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Alt 19.01.2020, 15:20   #1
weiblich Ilka-Maria
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Standard Goethe oder Schiller

Angeregt durch die Kommentare in einem anderen Faden möchte ich die Diskussion über Goethe hierher verlegen.

Weimarer Klassik: Lieber Goethe oder lieber Schiller?

Sind diese beiden, die als die Titanen der deutschen Dichtung gelten, noch zeitgemäß?

Beide waren rebellische Geister. So trieb es den jungen Goethe aus dem bürgerlich-biederen Frankfurt mit seinen strengen Gesellschaftsregeln immer wieder ins liberale Offenbach, um weg vom maßregelnden Vater seine Liebeleien zu pflegen. Schiller türmte in einer dramatischen Nacht-und-Nebel-Aktion von Stuttgart nach Mannheim, um dem Hoheitsbereich seines Herzog und einer Festungshaft zu entgehen.

Doch während Goethe sich nie gesellschaftlichen Konventionen unterordnete - er lebte viele Jahre in wilder Ehe mit Christiane Vulpius, nahm sich in Italien eine Auszeit, warb selbst im hohen Alter noch um junge Frauen und sprach, was er dachte, unverblümt aus -, passte sich Schiller an, wurde häuslich und reagierte auf Goethes Eskapaden oft mit Unverständnis.

So unterschiedlich, wie die beiden im Charakter waren, ist auch ihre Dichtung. Hier der kühle, besonnene Kopf, immer den Abstand zu den ganz tiefen Gefühlen wahrend, dort der stürmische, leidenschaftliche Geist mit dem Hang zum Erzieherischen und einem Verlangen nach Gerechtigkeit (Das Theater als erzieherische Anstalt, Die Kranische des Ibykus).

Und doch eine Freundschaft, die lebenslang hielt.

Wie denkt ihr über die beiden?
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Alt 19.01.2020, 19:24   #2
männlich Eisenvorhang
 
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Schiller unterstelle ich die ersten surrealistischen Züge!
Goethe hingegen war völlig klar und strukturiert, während Schiller einem anderen Drang nach ging.

Beispiel:

[...]
Ein Gaukelspiel, ohnmächtigen Gewürmen
Vom Mächtigen gegönnt,
Schreckfeuer, angesteckt auf hohen Türmen,
Die Phantasie des Träumers zu bestürmen,
Wo des Gesetzes Fackel dunkel brennt.

Was heißt die Zukunft, die uns Gräber decken?
Die Ewigkeit, mit der du eitel prangst?
Ehrwürdig nur, weil schlaue Hüllen sie verstecken,
Der Riesenschatten unsrer eignen Schrecken
Im hohlen Spiegel der Gewissensangst;

Ein Lügenbild lebendiger Gestalten,
Die Mumie der Zeit,
Vom Balsamgeist der Hoffnung in den kalten
Behausungen des Grabes hingehalten,
Das nennt dein Fieberwahn – Unsterblichkeit?

Für Hoffnungen – Verwesung straft sie Lügen –
Gabst du gewisse Güter hin?
Sechstausend Jahre hat der Tod geschwiegen,
Kam je ein Leichnam aus der Gruft gestiegen,
Der Meldung tat von der Vergelterin?« –
[...]
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Alt 19.01.2020, 19:30   #3
männlich AufSuche93
 
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Das ist eine interessante Frage.

Zeitgemäß sind beide definitiv.

Nehmen wir zum Beispiel Schillers "Über die Ästhetische Erziehung des Menschen":

Eines der Hauptprobleme auf dem Weg des Menschen zum freien Denken ist laut Schiller folgendes:

Dass der junge, heranwachsende Mensch nach der ersten Phase zum Freidenker (dem von Natur aus vorhandenen ganzen Aufsaugen des Stoffes - Sinntrieb) viel, viel zu früh durch gesellschaftliche Einflüsse direkt zum Formtrieb (bzw. vernünftigen Handeln) gedrängt wird und er eigentlich noch einer Art Zwischenstufe (dem ästhetischen Zustand) bedürfte. Das ist denke ich ein Problem, das heute sogar noch aktueller ist, als damals. Manche Menschen werden heute schon nach 8 Wochen Lebenszeit unwissentlich im weitesten Sinne in den Formtrieb gedrängt.


