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Liebe, Romantik und Leidenschaft Gedichte über Liebe, Herzschmerz, Sehnsucht und Leidenschaft.

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Alt 09.11.2007, 20:26   #1
männlich Perry
 
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Alter: 71
Beiträge: 3.762

Standard Still-Leben

Es war Donnerstag
als wir hinter Brombeerbüschen
überreife Früchte pflückten
uns danach die Restsüße
von den Lippen küssten

Es war immer noch Donnerstag
als wir unserer Wege gingen
wohl wissend
dass unausgesprochene Fragen
keine Antworten brauchen
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Alt 09.11.2007, 21:47   #2
Werther
 
Dabei seit: 01/2007
Beiträge: 404

Raffiniert. Hinter deinen Worten verbirgt sich mehr, als sich auf den ersten Blick offenbart.

Du beschreibst, so scheint es mir, ein kurzes Intermezzo Zweier, die sich vielleicht nichtmal wirklich kennen. Inwieweit, ist nebensächlich, da es aus dem Gedicht nicht hervorgeht. "Brombeerbüschen" ist ein klangvolles Wort, da die ersten drei Silben eine Alliteration bilden. Es findet sich hier auch in metrisch trefflicher Verwendung. Warum es an einem Donnerstag sein muss, verstehe ich noch nicht ganz. Kurz vor Wochenende? Nicht wirklich. Es muss eine andere Symbolik haben, vielleicht komme ich noch dahinter. Vielleicht verbirgt sie sich im Wortteil "Donner". Jedenfalls erzeugst du ein stimmiges Bild, da du das Augenmerk von den Brombeerbüschen zuerst auf die "Früchte", dann auf deren "Süße" lenkst. Dieser Klimax gefällt mir.

Im ersten Vers der zweiten Strophe würde ich den Syntax ändern: "Es war noch immer Donnerstag" - dadurch erfährt das "noch" eine größere Betonung, wodurch die Unerhörtheit dieses Zustands besser zutage tritt, möchte ich meinen. Die letzten vier Verse beschreiben dann, wie das lyrische Wir auseinanderdrieselt. Gut, dass kein "Ich" im Gedicht steht. Dadurch wird suggeriert, dass dem lyrischen Ich, dass ja zweifelsohne da ist, da es ein Teil des Wir sein muss, etwas an der Verbindung lag. So entsteht die Melancholie, die das Gedicht trägt.

Was ich eingangs meinte ist der Vers "überreife Früchte pflückten". Ich denke, jedem Leser wird klar, dass die beiden da hinterm Brombeerbusch keine Brombeeren pflückten. Das "Pflücken der Früchte" ist eine veraltete Formulierung für den Akt des Geschlechts. Durch diese "Tarnung" (deswegen nämlich, weil sich die Früchte perfekt in den oben angesprochenen Klimax eingliedern), behält dein Gedicht seine Melancholie, obwohl es (so wie ich die Sache sehe) von Sex handelt, der heimlich - genauso heimlich wie er im Text Anklang findet - vonstatten ging. Danach trennen sich die beiden, traurig. Denn "Omne triste animal post coitum" - Jedes Lebewesen ist nach dem Koitus traurig. Aber nicht nur deswegen, denn womöglich hätte auch mehr daraus werden können, aber die Frage wurde nie ausgesprochen, weshalb sie auch keine Antwort erfährt. Und alles, was dem lyrischen Ich bleibt, ist die bohrende Frage "Was wäre, wenn...?"

Mir gefällt dein Werk außerordentlich gut.
Gruß, Werther
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Alt 09.11.2007, 22:21   #3
evilsuperbitch
 
Dabei seit: 08/2006
Beiträge: 1.073

"Still-Leben"

ui, ist das aber ein hässlicher strich.

"Es war Donnerstag
als wir hinter Brombeerbüschen"

mmmh, donnerstag also. die alltäglichkeit ist dieser tag wohl schlechthin. denn was außer neuen filmen im kino gibt es sonst? keine champions-league, keine liga. ein unspannender, wenig entspannender tag. okay, donnerstag, ich check's.
wie wäre es, das es war ein wenig mehr wie es war einmal klingen zu lassen, so in etwa zb: "es war einst ein donnerstag" dadurch spielst du mit dem manchmal besonderen der alltäglichkeit oder so.

"überreife Früchte pflückten"

war ja aber auch endlich zeit, man wird ja nicht jünger oder so. hier ist zweideutigkeit nicht wirklich gegeben, finde ich, denn: was für früchte sind gemeint, wenn nicht, hm, frauen (plural(!))? brombeeren können es nicht sein, wir befinden uns ja hinter den büschen (heidelbeeren, zitronen, pampelmusen...).

"uns danach die Restsüße
von den Lippen küssten"

jaja, zweideutig oder mehrdeutig oder wie auch immer. aber bietet die frucht als bild für erotische unternehmungen wirklich wirklich und nochmals wirklich was neues?

"Es war immer noch Donnerstag"

gott, dieser tag geht ja auch nie zu ende.

als wir unserer Wege gingen"
wohl wissend"

ja, sowas geschieht, aber das bedeutet nicht, dass das sprachlich so eins zu eins umgesetzt werden muss, um den leser zu langweilen.

"dass unausgesprochene Fragen
keine Antworten brauchen"

verdammich, fragen und antworten. so direkt die anworten hinter fragen zu platzieren ist höchstens ein wadenkrampf, aber kein grund, zu jubeln. ansonsten klingt das ende sehr nach alterweisheit oder altklug und deswegen recht unsympathisch. so a la das ist die moral dieses unschuldigen stelldicheins. um den kritiker leonard maltin zu zitieren: "no".

gruß. the fat.
evilsuperbitch ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 11.11.2007, 12:53   #4
männlich Perry
 
Benutzerbild von Perry
 
Dabei seit: 11/2006
Alter: 71
Beiträge: 3.762

Hallo ihr Beiden,
ich antworte Mal gemeinsam, weil ihr mit eueren Kommentaren die ganze Bandbreite dieses "Liebestreffens" abdeckt.

Der Donnerstag steht für die Beliebigkeit der Zeit, ein ganz normaler Tag ohne besondere Bedeutung.
Der Grund für das Treffen bleibt "bewusst" offen. Es kann ein bezahltes Strichdate sein, wofür die Örtlichkeit stehen könnte aber auch ein heimliches Liebestreffen, wofür die Restsüße Zeugnis ablegen könnte.

Im zweiten Vers -den ich vielleicht in der Endfassung sogar ganz weglasse- habe ich versucht eine Lanze für die "Liebe" ohne jeden Anspruch zu brechen. Dass man dafür eine besondere Art der Toleranz braucht ist darin eingebettet. Auch hier sollten wieder die zwei Lesarten von Gefühlskälte bis zum wortlosen Verstehen herauslesbar sein.

Danke an euch Beiden und ganz herzliche Grüße für diese genaue und ausführliche Interpretation.
LG
Perry
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