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Liebe, Romantik und Leidenschaft Gedichte über Liebe, Herzschmerz, Sehnsucht und Leidenschaft.

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Alt 24.09.2012, 15:08   #1
weiblich Poetibus
 
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Standard Am Grab

Am Grab

Wie konnte das geschehen? Sagt mir doch: Warum?
Das frage ich die Götter, doch sie bleiben stumm.
Der beste Teil von mir, der Aller-Allerbeste –
herausgerissen, ohne Warnung, ohne Gnade!
Man streichelt mich, man tröstet mich, doch jede Geste
bleibt leer, denn sie berührt nur leeren Raum,
nein, heute, da erscheint es mir,
als wär die ganze Welt ein böser Traum.
Ich möchte schreien. Schreien wie ein Tier!

Ich hasse dieses Grab, ja, hasse es so sehr,
dass ich den Spaten nehmen will
um es zu schlagen, zu zerstören!
Hört auf zu reden, Leute! Bleibt doch endlich still!
Die hohlen Phrasen will ich gar nicht hören,
versteht ihr einfach nicht? Dort liegt mein Glück,
mein Leben, meine Liebe, dort liegt sie
und kommt nie mehr, nie mehr zu mir zurück!
Dort müsste ich sein. Ich! Doch dort liegt sie!

Wie komme ich hierher? Das Zeug in meiner Hand,
das ist – ja, das ist – Erde? Diese vielen Menschen,
was hat das zu bedeuten? Seht doch, dieses Grab,
es ist doch leer? Lasst uns nach Hause gehen.
Sie wird schon mit dem Essen auf mich warten.
Da muss ich lachen, denn sie wird mir sagen,
wie jedes Mal: "Na komm, was hat dich wieder
so lange aufgehalten? Setz dich erst mal hin,
ich mach's dir warm, und dann erzählst du mir
was heute wieder los war. Ärger dich doch nicht, mein Schatz."
Ich muss nach Hause gehen, dort bei ihr, da ist mein Platz.

Das Grab ist leer, da liegt gar niemand drin.
Ich gehe jetzt. Dass ich alleine bin,
wo sie nicht ist, das macht gar keinen Sinn.
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Alt 24.09.2012, 21:13   #2
weiblich Ex-Telerya
abgemeldet
 
Dabei seit: 09/2012
Beiträge: 20

Hallo Poetibus!

Möge dieser Kelch noch lange an mir vorübergehen... .

Deine Zeilen könnten auch den Titel haben: "Was bleibt... ."

Die Verzweiflung schreit aus jeder Zeile.

Lieben Gruß und gute Nacht

Telerya
Ex-Telerya ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 24.09.2012, 21:22   #3
Narziss
 
Benutzerbild von Narziss
 
Dabei seit: 02/2012
Alter: 31
Beiträge: 242

Hallo Poetibus,

dein Gedicht nimmt in Strophe drei eine überraschende Wendung. Das lyrische Ich scheint mehr als verzweifelt ...
Darüber hinaus lassen sich die Verse stets flüssig lesen, die Reime sind gut gewählt. Ich sehe nichts, was man verbessern könnte.

Es grüßt
Narziss
Narziss ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 24.09.2012, 22:07   #4
gummibaum
 
Dabei seit: 04/2010
Alter: 70
Beiträge: 10.909

Ja, Poetibus, ich schließe mich dem Lob an. Das Gedicht zeigt intensiv die Verzweiflung. Und die Haluzination, dass nichts geschehen ist, verdeutlicht, wie überfordert das LI damit ist, die schreckliche Situation zu akzeptieren.

LG gummibaum
gummibaum ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 25.09.2012, 01:00   #5
weiblich Poetibus
 
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Dabei seit: 09/2012
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Alter: 56
Beiträge: 562

Hallo, Telerya,

das hoffen wir alle. Alle die wissen, was Liebe ist, was sie sein kann.

Ja, was den Titel betrifft - wie ich gerade eben erst festgestellt habe (es war aber mein völlig unabhängiger Gedanke, ich kopiere nie) gibt es hier bereits drei andere Gedichte mit dem gleichen Titel. Ich möchte ihn aber doch so belassen, denn abgesehen von originellen Titeln in der Humorrubrik ist es oft sehr schwer, einen zu finden, der (nicht nur hier, sondern auch "anderswo") nicht "schon mal da war".