Oder nehmen wir die Homunculus-Szene in Goethes Faust II:

Ein Forscher, der um jeden Preis glücklich und erfolgreich sein will, gerät in den Abgrund, weil er dort ein gesellschaftliches Ideal finden will/soll (Helena). Er wacht nicht mehr auf und verliert sich in der schönen Illusion. Dann soll ausgerechnet eine künstliche Intelligenz (Homunculus) ihn dort rausholen.
Doch dann sagt die KI zu ihrem vermeintlichen Erschaffer Wagner, sie möchte viel lieber in die Welt hinaus, er solle derweilen hierbleiben und in seinen Büchern lesen (sinngemäß, hab das Buch gerade nicht zur Hand). Sie sagt ihm also, dass sie jetzt ihren eigenen Willen hat und nicht mehr gehörig ist.

100 % zeitgemäß
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Alt 19.01.2020, 19:31   #4
weiblich Ilka-Maria
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Spachgewaltig, dieser Schiller! Und trotzdem nicht manieristisch.

Und nicht Goethes Schlachtfeld, der eher den einfachen Ausdruck wählte, wie ich es ja auch lieber mit meinen Texten halte und durch die Balladen anderer Dichter geschult bin. Hatte einmal für den Unterricht völlig freiwillig den "Bertran de Born" von Ludwig Uhland auswendig gelernt und der Klasse vorgetragen. Tolle Ballade - völlig frei von Schnickschnack.

Aber das nur nebenbei. Hier geht es um Goethe und Schiller.
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Alt 19.01.2020, 19:43   #5
männlich Eisenvorhang
 
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Wenn du manieristisch von Manierismus ableitest, dann ist der Schiller schon partiell manieristisch.
Im Manierismus löste sich der Mensch den perfekten Vorstellungen ausgehend von Gott gegenüber dem Handwerk. So kam es im 16. Jahrhundert dazu, dass das erste Mal die Perspektive verzerrt, das Licht anders gesetzt und der Glaube verzerrt dargestellt wurde...Der Anspruch am Handwerk veränderte sich... Abstraktion kam ins Spiel.

Das Paradebeispiel ist ja Jacopo da Pontormo mit seiner Kreuzabnahme Christi.
Seine Krankheit spielte eine große Rolle in der Ikonographie. (Er war stark paranoid)

Was mich an die damaligen großen Dichter wie Goethe und Schiller verwundert... Wieso benutzten die so oft Inversionen???
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Alt 19.01.2020, 21:08   #6
weiblich Ilka-Maria
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Zitat:
Zitat von Eisenvorhang Beitrag anzeigen
. Wieso benutzten die so oft Inversionen???
All deutschen Dichter benutzen Inversionen, weil sie sich in der deutchen Sprache nicht vermeiden lassen. Auch nicht vermeiden lassen wollen. Dass die deutsche Sprache im Gegensatz zu anderen Sprachen die Inversion zulässt, ist sogar ein Segen. Sie ändert die Betonung eines Satzes und kann seinen Sinn verändern.

Ich habe dich gestern in Begleitung eines Mannes gesehen.
Dich habe ich gestern in Begleitung eines Mannes gesehen.
In Begleitung eines Mannes habe ich dich gestern gesehen.
Gestern habe ich dich in Begleitung eines Mannes gesehen.
Gesehen habe ich dich gestern in Begleitung eines Mannes.

Inversiert, grammatikalisch korrekt, aber unterschiedlich zu deuten.

