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Gefühlte Momente und Emotionen Gedichte über Stimmungen und was euch innerlich bewegt.

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Alt 03.11.2014, 10:47   #1
männlich AndereDimension
 
Benutzerbild von AndereDimension
 
Dabei seit: 06/2009
Beiträge: 3.325

Standard So gerne spielte sie Klavier

So gerne spielte sie Klavier

Er sitzt, wie aus der Zeit gerückt,
in seinem Ohrensessel,
der Nadelbaum bleibt ungeschmückt,
es dampft der Wasserkessel.

Die Frau verließ ihn im April,
das Fest war ihr stets heilig.
Es holte sie der Tod, ganz still,
er hatte es sehr eilig.

So gerne spielte sie Klavier
und er dazu die Geige.
Es brannten einst der Kerzen vier,
doch jede bis zur Neige.
AndereDimension ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 03.11.2014, 12:22   #2
weiblich Ex Tanja Wagner
abgemeldet
 
Dabei seit: 09/2012
Beiträge: 105

Hallo AD,
ich habe Dein Gedicht sehr Gerne gelesen. Ein bewegendes und emotionales Gedicht. Es erzählt eine ganze Geschichte und hinter jeder Zeile verbergen sich Jahre... ich schweige von dem was zwischen den Zeilen steht. Trauer und die Sehnsucht werden laut obwohl es so still um LI ist "Er sitzt, wie aus der Zeit gerückt,...
Ich bedanke mich herzlich!
Alles Gute für Dich!
LG Tanja
Ex Tanja Wagner ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 03.11.2014, 20:41   #3
weiblich anna amalia
 
Dabei seit: 01/2014
Beiträge: 3.534

Ach A.D.,

eine anrührende Geschichte, die Begegnung zweier Menschen Ton an Ton...

Alles liebe

Anna
anna amalia ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 04.11.2014, 01:24   #4
weiblich Ilka-Maria
Forumsleitung
 
Benutzerbild von Ilka-Maria
 
Dabei seit: 07/2009
Ort: Arrival City
Beiträge: 31.103

Kann es ein Zufall sein, dass in diesem Gedicht eine Brücke geschlagen wird von Ostern zu Weihnachten? Letzteres ein Fest der Besinnung, ein Fest zu Ehren eines Religionsstifters, der in Bethlehem geboren wurde, ersteres das düstere Fest seines gewaltsamen Todes, düster zumindest bis zum Tag seiner Auferstehung.

Ich glaube nicht, dass dies ein Zufall ist. Der Autor muss sich seine Verse genau überlegt haben. April und Dezember - diese Monate wurden bewusst gewählt.

Es ist Adventszeit, Weihnachten ist schon sehr nahe gerückt, aber weder brennen die Kerzen des Adventskranzes, noch ist der Tannenbaum geschmückt. Immerhin: Der Baum ist vorhanden. Aber zu mehr reichte die Energie nicht. Der Kauf des Baums war in der Vergangenheit wohl die Aufgabe des Mannes gewesen, reine Routine. Aber das Schmücken („Schminken“!) war Sache der Frau. Oder man tat es gemeinsam.

Sie lebt nicht mehr. Seit circa acht Monaten ist sie tot, gestorben um die Osterzeit herum. Ostern war ihr ein „heiliges“ Fest. Das ist logisch, denn es ist das Fest des Heilands, der starb, um die Menschheit von ihren Sünden zu erlösen. Und sie starb schnell und still, also völlig unerwartet, entweder durch eine progressive Krankheit oder durch einen Unfall. Ein Schock für den Ehemann! Sein Leben ist schmucklos geworden.

Oder war der Tod für die Frau eine Erlösung? War sie eine arge Sünderin gewesen und hat ihre Strafe bekommen? Ich erinnere mich an einen Satz der sündigen, aber reuigen Madame Bovary: „Ich möchte eine Heilige werden.“

Die Verstorbene spielte gerne Klavier, ihr Mann spielte dazu die Geige. Zwei Gegensätze, die sich anzogen und das Spiel offensichtlich zur Harmonie brachten. Was eignet sich besser zur besinnlichen Hausmusik, als die Adventszeit und der romantische Schein der symbolhaften Kerzen!

Aber jetzt brennt keine Kerze mehr, und es erklingt auch keine Musik. Das einzige Geräusch kommt von einem Wasserkessel, der schon bald das Wasser brodeln lässt und heißen Dampf durch sein Pfeifchen bläst. Und der offensichtlich der einzige Wärmespender ist.

Viel Spielraum für Interpretationen, lieber AnDi!

Ich habe selten ein Gedicht gelesen, in dem der Verlust eines Menschen und die große Leere danach herzzerreißender dargestellt wurde.

Einen herzlichen Gruß, lieber Poet,
sendet Dir Ilka
Ilka-Maria ist offline   Mit Zitat antworten
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