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Alt 25.08.2019, 03:04   #1
männlich Heinz
 
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Standard Ein Brief aus dem betrübten Herzen

Mein lieber Sohn,
acht lange Wochen hat es gedauert, bis mich Dein Brief erreichte und ich nun endlich weiß, dass es Dir gut geht im Land Deiner Sehnsucht und die Kängurus wohl doch nicht so gefährlich sind, wie ich immer geglaubt habe.
Ich hoffe, dass mein Brief nicht so lange unterwegs ist wie Deiner, muss aber befürchten, dass die Umstände zu größeren Verzögerungen führen können.
Du willst wissen, wie es uns in dem Lande geht, das für zehn Jahre Deine zweite Heimat war.
Schon vor Deiner Abreise mehrten sich die Zeichen großer Veränderungen. Jetzt aber herrscht Krieg und alle Sicherheiten gelten nicht mehr. Der Krieg ist mit seinen Verwüstungen ausgebrochen und in seinem Gefolge bedrücken uns allerlei Krankheiten, herrscht allüberall Hunger und die Pest rafft zahllose Menschen dahin. Auch unsere Gemeinde ist auseinander gesprengt, ein großer Teil ist in die benachbarten Städte geflüchtet. Einige wenige fanden Zuflucht bei Verwandten, die leerstehenden Häuser haben Fremde in Beschlag genommen und von unseren gemeinsamen Bekannten ist nur eine Familie - Du erinnerst Dich bestimmt an die netten Nachbarns Timmermann mit ihrer hübschen Tochter - übrig geblieben. Von unseren unmittelbaren Nachbarn Schulze hörte ich, sie hätten in Krakow eine Bleibe gefunden.
Vom Kriege gibt es nur Schreckliches zu berichten. Die ersten Monate waren noch erträglich. Als aber unsere Feinde aus dem Norden hier einfielen, brach eine furchtbare Not aus, Die Pest griff um sich und forderte über die Schlächtereien der Soldateska hinaus unzählige Todesopfer. In Sternberg, wo wir noch gemeinsam zum Markt gefahren sind, wohnt kein einziger Mensch mehr. In der Familie Hahn, die nach Röbel geflohen war, starben im Mai erst der Vater, dann sein ältester Sohn, im Juli Frau Hahn, während der Ernte ein Neffe, kurz darauf der zweitgeborene Sohn und vorige Woche raffte die Pest auch die jüngsten Kinder - drei Töchter und den kleinsten Sohn weg. Von der großen Familie Hahn sind in kurzer Zeit zwölf Menschen gestorben.
Wir können uns alle noch keinen Begriff davon machen, wie furchtbar der Krieg und die Pest bei uns in Mecklenburg gewütet haben. Von den ehemals 300 000 Menschen sind höchstens 40 - 50 000 Einwohner übrig geblieben.
Viele Dörfer sind gänzlich vernichtet und vom Erdboden verschwunden Im Amt Stavenhagen sind 30 Dörfer verwüstet und von den 5 000 Einwohnern sind noch 300 am Leben.
Die Pest begann in Rostock und nicht genug der Schicksalsschläge: Es trat auch noch eine große Wassernot auf und forderte fast 800 Todesopfer. Von Rostock breitete die Pest sich im ganzen Land aus; in Neubrandenburg starben 8 000, in Güstrow 20 000 Menschen.
Durch die unerträglichen Contributions und die Verwüstung der Äcker verschwanden Korn und Vieh aus dem Lande und der Preis des Getreides stieg auf das Zehnfache. Der Hunger kehrte ein. Fürchterlich sind die Leiden in manchen Städten. Hunde, Ratten, Mäuse, Holz und Baumrinde, ja sogar Menschenfleisch waren die Speise der Verschmachtenden. Eltern sollen, wie der Regierungschef in sein Tagebuch geschrieben hat, ihre Kinder gefressen haben.
Was die Pest und der Hunger verschonte, fiel den Misshandlungen der Soldateska zum Opfer.
Niemand wurde verschont, weder Alt noch Jung, weder Mann, Weib noch Kind, weder Hoch noch Niedrig. Besonders die Gebildeten und Gelehrten als Bewahrer von Sitte und Anstand waren zusätzlichen Gefahren ausgesetzt und viele büßten ihre Standhaftigkeit mit dem Leben.
Viele wurden durch Martern zu Geständnissen gebracht. Stricke mit Knoten wurden den Unglücklichen ums Haupt gelegt und zusammen gedreht, bis die Augen aus dem Kopf hervor quollen. Mistjauche goss man in Menge in den Mund hinein und auf dem aufgetriebenen Bauch traten die entmenschten Krieger mit ihren Stiefeln herum, bis der ekle Trank wieder heraus lief - das Ganze nannte man Schwedentränke. Die Fußsohlen wurden mit Messern geritzt und mit Pfeffer und Salz eingerieben, Striemen Fleisches aus dem Rücken heraus geschnitten und was dergleichen Qualen mehr sind.
Ja, so ist, mein Sohn, unsere beklagenswerte Lage.
Du wirst verstehen, dass ich über die kleinen Misslichkeiten des Lebens nur herzlich lachen kann und mich inbrünstig nach Zeiten sehne, in denen aus Wasserhähnen trinkbares Wasser fließt, das Licht angeht, wenn man einen Schalter betätigt, in der Vorratskammer ein Stück Brot zu finden und die Sonne nicht von Brandwolken verdüstert ist.
Freu Dich, mein Sohn, Deines Lebens und, wenn es hilft, bete für uns zu Jesus, dem Sohn des Pontius Pilatus!
Dein Vater
Heinz ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 25.08.2019, 09:26   #2
weiblich Ex-frankaaimy
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Beiträge: 195


