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Alt 19.08.2016, 14:19   #1
männlich DerEchteSlimJD
 
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Standard Null Uhr

Das Ticken erfüllte den Raum, oder hätte es, würde das Zimmer solch Unkontrolle wie ein Echo erlauben. Dafür hallte es im Gedankenaufgeräumten Schädel des Herren wieder. Aufgeräumt von Kreativismus oder Gedankenfiltern, die Türsteher für fremde aber auch eigene Ideen. Doch der Weg war frei und das Ticken passierte frohen Mutes und ging erleichtert in sein Echo auf. Das Klacken dieses Zahnrades ließ ihn nicht mehr los, ganz und gar nicht, und er fragte sich ob es wirklich erst eine Sekunde her war, dass er das Klacken zuletzt vernommen hatte. Natürlich klacken Dinge nicht einfach so. Alles hat eine Ursache, actio et reactio. Der Zeiger einer Uhr bewegt sich nicht einfach nach einer Sekunde, wie es dem Empiristen erscheint, nein, Zahnrad beißt nach Zahnrad und tut seinen kaum merkbaren aber sicher nicht unerheblichen Teil, dass der Zeiger zuverlässig nach einer Sekunde den nächsten Schritt geht. Doch ist dies scheinbar keine Beachtung wert, denn die mehrheitliche Bevölkerung befindet einzig die Bestürzung über eine weitere verlorene Lebenssekunde als Reaktion angemessen.
Welch Zufall, dass dieses Bild hervorragend in die Szenerie passt:
Ein blanker Raum, steriler, als man es sich wünscht und unerklärbar bedrohlich. Vergleichbar mit einer dieser alten Keramikpuppen: Ungefährlich, eigentlich sollte man daran Gefallen finden, aber am Schluss der Gleichung dennoch zu perfekt. Es hätte von der reinen Betrachtung ein grenzenlos weißer Raum sein können, würde man nach ein paar Schritten nicht verdutzt mit dem Kopf gegen die Wand schlagen. Die reinen weißen Möbel hoben sich nur aus der richtigen Perspektive, mit geringer Abweichquote, von der Umgebung ab. Nicht einmal verräterische Schatten zerstörten die reale Illusion. Schattenloser Putz, ein Auswuchs, eine dekadente Reinlichkeitsmaßnahme der schmockhaften Neuzeit. Nun, warum sollte der Erzähler von einem vollkommen reinem Raum erzählen? Richtig, weil er nicht vollkommen rein ist. Der zuvor erwähnte kreativlose Geist mag in psychologischer Sichtweise der sterilen Leere in nichts nachstehen, doch rein anatomisch saß in dieser Leere eine Person, beziehungsweise zwei. Der eine ein Herr, von nicht errinerungswürdigem Aussehen und gleichem Charakter wie sein Aufenthaltsraum, vor ihm ‚Das Ticken‘. Ich will damit nicht sagen, dass das Ticken als Geräusch, als eingefrorene Schallwelle, vor ihm in der Luft schwang, nein es war ein Humanoid, gleich groß dem Herr, mit uhrmeschanischen Händen, Zeigern als Augen, einen Mund hatte er nicht, schließlich brauchte er um sein Wort, ein Uhrticken zu sagen, weder Lippen, noch Zunge, noch Stimmbänder, und mit einem Pendel als Herzen. Der Name war vielleicht nicht kreativ, aber fehlenden Pragmatischen Wert konnte man ihm nicht absprechen. Der Herr war sich weder im klaren darüber, über welchen Weg er in diesen Raum gelangt, noch zu welchem Zweck er hergebracht worden war. Allerdings tangierte ihn das kaum, zumal ihm ‚Das Ticken‘, ein strahlendes Symbol seiner Zeit, gegenüber saß, also musste ja alles seine Richtigkeit haben. "Ich nehme an meine Schicht hat ein hilfsbereiter Kollege übernommen," stellte der Herr in ruhiger Überzeugung fest und rückte sein viktorianisch anmutendes zahnradförmiges Festplattenimplantat am Handgelenk zurecht. Es saß zwar fest, aber die Geste unterstrich seine Ruhe. „Charles vielleicht? Oder Roger?". Tick. "Richten sie dem Auserwählten meinen Dank aus". Tack. ‚Das Ticken‘ war nicht für seine Konversationskünste berühmt. Nein, es war ein von Menschen geschaffenes Vorbild, dessen Perfektion jeder Bürger anzustreben hatte. Er hatte nicht zu reden. Seine Aufgabe war es zu funktionieren. Einwandfrei. Gottesglaube und Philosophie ändern sich in den Aonen der Menschheitsgeschichte: Früher verhieß Gesellschaft Sicherheit und überleben, man hielt menschliche Demut unter Gott für erstrebenswert, schaffte Gott und überließ sich dem Nihilismus und was passiert, wenn man das alte Modell entsorgt hat? Sich ein neues beschaffen, natürlich, was sonst. Götter müssen perfekt sein, so lautet die Regel. Früher hieß das ewig leben, allmächtig und allwissend zu sein und natürlich auch sich einen