Zitat:
Die Verzweiflung schreit aus jeder Zeile.
Dafür bedanke ich mich ganz besonders, denn das wollte ich. Das Gedicht ist eine "Mischung" (wie fast immer) aus Erlebtem, Ereignissen, die ich "mitbekommen" habe und dem Versuch, in ein LI "hineinzuschlüpfen". Bei meinen Gedichten, die "über Gefühle sprechen", gehe ich immer so vor. Wie es andere machen, weiß ich natürlich nicht. Ich versuche, mich beim Schreiben so weit wie möglich an die Stelle des LI zu versetzen, bis ich fühle, was er/sie fühlt.

Ich kannte einen älteren Mann, dessen Frau starb. Es war etwas anders - er wollte, als sie bereits im Krankenhaus im Koma lag, einfach nicht wahrhaben, dass sie stirbt. Er sagte immer wieder: "Das kann sie nicht, das darf sie nicht. Sie stirbt nicht, weil sie mich doch nicht alleine lassen kann. Nein, was die Ärzte sagen, stimmt nicht, sie wird aufwachen und bald wieder nach Hause kommen. Sie darf nicht sterben, weil ich nicht weiß, was ich ohne sie machen soll."

Er hatte Kinder und Enkel, und nach dem Tod seiner Frau "hielt" er zwei Jahre lang "durch" - aber ich sah ihn nie wieder lachen. Eines Tages fand man ihn dann tot im Ehebett. Auf ihrer Bettseite. Länger konnte er nicht ohne sie ... es war kein Suizid, er starb einfach, ohne "medizinisch erklärbaren Grund".

Vielen, herzlichen Dank für deinen Kommentar.

Freundlichen Gruß,

Poetibus



Hallo, Narziss,

wie ich in meiner Antwort an Telerya schrieb, versetze ich mich "hinein". Was die "überraschende Wendung" betrifft - ich hatte hier ein absolut deutliches Bild vor dem "inneren Auge". Das LI lässt sich am Grab auf die Knie fallen und gräbt (krallt?) die Hände in die Erde.

Psychologisch ist diese Verdrängung etwas, das es, öfter als man denkt, wirklich gibt. Anders ausgedrückt: Wenn etwas wirklich unerträglich wird, scheint unser Gehirn eine Art "Schutzmechanismus" zu besitzen - das Unerträgliche wird "ausgeblendet", etwas "schaltet einfach ab". Das gibt es auch bei Traumata - Erwachsene leiden unter einer psychischen Störung/Krankheit, aber sie haben das "auslösende Ereignis" vollkommen verdrängt bzw. "vergessen". Und es benötigt eine ganz spezielle Traumatherapie, um es wieder zum Vorschein zu bringen.

Hier wird aus Schmerz Verzweiflung, aus dieser, wie ebenfalls häufig, aus Hilflosigkeit geborene Wut - und dann, ja dann "schaltet der Verstand ab".

Ich habe mich bemüht, auch das Reimschema dem "Verlauf" folgen zu lassen. Das Metrum ist eingehalten, aber die Endreime folgen keiner "festen Ordnung", und als die "Verwirrung/Verdrängung" einsetzt, ließ ich sie völlig weg. Am Schluß, als das LI "zu der Überzeugung kommt", dass es nur ein Irrtum ist, dass sie zu Hause ist, ganz sicher, da lasse ich dann einen Paar- und sogar einen Dreifachreim folgen - es ist ja alles "in Ordnung". Ich hoffe, dass es ungefähr so wirkt, wie ich es mir vorstellte.

Ich bedanke mich herzlich für dein Lob.

Freundlichen Gruß,

Poetibus



Hallo, gummibaum,

ja, ganz genau. Der Schmerz sorgt für die Flucht vor der Realität, die eben für das LI jedes Maß der Erträglichen übersteigt.

Das alles ist nur ein Traum, es findet nicht statt, ist nur ein Irrtum - denn sonst könnte das LI es nicht ertragen, also wird die Wirklichkeit beiseitegeschoben, verdrängt.

Ich danke dir ebenfalls herzlich für deinen Kommentar.

Freundlichen Gruß,

Poetibus
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Stichworte
liebe, verlust, einsam

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