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Alt 29.12.2011, 15:45   #1
weiblich FeelLetter
 
Dabei seit: 08/2010
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Standard Lebe wohl

Wäre nicht die Musik ein stetes Pochen in meinem Kopf, fühlte ich nichts. Müde werfe ich dem Pianisten einen Blick zu, der zugleich in dem Viervierteltakt verloren geht. Seine Finger schlängeln sich lächelnd über die Tasten, mal schwarz, dann weiß. Vielleicht spielt er das Lied für jemanden besonderen, für jemanden, der die Töne besser versteht als ich.

Ich greife zu dem Glas und führe es zu meinem Mund. Der teuerste Rotwein und am Rand des Glases der roteste Lippenstift. Die elegante Hand setzt das Glas fast schwebend wieder auf den Tisch zurück. Eine weiße, zu reine Tischdecke wirft ihren Schleier über den hölzernen Körper. Vor meiner Augen blühen die schönsten Rosen. Als wäre es Sommer. Jener Sommer. Die Töne des Pianos umsäuseln meine etwas glühende Stirn. Mein Gegenüber streichelt mir über meine Hand und erfasst sie mit einer sanften Bestimmtheit, die mir einen Schauer über den Rücken jagt. Ich lächle.

Ich lächle, als der Wind die Zeitung auf den alten Teppich weht. Fast hätte sie das volle Wasserglas mitgefegt. Fröstelnd stehe ich auf, schließe das Fenster und lasse mich wieder auf die harte Couch fallen. Der Pianist hat seine Parodie auf das neue Jahr beendet. Mit kalten Fingern greife ich zur Fernbedienung und wähle einen anderen Sender.

„…denn nächstes Jahr soll alles besser werden…“ Das breite Grinsen des Moderatorenpärchens macht mich krank. Langsam lasse ich meine Blicke durch den Raum gleiten. Es ist so still. Zu still.

„Lebe wohl, altes Jahr.“, höre ich meine krächzende Stimme sagen. Die Moderatoren haben plötzlich zwei Sektgläser in den Händen. Ich nehme mein Wasserglas.

„Also, wir sehen uns dann im nächsten Jahr“, erklärt die Moderatorin, in ein viel zu enges Abendkleid gezwängt. „Ja…“, murmle ich ihr entgegen und kann mir einen sarkastischen Ton nicht verkneifen. Das hast du letztes Jahr auch schon gesagt, aber da saß dein Kleid besser. „10 – 9 – 8 – 7 – 6 – 5 …“

„4 – 3 – 2 – 1 – Prost!“ Mit nur einem Schluck leere ich mein Glas. Na dann…

Es klingelt. Erst nur in meinem Kopf, dann durchfährt es meinen ganzen Körper. Im nächsten Moment stehe ich mit nackten Füßen auf dem kalten Pflaster des Flurs. Ich öffne die Tür. Die Wunderkerze vor meiner Nase blendet mich, aber noch mehr dein Lächeln.
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sehnsucht, silvester, einsam, neu

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