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Alt 25.03.2007, 21:56   #1
lichtelbin
 
Dabei seit: 07/2006
Beiträge: 626


Standard Zukunftsvision

Mies gelaunt verlasse ich die U-Bahn am Marienplatz. Sie bauen dort schon wieder um und der Lärm dröhnt in meinen Ohren. An der Ecke stehen Bauarbeiter und verteilen Ohrschützer (genannt „Earsaver“) mit Münchner-Kindl Aufklebern und Werbung für die nächste Wiesn (October-Party) Irgendein schreiend buntes Bild von einem Bierkrug in der Krachledernen. Ich setze die Dinger auf, und beobachte aus dem Augenwinkel eine Gruppe Mädchen, die ihre Unterhosen über dem Minirock tragen. Das ist die neueste Mode. Sie diskutieren wild mit einem Bauarbeiter, der sie zwingen will, Kopfhörer aufzuziehen, die Mädchen weigernen sich, ihre Frisuren zu zerstören, eine Mixtur aus Rastalocken, Perlenschnüren und Nagellack, der über die letzten gesunden Spitzen gegossen wird. Dieser Übergangslook ist nicht ganz so in, wie der echte Look… man entfernt alles wieder und wäscht sich die Haare einmal mit alkoholfreiem Bier (anderes gibt es nicht mehr), zweimal mit Sekundenkleber und einmal mit speziellem Splissshampoo, damit die Spitzen und der Rest der Haare brechen. Das ist dann „IN“. Ich schüttle leise den Kopf und blicke an mir hinunter. Moosgrüne, ausgebeulte Cordhose, weiter Rollkragenpullover in Beige, braune Stiefel und ein fransiger Kurzhaarschnitt. Ich rebelliere schon seit langem… Tuscheln ist ganz normal. Auf der Rolltreppe rennt ein junger Mann in einem orangefarbenen Raumanzug mit Polstern auf und ab. Um seinen Hals hängt ein Schild: „Gehen macht schlanker, denn stehen! Tun sie etwas für ihre Gesundheit!“ Darunter das gleiche in Englisch. Betont langsam ziehe ich eine Taschenbuchausgabe von Ovid raus und fange an zu lesen. Es ist nicht einfach, auf Latein zu lesen, eigentlich geht es nur sehr langsam und beschwerlich. Ein Kind, das neben mir die Treppe hinaufgeschleift wird, zieht am Rockzipfel seiner Mutter: „Mooooom? was liest die da stranges? Ist das in Latin?!“ Die Mutter antwortet: „Ja, Darling… aber das ist Humbug… nobody muß noch Latin lernen.“ „Ich will das aber, Mom!“ „Jonas! So was mustn’t du sagen! Latin ist out! And now komm! Walk die Treppe! Das ist besser für deine health!“ Ich grinse in mich hinein und packe das Buch wieder weg… keine Zeit. Meine wahre Mission steckt in meiner Tasche. Ich gehe langsam und aufmerksam durch das Sperrengeschoß. In einer Ecke lungern verschwörerisch ein paar Businessmen herum, die sich ihre Zigarette schmecken lassen… die einzige, die sie sich im Monat leisten können, denn der Staat will die Menschen vor Raucherlungen schützen. Sie sind immer auf der Hut, weil plötzlich irgendein toller Menschenschützer auf den Plan treten und ihnen ihre Glimmstengel klauen könnte. Im Kaufhaus, das jede Woche seinen Namen ändert, da es pleite geht und wiederverkauft wird, gehe ich in die Süßwarenabteilung. Dort stehen jede Menge fettarme Schokoladenweihnachtsmänner, die dort als „Nikoläuse“ angeboten werden. Wir haben November und das Geschäft mit denen boomt. Aus der Tasche ziehe ich mehrere vorgefaltete Pappmitras und Bischofsstäbe und verteile sie auf die häßlichen amerikanischen Gartenzwerge, welche den Doppelmord Christkind und Nikolaus verschulden. Hinter mir werden Schreie laut. „Eine Christin!“ „Eine Katholikin!“ „Schnell! Steckt sie in die Irrenanstalt!“ „Schlagt ihr den Schädel ein!“