Das sollen uns die Angelsachsen und Frankomannen erst einmal nachmachen!
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Alt 19.01.2020, 21:44   #7
männlich Eisenvorhang
 
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Mag sein, in dieser Art findet man Inversionen nur selten in der Lyrik
Eisenvorhang ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 19.01.2020, 22:24   #8
weiblich Ilka-Maria
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Zitat:
Zitat von Eisenvorhang Beitrag anzeigen
Mag sein, in dieser Art findet man Inversionen nur selten in der Lyrik
Falsch. Inversionen sind in deutscher Lyrik an der Tagesordnung. 40 Bände der Frankfurter Anthologie haben mich davon überzeugt.
Ilka-Maria ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 19.01.2020, 22:39   #9
männlich Eisenvorhang
 
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Ich mein die Kargsche Inversion! Yoda, Vergewaltigung des Wortes!"!

Sowas geht in der Lyrik überhaupt nicht - sowas ist Sünde!
Findet man aber auch bei Goethe und Co.
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Alt 20.01.2020, 20:06   #10
männlich Heinz
 
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Eine kleine Geschichte, deren Wahrheitsgehalt ich zu beschwören bereit bin:
Zu dem Studium "Deutsch" gehörte Ende der siebziger Jahre der Erwerb eines "Scheines", den man in einem Seminar "Sprech-Erziehung" ergattern konnte.
Eine Aufgabe war: Rezitation eines Gedichts (vor den versammelten Seminarteilnehmern). Ich traf in der Cafeteria eine Kommilitonin und natürlich unterhielten wir uns auf dem Weg zum Seminarraum über die Gedichte, die wir selbst auswählt hatten.
Sie: "Du bringst doch bestimmt eins von Goethe!" (Meine Vorliebe für G. war sattsam bekannt).
Ich: "Nee, ich hab mir einen russischen Dichter ausgesucht."
Sie: "Wie bist du denn an den gekommen?"
Ich: "Ich hab zuhause ein Bändchen mit Gedichten von russischen Dichtern, da gefiel mir eins besonders gut." (An dieser Stelle gestehe ich, dass ich den Namen des Dichters vergessen habe. Das Büchlein trägt den Titel "Sternenflug und Apfelblüte", der Inhalt des Gedichts: Eine Kompanie der Roten Armee marschiert bei einem Sauwetter in Weimar ein und vor dem Goethe-Schiller-Denkmal befiehlt der Kommandeur: Halt! und lässt die Kompanie Salut schießen, eingedenk der Tatsache, dass die Artillerie der Deutschen Wehrmacht in der russischen Heimat das Denkmal Puschkins "zerlegt" hatte).
Sie: "Typisch für dich - Goethe ist immer dabei."
Ich: "Und was hast Du so drauf?"
Sie: "Ein älteres, aber ganz modernes Gedicht."
Ich: "Von wem?"
Sie: "Keine Ahnung, den Autor konnte ich nicht finden."
Ich: "Sag mal auf, vielleicht kenn ich ihn."
Sie: "Das Ding heißt 'Vor Gericht' und fängst an 'Von wem ich es habe...', kennst du das?"
(Hier das Gedicht, das G. mit ca. 26 Jahren schrieb):
Vor Gericht

Von wem ich es habe, das sag ich euch nicht,
das Kind in meinem Leib.
„Pfui!“ speit ihr aus: „die Hure da!“
Bin doch ein ehrlich Weib.

Mit wem ich mich traute, das sag ich euch nicht.
Mein Schatz ist lieb und gut,
Trägt er eine goldene Kett’ am Hals,
trägt er einen strohernen Hut.

Soll Spott und Hohn getragen sein,
trag ich allein den Hohn.
Ich kenn ihn wohl, er kennt mich wohl,
und Gott weiß auch davon.

Herr Pfarrer und Herr Amtmann ihr,
ich bitte, lasst mich in Ruh!
Es ist mein Kind, es bleibt mein Kind;
ihr gebt mir ja nichts dazu.

