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Düstere Welten und Abgründiges Gedichte über düstere Welten, dunkle und abgründige Gedanken.

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Alt 27.01.2012, 14:12   #1
weiblich Poetika
 
Dabei seit: 01/2012
Ort: Kristiansand, Norwegen
Alter: 66
Beiträge: 9

Standard Ute

Es ist mir, als war es gestern,
als eine ging von uns Schwestern.
Erinnert euch! Ihre Atemnot!
Langes Quälen, dann kam der Tod.

Sie war schon jung geschlagen.
Ihr Vergehen? fragt ihr. Versagen!
Die Eltern legten die Latte haushoch.
„Erwartungen an Kinder, die hat man doch.“

Bilder aus längst vergang´ner Zeit
zeigen ein Kind voller Ernst und Traurigkeit.
Sie konnte die Regeln nicht versteh`n.
Sie waren doch einfach und ihrer nur zehn!

Eins!
Leistung sei dein höchstes Gut!
Wehe dem, der faulenzt, sich sonnt oder ruht.

Zwei!
Du sollst Vater und Mutter ehren,
und nicht mit den falschen Leuten verkehren.

Drei!
Stell deine Schönheit nicht zur Schau!
Werde am besten gar nicht zur Frau.

Vier!
Lässt sich das Frau-sein nicht vermeiden,
so bleibe keusch, rein und bescheiden.

Fünf!
Schau nicht nach einem jungen Mann,
sondern biete dich stets dem Vater an!

Sechs!
Und biete dem Vater niemals die Stirn!
Du verlierst! Du hast doch nur Scheiße im Hirn.

Sieben!
Lass deine Gefühle im Dunklen ruh´n!
Vernunft bestimme allzeit dein Tun!

Acht!
Demütigungen schlucke herunter (wie deine Mutter)!
und präsentier` dich stets fröhlich und munter!

Neun!
Das sind die Regeln, lern´ sie Geschwind!
Verletzt du sie, bist du nicht mehr mein Kind.

Zehn!
Im Übrigen lautet das Urteil des Gerichts:
„Du bist und – vorallem - bleibst ein Nichts!“

Ach, sie konnte die Regeln nicht halten,
musste ihr Leben selber gestalten.
Ach, wie war sie unbedarft!
Dachte sie, das bleibt ungestraft?

Verstoß gegen Regel zwei, drei, vier, fünf, sechs und sieben.
Verletzung der Eltern, die sie doch lieben:
„Du solltest den Schwestern ein Vorbild sein!
Nun geh hier weg, nun bist du allein!“

Im Süden ließ sich alles gut an.
Beruflich erfolgreich, ein Kind und ein Mann.
Seht das Hochzeitsbild, werft den Blick zurück!
Es erzählt uns tröstend von Liebe und Glück.

Doch das Glück ist launisch. Es währte nicht lang.
Dann kam die Angst, jetzt wurde ihr bang!
Sie verließ ihren Mann und das Land ihrer Wahl.
Zurück in der Heimat wird das Leben zur Qual.

Das Kind war schwierig, und sie wird krank.
Die meiste Zeit war kaum Geld in der Bank.
Ihr Ruf nach Hilfe - ein stummer Schrei -
blieb ungehört. Dann war´s vorbei.

Es ist mir, als war es gestern,
Als eine ging von uns Schwestern.
Der Vater? Gebrochen. Die Mutter? Verstummt.
Und kein tröstliches Lied wird je gesummt.
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Alt 27.01.2012, 14:49   #2
Thing
R.I.P.
 
Benutzerbild von Thing
 
Dabei seit: 05/2010
Beiträge: 34.998

Tragisch. S e h r tragisch.
Obwohl mich die letzten Zeilen an ein Quentchen Gerechtigkeit glauben lassen.
Die erste Zeile kommt mir nicht gut formuliert vor.

Ich hab das Gedicht nicht gerne gelesen, denn das Thema ist so deprimierend.

LG
Thing
Thing ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 27.01.2012, 15:52   #3
weiblich Poetika
 
Dabei seit: 01/2012
Ort: Kristiansand, Norwegen
Alter: 66
Beiträge: 9

Standard Hallo Thing,

leider ist in meiner Familie viel Tragisches passiert. Da war so viel Härte gegen andere und gegen sich selbst.

Das Gedicht über meine Schwester ist ein Versuch, es zu verarbeiten. Auch ein Versuch, sich mit dem Vergangenen auszusöhnen.

Ich habe gelesen/gehört, Versöhnung ist ein Prozess und am Anfang steht immer die Wahrheit, die ans Licht muss.

Danke für den Kommentar. Ich kucke mir die Anfangszeilen noch mal an.

Gruß v. Poetika
Poetika ist offline   Mit Zitat antworten
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