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Düstere Welten und Abgründiges Gedichte über düstere Welten, dunkle und abgründige Gedanken. |
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08.07.2017, 00:13 | #1 |
Demenz
Als ich im Spiegel meine Augen fand,
den Blick gebrochen, stumpf, mir fremd geworden, riss meine Maske wie ein mürbes Band. Ich konnte sehen, zu viel Leid lässt morden. Wie kann man das Gehirn in Stücke hauen und ohne Angst erinnern, wer man ist? Wie kann man sprachlos einfach so ergrauen, das Wissen schützen, das man sonst vergisst? Versteht ihr noch mein Sprechen, meine Laute? Rief ich die Pest und hab es nicht erkannt? War es nur Fleisch, das sich wie Plastik kaute? Verreck ich würdig ohne den Verstand? Bleibst du, wenn ich vergesse, wer du bist? Ich weiß nicht mal, bin ich es, der jetzt ist? |
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22.03.2018, 16:27 | #2 |
abgemeldet
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Ein erstklassiges Gedicht, wieso gibt es dazu keine Kommentare?
Hochhebt. |
23.03.2018, 18:52 | #3 | ||
Dabei seit: 11/2014
Ort: Das Meer ist mein Garten aus Kristallen und Träumen ...
Alter: 66
Beiträge: 2.583
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Zitat:
Hallo Flocke, Dein Gedicht zündet viele Assoziationsketten; Lebensgeschichten, WerdenundVergehenundwiederWerden, Abenteuerreise ins unbekannte Selbst, Verschwimmen von Grenzen, Lebensnebel und die Angst vor einer Reise ohne Wiederkehr. Zitat:
Sehr berührend. LG Zaubersee |
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25.03.2018, 11:18 | #4 |
Danke für eure wohltuenden Kommentare.
Flocke Geändert von Flocke (25.03.2018 um 13:31 Uhr) |
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25.03.2018, 21:34 | #5 |
ich finde du hast in deinem Gedicht die Demenz-Thematik mit Worten dargestellt, die diese Krankheit zu einem greifbaren Bild machen. Danke!
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25.03.2018, 22:52 | #6 |
Hallo Flocke,
es ist das Erkennen spürbar, das noch nicht Wahrhabenwollen... Viele Fragen kreisen um den Verstand, der sich langsam im Verlieren verliert. Klingt autobiographisch und ist sehr bewegend. Take care |
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26.03.2018, 03:48 | #7 | |
Forumsleitung
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Zitat:
Ein dementer oder schizophrener Mensch könnte kein Gedicht aus seiner Selbsterkenntnis heraus schreiben. Jedenfalls nicht in dieser Klarheit. Mit anderen Worten: Das Gedicht ist aus einer unglaubwürdigen Perspektive geschrieben. Es ist gut geschrieben, ohne Zweifel. Aber besser wäre die Außenansicht gewesen. Die erste Strophe funktioniert noch, aber die nachfolgenden Strophen funkionieren nicht mehr. |
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26.03.2018, 11:45 | #8 |
Dabei seit: 11/2014
Ort: Das Meer ist mein Garten aus Kristallen und Träumen ...