Ich: "Ja. Wie bist du denn ausgerechnet auf Goethe gekommen?"
Sie: "Nee, von dem kann das nicht sein!"
Ich: "Isses aber."
Der Disput endete mit einer Wette. Da ich sowieso hinter ihr her war, bestand der Wetteinsatz aus einem Theaterbesuch mit anschließendem Abendessen - der Verlierer hatte zu zahlen. Sie hat verloren.
Abends im Wuppertaler Theater: Lutz Görner mit der Rezitation "Goethe für alle" - bei dem Gedicht "Selige Sehnsucht" ("Sagt es niemand, nur den Weisen, ...") Stille rechts neben mir und ungehemmter Tränenfluss bei meiner Kommilitonin. Später, beim Abendessen: "Aber ein Fürstenknecht war er trotzdem!" (Dieses Wort vom "Fürstenknecht" stammt von Bettina von Arnim, die sich unsterblich in Goethe verliebt hatte und später Hausverbot bei Goethe hatte, weil sie dessen Frau Christiane als "Blutwurst" beschimpft hatte und fußt auf einer Begebenheit, bei der Goethe mit Beethoven - ich glaube in Karlsbad - spazieren ging und Goethe (seines Zeichens Minister in Weimar) beim Herannahen des Kaisers den Hut zog und sich verbeugte, Beethoven erhobenen Hauptes keine Notiz von seiner Majestät nahm). Meine Kommilitonin wurde, nachdem sie sich von mir paar Goethe-Bände ausgeliehen und gelesen hat, überzeugte Goetheanhängerin.
Was sagt uns das?
Ich zitiere Gottfried Keller, der sich über "Goethe-Philister" äußert:
"Den mit trocknen Erbsen angefüllten Schädel
taucht er jauchzend in des klaren Meeres Wellen,
das man Goethe nennt;
nun schauet achtsam,
wie die Nähte platzen,
wenn die Erbsen schwellen!"
Was sagt mir das?
Viele urteilen über Goethe und kennen kaum eines seiner ca. 4000 Gedichte, ganz zu schweigen von den vielen anderen Werken, kaum wissend, dass G.
Englisch, Italienisch, Latein, Hebräisch, Französisch und Griechisch, vielleicht noch mehr Sprachen beherrschte und (zu meiner Freude) als "Kriegsminister" das weimarische "Heer" auf die Hälfte schrumpfte.
(Wenn ich mein Bändchen "Sternenflug und Apfelblüte" finde, schreib ich Euch das Gedicht des russischen Dichters mal ab).
Liebe Grüße,
Heinz
Heinz ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 20.01.2020, 20:56   #11
männlich Eisenvorhang
 
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Ich feiere über die Blutwurst! Herrlich!

Bei Selma Meerbaum-Eisinger liest man ein Gedicht und will sofort alles lesen. Mir erging es so...
Schade, dass nur 57 geschrieben wurden. Dabei schrieb sie die schönsten Gedichte im Alter von 17!
Eisenvorhang ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 20.01.2020, 21:23   #12
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Haha, das mit der Blutwurst ist cool.

Nochmal zu Goethe: Warum seine Werke meiner Meinung nach immernoch wahnsinnig zeitgemäß sind (vor allem Faust 2) habe ich ja oben schon geschrieben.

Was ich noch jedem ans Herz legen kann, der mit Goethes Werken vertraut und an seinem Wesen interessiert ist:
Lest unbedingt Eckermanns "Gespräche mit Goethe"! Das ist das wertvollste Buch, das jemals über Goethe geschrieben wurde. Es geht zwar leider kaum um die ganz großen philosophischen Fragen, sondern häufig "nur" um die Werke bestimmter Künstler der Zeit (was aber auch echt spannend sein kann) aber das Großartige an dem Buch: Eckermann gibt seine Gespräche mit Goethe fast wörtlich wieder. Nicht einmal in Goethes "Dichtung und Wahrheit" kann man ihn so direkt erleben, da er ja auch an diesem Werk gefeilt hat, korrigiert hat usw.

In diesem Buch ist es fast so, als würdet ihr vor ihm sitzen und mit ihm sprechen.

