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Alt 01.05.2019, 20:03   #1
männlich Heinz
 
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Ort: Reimershagen in Mecklenburg-Vorpommern, Nähe Güstrow
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Standard Weimar

Ein paar Minuten noch, dann würde sich die Tür zum Goethehaus am Frauenplan öffnen. Schnell noch eine Zigarette und die Frage einer jungen Frau (erster Eindruck: Entzückend!).
„Können Sie mir bitte Feuer geben?“
Eva, so erfuhr ich bald, wartete mit mir in einem Pulk von Menschen auf Einlass in Goethes großes Wohnhaus inmitten der Stadt an der Ilm.
„Sagen Sie, kennen Sie sich hier ein bisschen aus?“
„Na ja, so ein bisschen schon.“
„Ich wollte nachher noch zur Fürstengruft und zum Gartenhaus Goethes - ist das weit, oder muss ich mein Auto holen?“
„Ach wo - bis zum Friedhof ists vielleicht ne Viertelstunde und bis zum Gartenhaus ist es auch nicht viel weiter - Sie sind wohl zum ersten Mal hier?“
Wir kamen ins Gespräch (zweiter Eindruck: Es gibt Menschen, die ein - na, sagen wir - elegantes Sächsisch sprechen).
„Warum gehen Sie bei dem schönen Wetter nicht erst zum Friedhof und zum Gartenhaus? Für den Nachmittag ist Regen angesagt - da bietet sich das Goethehaus doch eher als dritte Station an.“
„Wenn Sie für mich die Fremdenführerin machen, dann...“
Eva war offenbar eine Frau schneller Entschlüsse und wir machten uns zu Fuß auf, um die Fürstengruft aufzusuchen.
Aus Dresden war sie gekommen, hatte Freunde in Weimar besucht, die aber heute arbeiten müssten und so war sie - ich dankte dem Herrn im Himmel - vorm Goethehaus gelandet.
„Ja, und wo kommst Du her?“
„Ich mache paar Wochen Urlaub in Jena und...“
„Du kommts aus dem Westen!?“
Aus Wuppertal.“
„Und was machst Du da so?“
Dass wir ziemlich schnell vom förmlichen Sie zum Du übergegangen waren, wird der Leser/die Leserin inzwischen registriert haben.
„Ich bin dort bei der Bundeswehr.“
„Und nun willste in der DDR einmarschieren?“
„Nee, ich bin ja schon da, jetzt fange ich an, Kriegsgefangene zu machen.“
„Na, dann mach mal.“
Wir flachsten ein bisschen herum, ich erfuhr, dass sie Schneidermeisterin war, eine Tochter namens Jaqueline hatte und seit drei Jahren geschieden sei. Als wir den Friedhof erreichten, hörte das Herumalbern auf - die Stille, die hohen Bäume, die Grabsteine mit den Namen bedeutender Menschen, die Grabstätte des Goethe-Enkels Walther, die seiner Frau Christiane, auf deren Grabplatte die hochnäsigen Zeitgenossen beschämt lesen mussten:

Du versuchst o Sonne vergebens
durch die düstren Wolken zu scheinen!
Der ganze Gewinn meines Lebens
ist ihren Verlust zu beweinen.


Hochnäsig - das waren nicht nur die Zeitgenossen Goethes, der in ihren Augen sein Betthäschen geheiratet hatte und sich des Spottes der Hofgesellschaft sicher war - das sind auch die Germanisten und Philologen, die heute noch hartnäckig von Christiane Vulpius sprechen und schreiben und geflissentlich darüber hinweg gehen, dass sie und der Geheimrat nach achtzehnjähriger „wilder Ehe“ geheiratet haben und Christiane mit Fug und Recht der Name Christiane von Goethe zusteht.
Weiter ging es auf dem Jacobsfriedhof zur mittig gelegenen Fürstengruft. Hier stehen eine Menge Särge und mitten drin, etwas erhöht die beiden Särge Schillers und Goethes, schlichte Holzsärge, an der Frontseite mit den Namen der beiden beschriftet. Schillers Sarg ist allerdings leer, weil eine genaue Untersuchung der früher darin aufbewahrten Gebeine ergeben hat, dass es nicht die sterblichen Überreste des Dichters waren. Wir legten unsere mitgebrachten Rosen auf die beiden Särge (es hatte einiger Überredungskünste und ein paar
„Westmark“ bedurft, um überhaupt sechs Rosen käuflich erwerben zu können. Eva legte noch ein silbernes Etwas auf Goethes Sarg, wie sie mir sagte, sei es ein silbernes Ginkgoblatt gewesen, das in Weimar an jeder Ecke zu kaufen sei.
Goethe hatte mal ein Gedicht mit dem Titel „Ginkgo biloba“ geschrieben und zu Evas Freude kannte ich es auswendig, sagte es zu Füßen des Dichterfürsten auf:

Dieses Baumes Blatt, der von Osten
Meinem Garten anvertraut,
Gibt geheimen Sinn zu kosten,
Wie's den Wissenden erbaut.