großen Hut mit der Aufschrift "DAS SCHICKSAHL PERSÖNLICH" aufzusetzen. Heute, nun, heute bedeutet es zu funktionieren, ohne Ausnahme, auch wenn, sollte man einen stumm vor sich hin tickende Uhrwerkcyborg mal etwas kritischer betrachten, es keinen sinnvollem Zweck dient. Und da die Menschheit schon Anbeginn ihres Bewusstseins nach Gottesgröße trachtet, man betrachte nur den Turmbau zu Babel, wundert es nicht, dass sie selbst zu einem ‚Ticken‘ werden: Eine einheitliche Masse die stets geölt ist fehlerfrei ihre Arbeit verrichtet, auch wenn diese nur darin bestehen sollte, einen Zeiger im Kreis zu bewegen: Man kennt das, etwas was größer ist als man selbst. Unser Herr war da nicht nur keine Ausnahme, sondern ein Musterschüler, wie viele andere auch. Er hatte zwar keinerlei Überblick über das große Ganze, aber alles war gut, solange sich der eigene Mikrokosmos samt überschaubarem Tellerrand drehte um einen den metaphorischen Zeiger zu bewegen. „Nun, auch wenn ich solch eine ungeplante Änderung für kontraproduktiv halte, so wird man doch einen guten Grund haben, um mich…hier hin zu verfrachten.“. Noch während er sprach wurde ihm die Lächerlichkeit seines Konversationsversuchs bewusst: ‚Das Ticken‘ sollte immer dar rhythmisch, ohne Abweichung, ticken, und nicht reden, nein, das war nicht seine Aufgabe, denn seine Göttlichkeit bestand nun mal im perfekten Ausführen einer Aufgabe. Tick. Der Herr wartete dennoch gespannt auf eine Antwort, wenn nicht durch den Uhrmenschen, dann durch die Drahtzieher dieser absurden Aktion. Tack. Er seufzte. Tick. Von diesem ‚Ticken‘ war wohl am allerwenigsten eine Antwort zu erwarten, eher hätte er mit den Möbeln reden können. Tack. Wenn ein ‚Ticken‘ nicht mehr genug Abstand zu der zunehmend göttlichen (Göttlichkeit nach den oben geschilderten Maßstäben) Menschheit hatte, musste ein neuer gebaut werden. Eigentlich war das keine kurzfristige Entscheidung sondern ein fortwährender Prozess. Die gigantischen Fabrikhallen, die jeweils für ein Organ ihrer Gottheit verantwortlich waren, kaum einer kennt den vollständigen Bauplan, sondern immer nur Bruchstücke, waren immer durchgehend in Betrieb gewesen, um die nächste Gottesgeneration zu kreieren. Doch wie unser Protagonist über viele Umwege hinweg erfahren hatte, wurde die Arbeit dort wohl eingestellt. Auch wenn es über ihre Bestimmung hinausging, so regte sich der Gedanke im Volke, dass sich der heilige Abstand in letzter Zeit zu stark und vor allem zu schnell verkürzte, denn die Menschheit hatte in letzter Zeit wieder ein vielfaches an effektiver Produktivität dazugewonnen. Vor dem Herren stand nun der elfte seiner Art, ohne Aussicht auf Nr. 12, und dieser würde sich hüten, seiner Göttlichkeit nicht nachzukommen. Wäre dem Herren erlaubt gewesen die Göttlichkeit zu hinterfragen, so wäre ihm zum einen ‚Ticken’s Körperabschnitte aufgefallen, ohne die eine humanoide Standuhr dennoch weiterticken würde, und zum anderen ein großes Ziffernblatt auf Brusthöhe, ohne Ziffern. Nur ein paar kleine Striche zierten es am Ende. Der Zeiger war dazu bestimmt diese Runde nur ein einziges Mal zu drehen und der Zeiger stand kurz vor dem ersten Strich. Um genau zu sein passierte er ihn in genau diesem Moment. Ein Mechanismus setzte sich in den ungenutzten Körperpartien in Gang und gab eine Schublade frei, welche einen Brief enthält. Bereits vergilbt schien er schon vor einiger Zeit verfasst worden sein. Welch Zufall, dass er genau dann, Jahre später, ausgerechnet, als sich der elfte ‚Ticken‘ zusammen mit dem Herren in der Leere saß, während sich der Zeiger dem Ende neigte, zum Vorschein kam. Als wäre es geplant gewesen. Dies musste der Herr wohl oder übel als Antwort hinnehmen. Er nahm ihn an sich und las ihn, warum wusste er selbst nicht so genau, laut vor: “Sehr geehrter Herr…nun wer auch immer vor dem ‚Ticken‘ stehen mag. Wenn es nun wirklich so weit sein sollte, dass unsere Mission zum Selbstläufer wurde, die Zahl der rebellischen gegen Null gesunken ist“, der Verfasser meine wohl die Ketzer in den Sanatorien, ja er hatte Recht, es gab kaum noch Patienten dort,“ und das vorletzte ‚Ticken‘, Nummer 11, erbaut und nun kurz vor ihrer Ablösung steht, so wird sie dieses Manuskript erreichen. Ich möchte Ihnen gratulieren, dass Ihnen solch eine Ehre zu Teil wird. Die Zahnräder drehten sich gefühlt eine