Achja und diesen Vortrag von Werner Heisenberg über Goethes größte Sorge (im Originalton!!!) muss man auch unbedingt gehört haben:

https://www.youtube.com/watch?v=7P1i7Ref2_Y

Geändert von AufSuche93 (20.01.2020 um 23:14 Uhr)
AufSuche93 ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 20.01.2020, 23:55   #13
männlich Heinz
 
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Lieber AufSuche93,
die Blutwurst hat es nicht nur Dir angetan. Die ausführlichere (verbürgte) Geschichte ist die: "Als Goethes eifersüchtige Frau Christiane bei der Ausstellung eines unbedeutenden Künstlers ins Schwärmen verfällt, geraten Bettina und sie in einen Streit. Frau Goethe wird handgreiflich, Bettina wehrt sich mit den Worten: "Christiane, Sie sind eine wahnsinnige Blutwurst." Darauf verbietet Goethe Bettina von Arnim und ihrem Ehemann sein Haus."
Der Hinweis auf Eckermann ist für Neugierige gut. Man lernt einen Goethe kennen, wie er nicht z.B. bei der schon genannten Bettina v. Arnim beschrieben wird (die ihn in den Himmel hob und - soweit ich mich richtig erinnere - auch ein Denkmal bauen ließ oder bauen lassen wollte, sich auch mal auf seinen Schoß setzte, was Goethe gar nicht recht war. Sehr niedlich fand ich Eckermanns Bericht (E. war ein begeisterter Bogenschütze), wie er Goethe von seiner Leidenschaft berichtete, von G. in einen Schuppen bei seinem Gartenhaus geführt wurde, wo u.a. das Geschenk eines Stammenshäuptlings aus Afrika, ein Bogen und ein Bündel Pfeile aufbewahrt wurde. Damit haben die beiden dann im Garten herum geschossen, wie die Kinder gespielt und E. ist gerade so mit dem Leben davon gekommen.
Ganz "nebenbei" und viele Jahre vor Darwin, konnte Goethe in Jena (Reste des "Anatomieturms" in der Innenstadt sind noch zu sehen) am Zwischenkieferknochen den Spalt nachweisen, der die Verwandtschaft zu den Säugetieren bewies.
Ich selbst habe lange gesucht, bis ich auf einer Mineralienbörse einen Stein erwerben konnte, auf dem "Goethite", kleine Kristalle, zu sehen sind (weil Goethe sie entdeckt hat, wurden sie nach ihm benannt).
Ich hör jetzt erst mal auf. Mit der Sekundärliteratur zu Goethe könnte man ganze Turnhallen füllen - also: Irgendwas muss an dem Kerl schon dran gewesen sein.
Vielleicht noch ein wenig: Seine Exzellenz, geadelt auf Vorschlag Carl Augusts vom österreichischen Kaiserhaus (wie später auch Schiller), Minister und inzwischen weltbekannter Dichter, lebte sehr lange in wilder Ehe, Taufpate seines unehelichen Sohnes war der Fürst persönlich und das sein (Goethes) Sarg in der "Fürstengruft" steht (der leere Sarg Schillers steht daneben), hat das Fürstenhaus in Weimar angeordnet. Christiane - von den adligen Damen und Herren ignoriert, wird heute noch - auch von Germanisten - stur Christiane Vulpius genannt. Dabei haben die beiden doch geheiratet und mit Fug und Recht heißt sie Christiane von Goethe (ist aber auf einem anderen Friedhof - dem Jacobsfriedhof - bestattet). Aber die Hochnäsigen mussten die von G. verfasste Grabsteininschrift lesen:
Du versuchst, o Sonne, vergebens
durch die düstrenWolken zu scheinen.
Der ganze Gewinn meines Lebens
ist, ihren Verlust zu beweinen.
Bei meinem nächsten Besuch Weimars werde ich da ein Blümchen pflanzen.
Liebe Grüße,
Heinz
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