Ist es ein lebendig Wesen,
Das sich in sich selbst getrennt?
Sind es zwei, die sich erlesen,
Dass man sie als eines kennt?

Solche Fragen zu erwidern
Fand ich wohl den rechten Sinn.
Fühlst du nicht an meinen Liedern,
Dass ich eins und doppelt bin ?

Danke schön, Johann Wolfgang, ich glaube, damit habe ich ein Herz, ein sächsisches, geöffnet. Sag mir keiner, Lyrik sei was für die Katz!

Unser Friedhofbesuch war zu Ende und nach einer Thüringer Bratwurst, die unweit des Friedhofs auf uns gewartet hatte, spazierten wir weiter Richtung Goethes Gartenhaus im Park an der Ilm.
„Du, bleib mal hier stehen!“
„Warum? Willst Du Dich ein bisschen ausruhen - da vorn steht eine Bank.“
„Ja, schenk mir mal eine von Deinen Westzigaretten, meine sind alle.“
Wir saßen auf der Bank, qualmten und ich erfuhr so nebenbei:
„Hier hat Goethe die Chrsitiane kennen gelernt, sie war 23, er knappe 40.“
„Ist das ein Zufall? Du bist 24, ich ein Dutzend Jahre älter und Mitte Juli haben wir auch und jetzt sitzen wir hier, knapp 190 Jahre nach dem ersten Rendezvous der beiden - das muss gefeiert werden!“
„Ja, da hast Du Recht, Grenadier; für das Dutzend geschenkte Jahre fasse ich Dich am Portepee, aber - der Goethe hat über das Treffen ein Gedicht geschrieben.“
„Kann ich auch - nicht so gut, aber ein Gedicht kannst Du bekommen.“
Hat sie auch, aber ich musste ja erst einmal wissen, ob sie sich auch wie Christiane auf Goethes Avancen auf meine einließ.
Goethe schrieb unter dem Titel „Gefunden“ das reizende Gedicht:

Ich ging im Walde
So vor mich hin,
Und nichts zu suchen,
Das war mein Sinn.
Im Schatten sah ich
Ein Blümlein stehn,
Wie Sterne blinkend,
Wie Äuglein schön.

Ich wollt es brechen,
Da sagt' es fein:
Soll ich zum Welken
Gebrochen sein?

Mit allen Wurzeln
Hob ich es aus,
Und trugs zum Garten
Am hübschen Haus.

Ich pflanzt es wieder
Am kühlen Ort;
Nun zweigt und blüht es
Mir immer fort.


Damit ich mal ein bisschen in die Nähe des Dichterfürsten komme, setze ich meins darunter und mehr lass ich auch nicht aus mir heraus locken:

Hastig führt er die Maid ins Dunkel schattender Büsche;
wie es die Wollust befiehlt, sucht er nach schwellendem Moos,
meidet den stachligen Dorn des Brombeergebüschs und der Distel,
findet, für beide bequem, bald schon den passenden Ort.
Lass uns, mein Liebchen nun hier heimlich die Liebe genießen,
Küsse uns tauschen und bald selig und glücklich dann sein.
Bald verstummte das Gurren der Täubchen, keine Geräusche
störten, nur raschelndes Laub machte die schönste Musik.


Nach dem Naturkonzert gings weiter Richtung Gartenhaus. Hier also vernahmen die neugierigen Lauscher „des geschaukelten Betts lieblichen knarrenden Ton“, das den aufbewahrten Quittungen zufolge wohl mehrere Male reapiert werden musste.
Hier hatte Seine Exzellenz, der Wirkliche Geheime Rat und Staatsminister also nicht nur im Frühjahr den Spargel gestochen, allerlei Gemüse und viele Blumen gepflanzt und gepflegt, mit seinem Adlatus Eckermann mit Pfeil und Bogen allerhand Blödsinn angestellt - also - Seine Exzellenz waren wohl auch ein Filou der besonderen Art. Chapeau! August, sein erster Sohn wurde ein Jahr nach dem denkwürdigen ersten Treffen geboren. Gleich nochmal: Chapeau! Sie werden mir immer sympathischer.
Eva wollte abends noch nach Dresden zurück fahren, ließ sich aber davon überzeugen, dass so ein Gartenhaus durchaus was für sich hatte und mein Angebot, sie am nächsten Tag mit dem Auto nach Dresden zu bringen, war wohl verlockend genug. Wir fuhren nach Jena, haben im Fuchsturm üppig zu Abend gegessen, konnten, weil mein Feriendomizil in der Nähe war, auch ein paar leicht alkoholische Getränke zu uns nehmen und lasen uns, im Gartenhaus angekommen, wechselseitig Gedichte vor.
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