Alter: 66
Beiträge: 2.583
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Liebe Ilka.Maria, liebe Mitlesende und natürlich lieber Flocke,
U.a. Durch unsere Spiegelneuronen sind wir in der Lage uns in unsere Mitmenschen einfühlen zu können. Sicher, wir treffen nicht alles unseres Gegenüber auf den Punkt. Aber wir können versuchen dort Sprache zu werden, wo der andere es nicht mehr kann. Ein gutes Buch dazu ist:"Das Schweigen verstehen" von Luise Lutz. Es erzählt und schildert die Sprachlosigkeit von Aphasieerkrankten und ermuntert, dort Sprache zu sein, wo der andere es nicht mehr kann und ihm zu helfen es wieder zu können. Menschen, die sich mit Menschen umgeben, die so ein Problem haben, haben oft ein gutes Gespür für deren Wünsche/Ideen entwickelt. Es gibt nämlich eine sehr gute nonverbale Kommunikation, die durch Gestik/Mimik, Sprechmelodie, manchmal überraschend genau, wiedergeben können,was gerade gewünscht, gedacht wird. Allerdings; das muss man auch sagen, kann dies genauso gut andersherum funktionieren. Es wird hineininterpretiert, was der "Übersetzer" eigentlich wünscht/ denkt. Habe ich leider auch schon oft erlebt, selbst wenn es sich um Ehefrau / Ehemann des erkrankten Menschen handelt. Da war dann auch vorher schon Uneinigkeit/ Verständnislosigkeit im Miteinander. Aber ein gut eingespieltes Team, Angehöriger/ Erkrankter - Pflegender/Erkrankter, können durchaus sehr nah an die Gedanken des sprachlosen Menschen kommen. Insofern finde ich den Text durchaus glaubwürdig, selbst wenn er nicht eins zu eins übersetzt ist, sondern auch die Gedanken des "Vermittlers" für den Sprachlosen mit einfließen. Dann schimmern seine Gedanken dazu im Text mit durch, diese Kombination ist berührend und glaubwürdig genug für mich. Liebe Grüße Zaubersee Ps.: ich beziehe mich in erster Linie auf die Dementerkrankten; mit Schizophrenie habe ich weniger Erfahrungen. Aber der Titel sagt worum es geht. |
26.03.2018, 12:01 | #9 |
Forumsleitung
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Du weißt aber auch, dass es verschiedene Formen der Demenz mit unterschiedlichen Auswirkungen gibt?
Von den Fällen, die ich persönlich kenne, wäre keine der betroffenen Personen in der Lage gewesen, über sich zu reflektieren, wie es das Gedicht beschreibt. |
26.03.2018, 13:31 | #10 | |
abgemeldet
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Zitat:
Das ein Demenzkranker primär nicht Gedichte schreiben kann sollte klar sein, jedenfalls im Spätstadium. Es ist aber ein Gedicht ÜBER Demenz. In meinen Augen ist das Gedicht sehr stimmig, rund und funktioniert wunderbar. vlg EV |
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26.03.2018, 13:57 | #11 |
Forumsleitung
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Es ist ein Gedicht aus der ICH-Perspektive, also in erster Linie eine Gedicht über Selbstwahrnehmung. Die Beschreibung dieser Wahrnehmung kommt einer Persönlichkeitsspaltung wesentlich näher als einer Demenz, wobei "Demenz" zu allgemein ausgedrückt ist. Es gibt Demenzen, bei denen die betroffenen Personen durchaus klare Momente haben, es gibt auch Demenzen, die lange Zeit nicht mit Vergesslichkeit einhergehen, wie man das von der Alzheimer-Krankheit kennt. Nach meiner Erfahrung mit einer Person, die an der Lewy-Krankheit litt, findet keine Selbstreflexion statt, sondern eine vage Ahnung, dass etwas nicht stimmt. Das Nichtbegreifen, was da vor sich geht, ruft in der Regel Unsicherheit und Angst hervor, die nicht selten in Aggressivität umschlägt. Im fortgeschrittenen Stadium - und das ging bei der Person, bei der ich diese Entwicklung erlebt habe, rasend schnell -, ist überhaupt kein Denken mehr möglich. Trotz eines vollkommen gesunden Körpers war diese Person nicht in der Lage, sich zu bewegen, ohne an die Hand genommen und geführt zu werden. Mit anderen Worten: Vom Gehirn gingen überhaupt keine Befehle mehr aus, weder an die Motorik noch im Sinne einer Selbstwahrnehmung.
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26.03.2018, 18:18 | #12 | |
Zitat:
Wissenschaftliche Erklärungen spielen für das Gedicht bzw. die Gefühle, die hier angesprochen werden und durch das Gedicht transportiert werden, gar keine Rolle. Es kommt zu meinen Favoriten. Lieber Flocke, wirklich toll gedichtet. LG DieSilbermöwe |
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26.03.2018, 19:31 | #13 |
Dabei seit: 10/2016
Ort: in einem sagenhaften Haus
Alter: 42
Beiträge: 5.271
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Ich bin selbst auch als Demenzberaterin tätig.
Dein Gedicht bewegt mich sehr, lieber Flocke. Der Versuch, sich hineinzudenken, ist dir gelungen. Gruß Unar |
26.03.2018, 21:15 | #14 |
Dabei seit: 07/2015
Ort: Zwischen den Ostseewellen ertrunken
Alter: 41
Beiträge: 5.474
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Am Anfang der Demenz kriegt man sowas bestimmt hin, ich vergess auch ständig alles.