Hallo Heinz,

nur kurz, ich habe nicht viel Zeit...

Ein für mich sehr interessanter und lesenswerter Brief, der vor allem aber die Scheußlichkeiten aus dem Dreißigjährigen Krieg noch mal hervorhebt.

Hier ein paar Anregungen:

Der Satz ist nicht gut, warum hebe ich fett gedruckt hervor.

"Der Krieg ist mit seinen Verwüstungen ausgebrochen und in seinem Gefolge bedrücken uns allerlei Krankheiten, herrscht allüberall Hunger und die Pest rafft zahllose Menschen dahin."

Außerdem würgt die durch das Komma enstandene Zäsur diesen Satz ab.
Für mich ist der Satz kein gutes Deutsch.

Der Krieg ist mit seinen Verwüstungen ausgebrochen und in seinem Gefolge bedrücken uns viele Krankheiten. Jedes Lebewesen leidet hier Hunger und die Pest rafft zahllose Menschen und Tiere dahin.

Es ginge noch dramatischer: "Jedes Lebewesen hungert. Die Pest rafft gnadenlos zahlose Menschen dahin."

"Contributions" würde ich streichen.
Ich komme aus einem Kreis, der noch glaubt, dass das Vergewaltigung der Sprache sei. Davon ab, finde ich, dass dieses Wort auch den Stil des Briefes zerstört.

Außerdem würde ich kleinere Dinge korrigieren, wie:

"Die ersten Monate waren noch erträglich."
"Die ersten Monate waren erträglich, doch..."

Damit schaffst du einen Spannungsbogen.

Der Satz wären mir in Anbetracht der Tragweite des Briefes zu schwach:

"Auch unsere Gemeinde ist auseinander gesprengt, ein großer Teil ist in die benachbarten Städte geflüchtet."

Wodurch wurde die Gemeinde auseinander gesprengt?
Hier fehlt mir der nähere Bezug.

Wenn dir ein näherer Bezug missfällt, dann vielleicht so:

"Auch unsere Gemeinde ist zerstört und liegt in Schutt und Asche."

Was es noch zu sagen gäbe, wäre...

Show, don't tell!
Man nennt es auch literarisches Zeigen.

Weswegen dein Brief einer Berichterstattung ähnelt und daher nicht aus der Tiefe eines betrübten Herzens stammen kann.