Ich grinse. „Kreuzigt sie!“, ergänze ich im Kopf und beeile mich, das Kaufhaus zu verlassen. Gerade noch rechtzeitig stecke ich das Goldkreuz, das ich immer trage in den Kragen und trete in die gefilterte, reine Luft draußen, auf dem Marienplatz. Gelangweilt kämpfe ich mich durch die Massen am Marienplatz, wo, wie jede Woche, eine neue Demo stattfindet. Was ist es wohl diesmal… Aha… Neonazis, mal wieder, stelle ich fest. Nicht etwa an ihnen selbst kann ich das erkennen, sondern an der wogenden Menge Antifas in allen Alters- und Gehaltsklassen. Letzten Montag war dort eine Demonstration von Greenpeace gegen „Was-weiß-ich-was“ Denn sie haben eh schon die meisten Ziele erreicht. Pelzindustrie… eingeschläfert. Eier sind Luxus, weil es sie nur noch aus Freilandhaltung gibt. Robbenjagd… eingeschläfert… bis auf die jährlichen Massaker, die Greenpeace selbst veranstaltet, auf Video aufnimmt und an die Öffentlichkeit bringt, um Spenden zu sammeln. Autos… nur noch elektrische, wenn ich bitten darf. Unsere Natur müsse eigentlich ultra-gesund sein, ist sie aber nicht und den Klimawandel haben sie bis jetzt auch nicht aufgehalten… Aber wenn man das auf der Straße sagt, landet man ziemlich schnell im „human Gefängnis“, da die Green-Police überall ihre Augen hat. Ich dränge mich durch eine Gruppe aufgeregter Punks und verzerre vor Schmerz das Gesicht, als mir ein achtjähriges Mädchen mit rosa Haaren und Augenbrauenpiercing auf den Fuß tritt. Einer der 10 Neonazis, die sich zur Demo gewagt haben, fängt irgendeine Parole an… ein mutiger Mensch… ein toter mutiger Mensch (der es, meiner Meinung nach, kaum anders verdient hat). Gerade noch rechtzeitig, bevor der Mob in Panik gerät, tauche ich dann in einer japanischen Touristengruppe unter, der gerade auf Englisch erklärt wird, dass keiner weiß, wer die Person auf der Mariensäule ist, aber, dass vermutet wird, dass es sich um eine der 50 Geliebten von König Ludwig dem 2. handelt. „Das wird nicht vermutet!“, rufe ich laut. Auf Deutsch. Der Touristguide mit der Nummer 865 sieht mich überrascht an. „Zunächst ist zu erklären, dass die Person oben die Jungfrau Maria, Mutter Gottes, dargestellt wird. In der Bibel steht, dass sie Jesus zur Welt gebracht hat.“ Der Touristguide (man darf ihn nicht mehr „Führer“ nennen) erklärt auf englisch und alle Japaner machen „OOOOOOOOOOhhhhhhhhh“ und quaken auf japanisch. Die haben ja kein Problem mit unserer Kulturverfremdung, denke ich und laufe scharfen Schritts die Einkaufspassage hinunter in Richtung Asamkirche. Die wurde zu einem Luxuswohnheim für Arbeitslose umgebaut, als die Kirche sich weigerte, länger Fernsehveranstaltungen für die Allgemeinheit zu machen, die von irgendwelchen Comedians und Showmastern zelebriert werden. Doch der super Gau kam, als sie sich weigerten, den Atheismus als Weltreligion anzuerkennen. Ihr wurde nämlich, schlicht und ergreifend, die Gemeinnützigkeit entzogen. Seit dem wird sie auch öffentlich für verkorkst, altertümlich und rückständig gehalten… paßt also genau in mein Konzept.
Ihr fragt nach meinem Konzept? Das Alter ehren, den Gouvernantenstaat aus der persönlichen Entscheidungsfähigkeit des Menschen rauslassen und endlich diese gottverdammte Un-Kultur zum Teufel schicken, denn irgendwie halte ich den Ideenreichtum der Menschheit für endgültig ausgeschöpft.

