 253

Standard 050801 - How to get a Gesundheitspass

Nun arbeite ich als Pizzabote für eine kleine Pizzabäckerei in der Innenstadt. Da ich dort auch ab und zu in der Küche arbeiten muss, war ich gezwungen, mir vorher einen Gesundheitspass ausstellen zu lassen. Da meine Mutter zu DDR-Zeiten in einer Kantinenküche gearbeitet hatte, bereitete sie mich seelisch und moralisch auf die dazugehörige Gesundheitsprüfung vor.
"Du musst in der Lage sein, Stuhl und Urin abzugeben. Sie wird alle deine Leberflecken begutachten, deine Ohren testen und deine Hände sehen wollen. Vermutlich wird sie auch deine Hoden sehen wollen." "Und wenn du Pech hast, hat sie schrumpelige, eiskalte Hände und ist extrem kurzsichtig. Du wirst also leiden." fügte mein Vater noch hinzu. Das erinnerte mich an meine Musterung und ihn wohl an seine. Insofern war das ja kein Problem für mich. Ich bereitete mich also darauf vor, zum richtigen Zeitpunkt dazu in der Lage zu sein, Stuhl und Urin abgeben zu können (ich denke, jeder weiß oder kann sich zumindest vorstellen , wie schwer es ist, das zu timen).
Als ich nun am Donnerstag mit einem Terminzettel, einem vollem Darm und einer vollen Blase das Gesundheitsamt betrat, warteten vor dem Untersuchungszimmer schon zwei junge Damen, die ebenfalls einen Gesundheitspass haben wollten. Ich füllte zuerst einen Bogen aus, dann rief man uns alle drei herein. Gleichzeitig. Mir wurde bange. Dann erklärte uns die Amtsärztin, deren Hände ich sehr aufmerksam beobachtete, woraus die Gesundheitsprüfung bestand. Mir wurde wirklich bange. Wir schauten uns ein Video an, in dem uns erklärt wurde, in welche Kategorien man Lebensmittel einteilt, wie man mit Lebensmitteln umgeht und wie besser nicht. Vom Video selbst bekam ich nicht sehr viel mit, ich rang die ganze Zeit mit mir, ob ich fragen sollte, wo sich hier die Toilette befindet. Ich wollte natürlich nicht, dass die beiden Damen sauer auf mich sind, weil wegen mir der Film unterbrochen werden muss (wahrscheinlich war er eh langweilig), zumal ich auf die beiden bis dahin offenbar einen recht sympathischen Eindruck gemacht hatte. Also wartete ich in der Hoffnung, dass der Film nicht sehr lange dauern würde. Nach zwanzig Minuten war der Film vorbei. Nachdem wir alle drei unterschreiben mussten, dass wir den Inhalt des Filmes verstanden hatten (ich hatte leichte Gewissensbisse, weil ich ja eigentlich nichts verstanden hatte, doch auf die Gefahr hin, ihn nochmal sehen zu müssen, unterschrieb ich), fragte ich sofort, wo die Toiletten zu finden sind.
"Sie müssen sich noch ein wenig gedulden." war die Antwort. "Wir holen sie jetzt alle einzeln rein, kontrollieren ihre Impfpässe und stellen ihnen noch ein paar Fragen." Ich geduldete mich. Dass ich als letzter an der Reihe sein würde, war mir schon vorher klar. Murphy's Gesetz. Was schief gehen kann, wird schief gehen. Sehr frustrierend, dabei musste ich nur auf's Klo.
Als ich schließlich ins Untersuchungszimmer gerufen wurde, muss mein Gang schon ein bisschen komisch ausgesehen haben, ebenso wie mein Gesichtsausdruck. Die Amtsärztin sah sich meinen Impfpass besonders gründlich an, blätterte mal vor, wieder zurück, kratzte sich am Kopf, blätterte wieder vor, rümpfte die Nase, blätterte zurück, sagte "Aha aha", blätterte wieder vor und machte sich Notizen. Dann murmelte sie etwas vor sich hin, zog die Augenbrauen nach oben, blätterte wieder zurück, nickte und sagte "Ja, alles in Ordnung." Ich rutschte auf dem Stuhl hin und her, mein Körper zuckte in regelmäßigen Abständen wie eine Laola-Welle von der Stirn bis zur Sohle. "Leiden sie unter Schüttelfrost?" fragte sie. "Nein!" schrie ich plötzlich, "Ich muss mal aufs Klo!" Ich wollte gar nicht laut werden, aber ich hatte meinen Körper irgendwie nicht so ganz unter Kontrolle.
"Sie müssen nicht so schreien!" sagte sie und drückte mir einen Zettel in die Hand. "Gehen sie zur Kasse, Raum zweihundertirgendwas, den Gang hinter, links und die letzte Tür rechts." Ich legte einen 200-Meter-Sprint in Rekordzeit hin, zahlte, und überbot den Rekord vom ersten Sprint noch einmal auf dem Rücksprint. Ich legte die Quittung auf den Tisch, riss der Amtsärztin meinen Gesundheitspass aus der Hand und fragte hektisch: "Wo ist das Klo?"
"Gleich gegenüber, durch die Glastür, um die Ecke, erste Tür links." sagte sie, als hätte sie es auswendig gelernt. Ich vermutete, dass ich nicht der Erste war, der so eine Tortur mitgemacht hatte.
Unglaublich erleichtert kam ich zu hause an. Mein Vater steckte seinen Kopf durch die Küchentür und fragte: "Na, hast du gelitten?"
Riif-Sa ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 02.08.2005, 17:04   #2
Bluestar
 
Dabei seit: 04/2005
Ort: Chicago
Alter: 42
Beiträge: 155

Hättest du mich vorher gefragt, der sich seit gestern nun auch ganz offiziell "Hotelfachmann mit Zusatzqualifikation Management" schimpfen kann, weil ich die Prüfung bestanden habe, hättest du dir viel Leid ersparen können
Bluestar ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 03.08.2005, 13:57   #3
Riif-Sa
 
Dabei seit: 11/2004
Beiträge: 253

Naja, schönen Dank.

Im Ernst, man beachte den sozialkritischen Aspekt. Sonst muss man doch aufm Amt jeden Scheiß nachweisen, aber beim Gesundheitsamt, wo es wirklich wichtig wäre, bekommt man nur Fragen gestellt und einem wird geglaubt.
Hauptsache aber man zahlt!

LG, Riif-Sa
Riif-Sa ist offline   Mit Zitat antworten
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