Ewigkeit, doch in der Menschheitsgeschichte war es knapp eine Sekunde. Können Sie sich schon5 denken was das für sie bedeutet? Sie dürfen, müssen und vor allem werden den Zeiger bewegen. Auf dem Ziffernblatt werden sie sehen, dass alle Markierungen, bis auf die letzte, überschritten wurden und sie, ja, sie haben das letzte Puzzlestück. Ich muss sie enttäuschen wenn sie glauben, sie wurden ausgewählt, weil Sie der Retter der Menschheit, der Auserwählte, DER MESSIAS, oder sowas sind. Sie haben sich einfach nur als besonders kooperativ gegenüber unseres…Propagandaprogramms verhalten. Und Ihre Arbeitstätigkeit passte in die Parameterwerte. Wie sieht der nächste Gott aus, die Nummer 12, oder Nummer 0, auf dem Zifferblatt, wie man es nimmt, wenn die Fabriken versagen? Richtig! Wir erheben uns selbst zu Göttern. Und was steht unserer Perfektion entgegen?“ Der Herr dachte an die Sanatorien. „Die Ketzergedanken in uns.“ Raunte er. „GENAU! Die Individualität! Der Glaube an sich selbst! Kurz: Die Ungläubigenquote in der Masse Menschheit. Viele Arbeiten entstehen erst durch diese Masse und dadurch kommen immer mehr Zahnrädchen hinzu. Wenn es nur noch einen vollkommen Menschen gebe, jedoch, ein einziges Zahnrad, dass all die Arbeit erledigt…eine Hülle steht bereits vor ihnen. Sie muss nur noch die effektivsten Anweisungen für die noch wenigen anfallenden Arbeiten erhalten. Ich bin davon überzeugt, dass sie beschriebenes Besitzen. Anschließend muss nur noch eines passieren:“
Der Herr hob den Blick vom vergilbten Papier. Sollte er der Hülle, dem ‚Ticken‘, der Hülle, wer sonst sollte es sein, seinen Arbeitsalltag beschreiben. Aber dabei konnten ihm doch Fehler unterlaufen:
Er konnte einen Ablauf nicht genügend darstellen, etwas durcheinander bringen oder undeutlich sprechen. Außerdem saß vor ihm noch nicht das zwölfte, oder nullte ‚Ticken‘, sondern nur das elfte und das konnte bloß, wenn auf einwandfrei, ticken. Doch der Herr stutzte. Er dachte an sein Datenimplantat. Dort war alles über die Arbeit aufgezeichnet worden. Alle Fehler und dessen Korrektionen. Angeblich wurde es allen Menschen zur für ein Arbeitsfeedback eingebaut doch abgelesen wurde es bisher noch nie. Und die Form, die eines Zahnrades, würde sich vermutlich vollkommen in die Briefschublade einfügen. Der Herr lockerte das Implantat und konnte es tatsächlich aus der Halterung lösen. Darunter befanden sich kleine Anzeigen, Herzschläge um genau zu sein. An dessen Einbau in sein Körpergewebe konnte er sich nicht mehr erinnern, was allerdings auch nicht weiter verwunderlich ist. Kurz vor seiner Geburt ging eine Seuche um die Welt, sie auszurotten war nicht möglich und damit die Arztpraxen nicht durchgehend überfüllt waren, um das Medikament aufzufrischen, wurde jedem Säugling eine solcher Katheter gesetzt, der genug Injektionen für Menschenleben enthielt. Dessen Form wurde noch dahingehend angepasst, dass die implantierte Festplatte sich perfekt in jenen einfügte. Das hatte außerdem den Vorteil, dass damit alle Arztpraxen und Forscherlabore, bis auf ein paar Ausgebildete Fachkräfte, die Implantate setzen konnten, augenblicklich geschlossen wurden, um diese Arbeitskräfte wieder dem Produktionsmarkt zuzuführen. Einst schienen dort Zwölf Lichter aufzuleuchten, mit je einem Herzschlagecho, doch nun strahlte nur noch eines. Natürlich zwölf. Man musste schließlich die Symbolik aufrecht erhalten. Er sollte den Zeiger bewegen. Wenn das letzte Licht das seine war, so musste es wohl zwölf wichtige Arbeiten geben. Wenn man die Gesamtarbeit mit der Personenversorgenden Arbeit subtrahierte kam das durchaus hin. Doch was würde passieren, wenn der letzte Herzschlag, das letzte Licht erstarb. Würden dann alle Katheter ihre Arbeit niederlegen. Die Seuche wurde nie besiegt, nur abgeschirmt. Das Ziel war die Existenz des einen Menschen, der göttlicher Mensch und das zwölfte beziehungsweise nullte ‚Ticken‘ war. Die Menschen mussten sterben. Das letzte Licht musste erlöschen. Ohne den Brief zu ende zu lesen, kannte er den letzten Absatz: „Sie müssen sterben,
Mögen sie die Menschheit zur Vollendung führen.“ Der Herr stand festen Blickes auf, setzte das Festplattenzahnrad ein, legte sich hin und starb.
DerEchteSlimJD ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 07.09.2016, 20:22   #2
männlich Ex-Poesieger
abgemeldet
 