__________________________________________________ _______

hallo
hoffe, es ist nicht zu bitter, vorallem am ende hab ich mich ein bisschen zu sehr ausgelassen, hoffe, es gefällt trotzdem

engelsgruß, lichtel
lichtelbin ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 25.03.2007, 22:14   #2
männlich Roan Eck
 
Dabei seit: 01/2007
Ort: München
Beiträge: 168


Nette idee. Ich musste wie immer nicht nur schmunzeln sodnern auch bin auch ins lachen abgedriftet.
Ih hätte noch eien Idee zu dem Teil mit der Christin: " „Ein Christin!“ „Eine Katholikin!“ „Schnell! Steckt sie in die Irrenanstalt!“ „Schlagt ihr den Schädel ein!“ Schlagt ihr den Schädel ein, okay ja abr was hästdu von "Verbrennt sie!"
gruß roan
Roan Eck ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 26.03.2007, 16:56   #3
Struppigel
 
Dabei seit: 05/2006
Beiträge: 1.007


Hallo lichtel,

gefällt mir gut, interessante Vision und schon ein ziemlicher Alptraum, sich das vorzustellen. Trotzdem wirkt es nicht so übertrieben, dass man es nicht für wahr halten könnte.
Das Gespräch zwischen Mutter und Kind war richtig lustig.

Zitat:
Nicht etwa an ihnen selbst, sondern an der wogenden Menge Antifas in allen Alters- und Gehaltsklassen zu erkennen.
Das ist kein Satz, da fehlt was.

Zitat:
verteile sie auf die häßlichen amerikanischen Gartenzwerge, welche den Doppelmord Christkind und Nikolaus verschulden.
Die Gartenzwerge verschulden das? Wieso?

Zitat:
Sie diskutieren wild mit einem Bauarbeiter, der sie zwingen will, Kopfhörer aufzuziehen, denn sie haben Angst um ihre Frisuren, eine Mixtur aus Rastalocken, Perlenschnüren und Nagellack, der über die letzten gesunden Spitzen gegossen wird.
Das klingt, als würde der Bauarbeiter die Mädels zwingen, weil sie Angst haben.

Struppige Grüße!
Struppigel ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 26.03.2007, 18:07   #4
lichtelbin
 
Dabei seit: 07/2006
Beiträge: 626


die gartenzwerge sind weihnachtsmänner
und sie verdrängen sowohl christkind, als auch nikolaus, deshalb

"verbrennt sie" klingt gut, ich werde es mir überlegen, danke roan
und über struppis verbesserungen mach ich mich gleich her

lieben dank an euch alle, lichtel

edit: "verbrennt sie" wäre eventuell eine stufe zu viel, mal schaun
lichtelbin ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 27.03.2007, 16:20   #5
exmaex
 
Dabei seit: 04/2005
Beiträge: 362


hi lichtel.

rechtschreibfehler:
Zitat:
„Ein Christin!“
,
Zitat:
Robenjagd
und
Zitat:
eine der 50 geliebten von König
ansonsten fand ich die idee auch nett.
leider gab es für mich nur zwei richtig gute stellen, die waren dafür aber umso komischer:
Zitat:
„Mooooom? was liest die da stranges? Ist das in Latin?!“ Die Mutter antwortet: „Ja, Darling… aber das ist Humbug… nobody muß noch Latin lernen.“ „Ich will das aber, Mom!“ „Jonas! So was mustn’t du sagen! Latin ist out! And now komm! Walk die Treppe! Das ist besser für deine health!“
einfach zum schießen
und
Zitat:
Robenjagd… eingeschläfert… bis auf die jährlichen Massaker, die Greenpeace selbst veranstaltet, auf Video aufnimmt und an die Öffentlichkeit bringt, um Spenden zu sammeln.
ansonsten, wie gesagt, nette ideen, jedoch fehlte mir die "durchgehende" witzigkeit einer guten satire (wobei humor ja natürlich auch extrem subjektiv ist ).

gruß max
exmaex ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 28.03.2007, 10:32   #6
lichtelbin
 
Dabei seit: 07/2006
Beiträge: 626


hallo maxim

die rechtschreibfehler ändere ich selbstverständlich!
tut mir leid, dass es nich durchgehend witzig ist, aber ich hab es zumindest versucht

engeslgruß, lichtel
lichtelbin ist offline   Mit Zitat antworten
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