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Alt 04.03.2018, 12:22   #1
männlich Landstreicher
 
Dabei seit: 08/2016
Ort: Strasse
Beiträge: 60

Standard Nachworte

Die Gingerkatze springt ueber die eiserne Wasserflut
des seit zwei Stunden geschlossenen, grossen Friedhofstores.
Parallel zur blauweiss und rotweiss
bemalten Friedhofsmauer
steht eine Reihe rotbrauner Kiefern deren wuerziges Harzblut ich so liebend gerne rauche.

Zu beiden Seiten des Eingangs
befinden sich grosse Quartzkalkbloecke; diese dienen,
rechteckig behauen und haeufig anzutreffen,
hierzulande als Parkbank.
Die Amseln rufen aus dem im violett leuchtenden
Nachtschatten versinkenden
Friedhof.

Bleicher und heller als Mondlicht
ragen die marmornen Engel
und Engelinnen aus der Schattenwelt,
die bereits alle Blumenfarben in Bodennaehe
ins Reich der Finsterniss geholt hat.

Hinter der intensiv orange leuchtenden
Windschutzplanenwand des Terrassencafes
laeuft ein Film aus einer anderen Welt
mit hell leuchtenden Bildern von
trinkenden und essenden Touristen.
Viele Geister sind ueberwegs und gehen
friedlich und sanft
auf dem Marmorboden dahin.

Die Toten und Geister sind alle meine Freunde da ich nichts tue
das Geburt oder Tod verursachen koennte.
Die Lebenden ebenfalls.
Nur diejenigen die zwischen den Welten
festhaengen wie
Insekten in einem Spinnennetz,
die koennen muehsam sein
mit ihrem angsterfuellenden Reden, Strampeln
und um sich fuchteln in ihrer Angst.

Marmorfarben wie die neuen
schneeweissen Kieselsteine
der neuen Tankstelle im Industriegebiet,
so scheint auch die Nachtsonn.

Flugmaeuse und dann der schwarze Pudel.
Geisterwellen spuelen mit Druck
an mir vorbei.

Die Vogelsprache in Sand.

Wie kaltes gruenes Feuer
schlaengeln sich die Friedhofszypressen in den
gruenoranbge vergluehenden Abendhimmel.
Ein Falschparkierer wird aufgeschrieben,
fein sauber mit dem Stift erdolcht
im Laufe eines Kleinrituals mit magischen Schriftzeichen
und in der Ferne schimpft
eine spanische Amsel
mit starkem Catalanischen Akzent
ueber irgend jemand.

Das Ritual des gleichzeitigen Verschlingens der Naehrbrocken,
gekocht oder roh,
wirkt wie ein unsichtbarer Staubsauger
der alle spanischen Strassen gleichzeitig leerzieht.
Dreimal am Tag wird dieses Ritual
landesweit gefeiert.
Einverleiben ist scheinbar
gesellschaftlich tolerierter
als das Hervorbringen dessen
was aus dem Menschen kommt.
Ein Wahn hat die Welt erfasst wie man daran sieht.
Man kann aus dem was der Mensch absondert
ein Paradies schaffen-
nicht jedoch durch Einverleiben oder durch Gold.

Flugzeug und Kaffeetasse.
Kritzel und zurechtrutsch.

Honigfarben glaenzen die Marmorplatten
unter meinen spanischen Schuhen.
Die Warmluft ist in Sichtweite doch
wird der Marmorboden der Stadt
bei Regen rutschig wie Eis
was in keinem Touristenfuehrer zu lesen,
jedoch hierzulande von grosser Wichtigkeit ist.

Bin in meinem Leben an tausenden von Lagerfeuern gesessen,
an tausenden von zauberhaften oider fuerchterlichen Plaetzen.
Unter tausenden von Sternen, Felsen, Bergen, Baumsilhouetten,
Mauern, Bruecken, Ruinen,
Schloessern und Strassen.

Hab mein Feuerchen entzuendet an tausenden von
Seen, Quellen, Tuempeln, Baechen, Fluessen,
Pfuetzen, Suempfen-
am Meer und in Wuesten-
im Hochgebirge in Schnee und Eis
und in der Gluthitze des Sommers
in suedlichen Laendern unter Palmen und Riesenkakteen
und in den nasskalten, moosueberwachsenen
Stauniederschlagswaeldern Nordeuropas.

Bin stundenlang im Regen ohne Schutz
an meinem Feuer gesessen-
auf mereren Kontinenten und in vielen
Laendern bei wuestenhafter Trockenheit, bei tropischer Hitze, in atlantischen Stuermen;
bei Schneetreiben, in sibirischer Kaelte und bei Grossunwettern.

Mal mitten in einer Grossstadt, mal viele Stunden von der naechsten menschlichen
Behausung entfernt und immer ohne
elektronisch erreichbar zu sein.

Hab mit dem Feuer mehr gelacht, gefeiert, geweint,
getrunken, geraucht und gegessen alks mit irgendeinem Menschen-
hab viele Stapel von Buechern geschrieben und wieder dem Feuer gegeben
da meine Geschichten
die ich bei all meinen Reisen erlebe
so unweltlich sind das sie eh kein Mensch glauben wuerde.

Ganze Philosophien, Sinfonien und die wundersamsten Bilder
hat mir das Feuer geschenkt.
Ich verschoenere all das und
schenke es meinem geliebten Feuer zurueck.

Enviar an alle Menschen die noch das Feuer des Lebens in sich tragen.

Daher koche ich mein Essen und meinen Kaffee am Feuer,
an meinem
geliebten, treuen,
schoenen und einzigen
Feuer.



************************************************** ***


Geschrieben an der spanischen Mittelmeerkueste in den ersten Wochen des Jahres 2018
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