Ab und zu hat man ja seine klaren Momente. Ich denke das Gedicht gilt nicht nur für Demenz, mit kannst bestimmt würdiger verrecken als mit einer gestörten Logik, in der man sich vor den Verwandten schämt zu sterben, sich schämt einzukacken, also das ist 10 mal schlimmer als bekloppt zu werden. Wenn man so mit voll klarem Verstand alt wird, und noch mitkriegt wie keiner einen mehr ernst nimmt... Mit voll klarem Verstand heuchlerischen Besuch kriegst, oh Opa könnte bald sterben. Wie sehlig ist es da Bekloppt zu sein? |
27.03.2018, 12:15 | #15 |
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Und wie sehr ist eine Krankheit so wie man drüber redet?
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01.04.2018, 20:56 | #16 |
Hallo,
mir gingen noch ein paar Gedanken insb. zu den Einwänden von Ilka-Marie durch den Kopf. „Es ist ein Gedicht aus der ICH-Perspektive, also in erster Linie eine Gedicht über Selbstwahrnehmung.“ (Ilka-Maria) Ich würde das anders akzentuieren. Das von mir konstruierte lyrische Ich nutzt hier das Stilmittel „Selbstwahrnehmung“, um einen Inhalt zu transportieren. Der Inhalt zeigt den erste Moment und die folgenden, indem dem lyrischen Ich vor Augen geführt wird, dass ihm ein schwerer Krankheitsverlauf bevorsteht, was es zutiefst erschreckt und verzweifeln lässt. Zu vermuten ist, dass es wie alle Betroffene vordem, mehr oder weniger gelungen erste Symptome ignorierte, verdrängte, beiseite schob. Doch dann sah es (hier in dem Gedicht) in den Spiegel und für einen Moment musste es sich orientieren, fiel die Welt auseinander; vielleicht hatte es sich für einen Moment dort nicht wieder erkannt oder es sah einen verwirrten Blick und die Angst kam auf, dass der Verfall seiner Persönlichkeit bevorstand. Ein unglaublich heftiger Schock. „Nach meiner Erfahrung mit einer Person, die an der Lewy-Krankheit liitt, findet keine Selbstreflexion statt, sondern eine vage Ahnung, dass etwas nicht stimmt.“ Und „Ein dementer oder schizophrener Mensch könnte kein Gedicht aus seiner Selbsterkenntnis heraus schreiben. Jedenfalls nicht in dieser Klarheit.“ (Ilka-Maria) Ja, aber es gibt eine lange Geschichte, die zu diesen schweren Störungen führte. Du wachst nicht eines morgens auf und bist blöd im Kopf (gibt es auch). Und sicherlich kannst du zu Beginn einer solchen Erkrankung noch reflektieren und künstlerisch wirken. (Sagt auch dr.Frankenstein) Und auch im späteren Stadien gibt es – wie Ilka-Marie sagte – Momente der Wahrheit. Ich musste erleben, wie eine schwer demente Patientin realisierte, dass sie ihre Tochter nicht mehr erkannte … so einen Schrei hatte ich zuvor nie gehört und so einen unglücklichen Menschen nicht gesehen. Vielleicht hätte ich das Gedicht präziser „Die Angst vor der Demenz“ nennen können. Aber ich wollte die „Angst“ nicht ankündigen, sondern sie nachempfindbar machen. __________________________________________________ ____ Es wäre auch interessant, grundsätzlich zu fragen, ob das lyrische Ich mehr wissen kann, als eine reale Person in gleicher Situation. Aber es werden sicher noch weitere Gedichte mit ähnlicher Problematik hier auftauchen. __________________________________________________ ______ @ Poesieger Zu deiner interessanten Frage, ("Und wie sehr ist eine Krankheit so wie man drüber redet?") gibt es ein gutes Buch von Susan Sontag: Krankheit als Metapher. In wie weit leiden wir an den Symptomen einer tatsächlichen Krankheit, oder quälen wir uns (auch) mit dem, was wir an Bildern und falschen Vorstellungen von dieser Krankheit mit uns rumschleppen? LG Flocke |
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