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Alt 09.03.2014, 10:37   #1
weiblich Ilka-Maria
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Dabei seit: 07/2009
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Beiträge: 31.089


Standard Einhundert Prozent

Die meisten Menschen haben Angst davor, an Krebs zu sterben. Ihre Antennen sind dermaßen präzise auf diese Angst ausgerichtet, dass sie bei jeder Blähung und bei jedem Schluckauf das Schlimmste annehmen, nämlich dass die Scheren zu zwicken begonnen haben. Entsprechend schwer sind diese Hypochonder zu beruhigen, und selbst wenn sie ruhiger erscheinen, strömen sie ein paranoides Misstrauen aus.

Statistisch gesehen sterben die meisten Menschen, die kein gesundes Methusalem-Alter erreichen, nicht an Krebs, sondern an Herz-Kreislauf-Erkrankungen, dicht gefolgt von den Diabetikern.

Klingt nach sehr viel „Dolce Vita“, für das der Mensch ein paar Jahre seines Lebens als Tribut abführen muss. Aber das ist ein Trugschluss. Zwar ist das Leben „süßer“ geworden – kein Krieg, keine Entbehrungen, volle Läden, reich gedeckter Tisch, mehr Freizeit als je zuvor -, aber die Bedienungsanleitung ist fehlerhaft: Viel Fett, viel Fast Food, viel Fernsehen, wenig Bewegung.

Wobei sich „Fast Food“ nicht auf die Ernährung beschränkt, sondern auch das Sozialleben einnimmt: Ehe ist out, Lebenspartner sind out, Lebensabschnittsgefährten sind ebenfalls out. Wer einen Gesprächspartner braucht, schaltet den Fernseher ein, kauft sich einen Käfig mit Vogel oder nutzt die Flat-Rate seines Handys aus. Für den sexuellen Hunger gabelt man abends ein Möpschen in der nächsten Kneipe auf, das hoffentlich vor dem Katerfrühstück samt Klamotten verschwunden ist.

Dolce Vita: Nie ging es uns besser als heute. Und wenn das Herz versagt, wissen genügend Menschen über erste Hilfe Bescheid, um so manches Leben zu retten. Statistisch gesehen ist hier Erfolg zu vermelden.

Was mir fehlt, ist die Statistik über gebrochene Herzen. Das klingt nach Kitsch, aber ich nehme das Thema ernst. Ich glaube nämlich, dass die meisten Menschen, die an einer Krankheit sterben, nicht an Krebs, defektem Herz, Diabetes oder sonst einer modernen Wohlstandskrankheit gelitten haben, sondern an ihren gebrochenen Herzen. Jede Untreue, jeder Verrat, jede Enttäuschung, jedes ungehaltene Versprechen ist ein Sandkorn im Getriebe. Das ist nicht modern, das war schon immer so.

Modern ist, wie leichtschürzig Menschen miteinander umgehen und es sich zum „Lifestyle“ gemacht haben, das Herz als einen Muskel anzusehen, der zu nichts anderem da ist, als Blut und Sauerstoff zu pumpen – vor allem ins Hirn, das schon mit der nächsten Examensarbeit und mit dem väterlichen Erbe beschäftigt ist.

Vielleicht bedarf es keiner Statistik der gebrochenen Herzen. Jeder weiß: Das eigene Herz eingeschlossen sind es einhundert Prozent.

9. März 2014
by Ilka-Maria
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Alt 09.03.2014, 13:01   #2
weiblich Schneehuhn
 
Dabei seit: 01/2014
Beiträge: 44


Standard Einhundert Prozent

Guten Tag, Ilka - Maria, es ist Dir wieder gelungen, die Sache auf den Punkt zu bringen und das auszudrücken, was Faktum ist. Gratuliere. Nach dem Lesen wird klar, dass es ungemein wichtig ist, sich "alte Werte" zu erhalten. War schön zu lesen: ermunternd und dennoch nachdenklich stimmend. Gruss, sh
Schneehuhn ist offline   Mit Zitat antworten
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