Bericht

"Der kleine Hildur ist eine Nervensäge"

Show

"Als ich wie jeden Tag den Markt besuchen war, traf ich bei Frau Eller den kleinen Hildur aus der Schreiner-Gasse. Es dauerte keinen halben Augenblick, kam er zu mir angerannt und zupfte mit seinen kleinen Fingern unaufhörlich an meiner Jacke herum. "Martin, Martin, Martin, Martin... Können wir?"


Trotzdem habe ich den Brief mit Freude gelesen.
Die Foltermethoden, vor allem die aus dem Dreißigjährigen Krieg, waren einfach nur schrecklich.
Ex-frankaaimy ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 25.08.2019, 11:53   #3
weiblich Unar die Weise
 
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Beiträge: 5.271


Zitat:
Zitat von Heinz Beitrag anzeigen
Du wirst verstehen, dass ich über die kleinen Misslichkeiten des Lebens nur herzlich lachen kann und mich inbrünstig nach Zeiten sehne, in denen aus Wasserhähnen trinkbares Wasser fließt, das Licht angeht, wenn man einen Schalter betätigt, in der Vorratskammer ein Stück Brot zu finden und die Sonne nicht von Brandwolken verdüstert ist.
Dreißigjähriger Krieg?
Da kam kein Strom aus Steckdosen und Wasser aus Hähnen in Wänden.
Unar die Weise ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 25.08.2019, 16:50   #4
männlich Ex-Ralfchen
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servus Heinz -

jetzt mal den text - der genügend klar definierten lebensablauf von damals enthält - frage ich das gleiche wie unsere geliebet Unar: strom und wasser im 30JK? oder lese ich da eine zeitreise aus dem text? denke nicht.

vlg
r
Ex-Ralfchen ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 25.08.2019, 17:01   #5
männlich Heinz
 
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Beiträge: 7.878


Lieber frankaaimy,
ich gebe Dir Recht. Und es ist ao: Der Verfasser, also ich, ist verantwortlich für Missverständnisse und ich lasse die Leser/innen wahrscheinlich im Dunklen stochern. Die letzten Sätze sollten eigentlich Aufschluss geben ("wenn es hilft, bete für uns zu Jesus, dem Sohn des Pontius Pilatus") und können nur verstanden werden, wenn der Hintergrund der Geschichte bekannt ist.
Wenn ich das Jammern auf hohen Niveau über den Zustand unseres Gemeinwesens höre und mir dann durch einen Zufall ein zerfleddertes Exemplar mit dem Titel "Chronik von Bellin 1220 - 1874" in die Hände fällt, erfährt man von den wirklichen Nöten (hier speziell von Menschen in Mecklenburg), denen die Menschen ausgesetzt waren. Der Bericht des "Vaters" an seinen "Sohn" ist eine fast genaue Abschrift aus dieser Chronik, verfasst von einem Pastor am Ende des neunzehnten Jahrhunderts. (Dass und wie der Glauben die Geister verwirrt hat, sollte aus dem oben zitierten Satz (Jesus = Sohn des Pontius Pilatus) hervor gehen. Über mehrere Jahrzehnte, das geht aus dem Kontext hervor, war es unerschütterlicher Glaube und verschiedene Redewendungen - Kontributions - sind Originalton der Chronik.
Liebe Unar,
natürlich gab es im Berichtszeitraum der Chronik noch keinen Stromschalter.
Hier springe ich sozusagen in die Rolle des Berichterstatters, der seine Chronik um 1900 schrieb (und immer noch ein paar Jahrzehnte von der Elektrifizierung entfernt war).
Der Brief des Vaters ist aus heutiger Sicht geschrieben und stellt die tatsächlichen Gräuel des dreißigjährigen Krieges unseren heutigen Klagen gegenüber. Nicht ganz ausgereift, das gebe ich zu.
Liebe Grüße Euch beiden und Dank fürs Lesen!
Heinz
Heinz ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 25.08.2019, 18:40   #6
weiblich Ex-frankaaimy
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Hallo Heinz,

ich finde mitnichten, dass dein Brief Missverständnisse hervorruft.
Vielleicht habe ich mich in meinem Kommentar missverständlich ausgedrückt, aber ich schrieb nicht, dass es sich in dem Brief um den Dreißigjährigen Krieg dreht, sondern nur, dass die Folter im Dreißigjährigen stattfand, vor allem im schwedischen und schwedisch-französischen.