Dabei seit: 11/2009
Beiträge: 7.222


Planbarer wäre nur noch das Chaos gewesen, was sich zwischen dem Ticken als Seelenwanderung täuschend echt der Gefühlsproduktion bediente um die Seuche nicht nur so wie hier sondern auch anders als dort zu verschlüsseln.
Ex-Poesieger ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 08.09.2016, 12:34   #3
weiblich DieSilbermöwe
 
Benutzerbild von DieSilbermöwe
 
Dabei seit: 07/2015
Alter: 60
Beiträge: 6.687


Hallo DerEchteSlimJD,

eine hochinteressante Geschichte hast du uns da aufgetischt, mit Surrealismus übergossen, mit Kreativität gewürzt und an Transhumanes angelehnt. Gefällt mir sehr gut, weil man es sich so vorstellen könnte. Und trotz der Länge unterhaltsam.
DieSilbermöwe ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 08.09.2016, 12:50   #4
weiblich Ilka-Maria
Forumsleitung
 
Benutzerbild von Ilka-Maria
 
Dabei seit: 07/2009
Ort: Arrival City, auf der richtigen Seite des Mains
Beiträge: 31.043


Ich kam leider nicht über die ersten zwanzig Zeilen hinaus, weil mich da bereits die Adjektivsalven umgenietet hatten. Sorry.
Ilka-Maria ist offline   Mit Zitat antworten
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dystopie, fantasy, kurzgeschichte

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