Der Mensch, er hat: Instinkte

[Ottilie]

Der Mensch, er hat: Instinkte.
So mancher ist: uralt.
Kultur ist dabei: Bremse
vorm Instinkt der: Gewalt.

Was sind die Bremsbeläge
des Werkzeuges Kultur?
Was hemmt das Tier im Menschen
und hält ihn in der Spur?

Sind es Justiz, Gesetze,
ein drohendes Schafott?
Es ist eine Erfindung,
genannt zumeist nur: Gott.

So ward Herr Gott erfunden
in allerhöchster Not
als Hüter uns‘res Lebens,
als Retter vor dem Tod.

Er ist der höchste Richter,
die heilige Instanz.
Menschen sind nur: misstrauisch
einander voll und ganz.

Und wenn wir ihn denn töten,
was haben wir geschafft?
Die Freiheit der Instinkte
mit ihrer üblen Kraft.

[Zunder]

Guten Tag!

Das Gedicht hat etwas Interessantes an sich, das Aufmerksamkeit fördert und den Denkapparat stimuliert. Gut geschrieben!

Die folgende Zeile jedoch:

Zitat von Ottilie

Menschen sind nur: misstrauisch

ist ein Trochäus, wobei der Rest des Gedichtes in sauberem Jambus geschrieben ist.

Versuch's mit: "die Menschen sind im Misstraun" oder "die Menschen hegen Misstraun"

Liebe Grüße,
Zunder

[Ottilie]

Hallo Zunder,

danke für Deine Anmerkung! Du hast recht, die eine Zeile bricht den Rhythmus. Mir fiel das beim Schreiben auf, ich habs dann aber so stehen lassen, vielleicht, um den Fluss ein wenig zu stören. Obs richtig ist oder besser geglättet werden sollte - ich grüble noch.

Gott ist übrigens nur ein Synonym für all das, was für Moral und Affekt- resp. Instinktbremse steht. Ich fürchte, dass mit dem Aufkommen radikaler, antidemokratischer Parteien auch diverse Hemmungen bei vielen Menschen wegfallen...

Schönen Abend wünscht Ottilie

[Zunder]

Deshalb lebt es sich als Atheist um einiges besser. :-)

Wobei ich nicht ganz gerafft habe, inwiefern Politik Einfluss auf meine Instinkte haben soll...

Kannst du das evtl. näher erläutern @Ottilie?

LG, Zunder

[Ilka-Maria]

Zitat von Ottilie

Obs richtig ist oder besser geglättet werden sollte - ich grüble noch.

Menschen sind nur: misstrauisch
einander voll und ganz.

Liebe Ottilie,

so schwierig wäre das nicht. Man könnte schreiben:

Die Menschen: Sie misstrauen
einander voll uns ganz.

Verben sind sowieso immer kräftiger im Ausdruck als adverbiale Formulierungen, denn sie drücken direkte Handlung aus.

Gewalt als eine Folge des Instinkts darzustellen, ist für mich problematisch, insbesondere beim Menschen. Tiere mögen auf uns gewalttätig wirken, denn viele ihrer Arten können nur durch das Töten anderer Tiere überleben. So gesehen, ist das eine Notwendigkeit, keine Gewalt um ihrer selbst willen.

Beim Menschen ist das anders. Von Natur aus hat er, sofern er nicht geistesgestört ist, eine Hemmschwelle gegen das Töten seiner Artgenossen. Gewalt, die von übergriffigen Handlungen bis hin zum Morden reicht, sind ein Ergebnis der Sozialisierung und fast immer von bestimmten Gefühlen bzw. einem Gemisch von Gefühlen gelenkt (z.B. Rache, Minderwertigkeitsgefühle, Bereicherungsmotive etc.). Kein Baby kommt aufgrund von Instinkten als Gewalttäter zur Welt. Die Instinkte, vom Kleinhirn gesteuert, sind lediglich dazu da, die Funktionen zu steuern, die das Überleben des Körpers sichern.

Jetzt könnte die Frage kommen: Warum haben Gesellschaften dann Korrektive wie Polizei und Justiz? Eben deshalb: Weil Menschen seit jeher von falsch sozialisierten Menschen ebenso falsch sozialisiert werden. Sie ahmen nach, was sie sehen und was sie erfahren, und was sie daraus schließen und entscheiden, findet nicht im Kleinhirn, sondern im Groß- bzw. Stirnhirn statt.

LG
Ilka

[Ottilie]

Hallo Zunder,

ich habe meine Zweifel, dass es überhaupt Atheisten gibt... Aber zu Deiner Frage, ob denn Politik Einfluss auf Instinkte haben kann. Ich sags mal so: Wenn staatliche Ordnungen wanken oder fallen, ist es immer eine gute Zeit für Aufmärsche, Absetzungen, Vergeltungsaktionen, Progrome. Wie kommt das? Ich glaube, in uns allen schlummern atavistische Instinkte und Triebe, die sich in solchen Situationen "frei" machen. Man spricht auch vom "Reptiliengehirn". Beispiele dürfte es viele geben, ich denke an Ruanda, an Litauen nach dem Abzug der Russen und vor dem Einmarsch der Deutschen, ich denke auch an die Wende und die Unzahl unsäglicher Schreihälse... Eine staatliche Ordnung vertritt ein Moral- und Wertesystem, je nachdem, wie diese Ordnung beschaffen ist. Früher fürchtete man Gott und Teufel, heute die Organe eines funktionierenden Staates, was durchaus richtig ist, denn, wie gesagt: Ohne "Über-Ich", wie es Freud nannte, spielt unser "Alt-Ich" schnell wilde Sau. Sollten nun extreme Parteien an die Macht kommen, könnten zivilisatorische Schranken auch in unseren Breiten fallen.