"...Ein für mich sehr interessanter und lesenswerter Brief, der vor allem aber die Scheußlichkeiten aus dem Dreißigjährigen Krieg noch mal hervorhebt..."

Außerdem gab es bereits um 1550 Wasserhähne.
Vielleicht hast du Lust dieses Thema in eine Dystopie zu packen?

Wie auch immer! Einen schönen Abend
Ex-frankaaimy ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 25.08.2019, 19:42   #7
männlich Heinz
 
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Lieber frankaaimy,
ich packe jedes Thema in was Du willst, aber irgendetwas hindert mich daran,
Geschichten mit vorhersehbarem schlechtem Ausgang zu erfinden. Zwar kann auch mir schlecht werden, wenn ich sehe, wie die Menschen mit ihrem Planeten umgehen. Ich bleibe dennoch optimistisch, weil der Planet uns überleben wird und vielleicht mit anderen Lebewesen die Natur bereichert.

Liebes Ralfchen,
die Geschichte ist, so selbstkritisch bin ich, nicht ausgegoren.
Dem Gejammer, wie ich schon bemerkte, auf hohem Niveau, wollte ich eine Schilderung tatsächlichen Elends entgegen setzen und aufzeigen, zu welchen Perversionen der Mensch fähig ist. Aufzeigen wollte ich auch, wo vielleicht die Grundübel zu vermuten sind.
Ich glaube, ich muss das Ding nochmal überarbeiten.

Liebe Grüße!
Heinz
Heinz ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 25.08.2019, 20:02   #8
männlich Ex-Ralfchen
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Servus - im rom wurden wasserleitungen schon ein paar hundert jahre vor dem unglücklichen jahr NULL gebaut. Die erste moderne Wasserversorgung auf dem europäischen Kontinent entstand ab erst 1842 in Hamburg. der 30JK war im 17 jhdt. also ziemlich kanpp, so wie mir vorkommt. Damals zerstörte ein Feuer, das als Hamburger Brand in die Geschichte einging, große Teile der Altstadt, die damals nur unzureichend mit Löschwasser versorgt werden konnte. Nach der verheerenden Katastrophe entschloss man sich, die Wasserversorgung und Kanalisation voranzutreiben. Die Bauarbeiten waren 1948 abgeschlossen. Es folgten die Städte Magdeburg (1850) und Berlin (1855). Heute sind 100 Prozent der deutschen Einwohner an das öffentliche Versorgungsnetz angeschlossen. Doch wann genau die ersten Wasserhähne in Haushalten installiert wurden, ist nicht bekannt. ob das was die eigenartige flunkylaami schreibt kann ich nicht nachprüfen. kenne ihre finsetrhellen quellen nicht.
Ex-Ralfchen ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 25.08.2019, 20:35   #9
weiblich Ex-frankaaimy
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https://www.shotroom.com/i/2046/Z3wY6

1492
Ex-frankaaimy ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 25.08.2019, 21:27   #10
männlich Ex-Ralfchen
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nun ja was auch immer liebe almflunky ich sehe keinen wasserhahn auf dem holzschnitt...nein kommando zurück...aber ist das nicht eher ein brunnen-auslass? in Wittenberg gibt es eine holzrohrleitung (pipen) aus dem 16jhdt. aber egal das passt dann durchaus auf den 30J krieg. ob allerdings jedes haus eine wasserleitung ähnlich oder entfernt ähnlich der heutigen hatte geht aus der nachforschung nicht hervor.
Ex-Ralfchen ist offline   Mit Zitat antworten
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