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Alt 06.06.2018, 15:13   #1
weiblich Ilka-Maria
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Standard Der Hund - Teil 1

Ein hässliches Scheppern ließ Gerit zusammenfahren, aber nur kurz, denn er war dabei, sich an dieses Geräusch zu gewöhnen. „Der Bungert wird nie lernen, das Tor wie ein zivilisierter Mensch zu schließen,“ seufzte er und tippte auf seinem Laptop weiter. Die Deadline für die Abgabe seines Manuskripts rückte näher. Keine Zeit, sich wegen Lappalien aufzuregen. Der Druck, unter dem er stand, um seinen Vertrag pünktlich zu erfüllen, machte ihn nervös genug.

Doch das Gebrüll, das jetzt von der anderen Straßenseite zu ihm drang, brachte ihn an den Rand des Erträglichen. Er stand vom Schreibtisch auf, um das Fenster zu schließen und den Lärm draußen zu halten.

„Verdammter Köter, elendes Mistvieh, dir werde ich die Mucken austreiben!“

Als Gerit das Fenster erreichte, fuhr ihm ein Jaulen in die Ohren, das ihn wie ein heftiger Schmerz durchzuckte. Was er sah, ließ sein Blut kochen. In der Einfahrt seines Hauses hielt Bungert einen Hund an der Leine und hieb mit einem Rohrstock auf ihn ein. Da der Hund nicht fortlaufen konnte, hatte er sich auf die Seite gelegt und eine Demutshaltung eingenommen - vergeblich. Wie im Rausch ließ Bungert den Rohrstock wieder und wieder auf ihn niedersausen. Immer mehr Strähnen des hellen Fells tränkten sich mit Blut.

„He, Bungert!“

Bungert reagierte nicht auf Gerits Zuruf, sondern ließ weiter seine Wut an dem Hund aus. „Dir werde ich Gehorsam beibringen, verlass dich drauf!“

„He, Bungert, hören Sie auf damit.“

Keine Reaktion. Gerit fluchte, stürmte aus dem Haus und rannte über die Straße.

„Lassen Sie das, sonst rufe ich die Polizei.“

Bungert ließ die Hand mit dem Rohrstock sinken.

„Kümmere dich um deinen eigenen Dreck, Schreiberling.“

„Es ist mein Dreck, wenn ich sehe, dass ein Tier misshandelt wird.“

„Wie ich meinen Hund erziehe, ist meine Sache. Also hau ab, Schreiberling!“

„Hören Sie …“

Doch Bungert dachte nicht daran, sich weiter auf Gerit einzulassen, zerrte den Hund mit sich und verschwand im Haus.

Gerit blieb unschlüssig stehen. Sollte er seine Drohung wahr machen und die Polizei rufen?

„Herr Haase …“

Gerit sah in die Richtung, aus der er leise gerufen worden war. Die Stimme gehörte der alten Picard, die das Haus nebenan bewohnte. Sie winkte Gerit zu sich. Er zögerte, denn die Picard war als Klatschbase der Straße berüchtigt. Weil er aber nicht unhöflich sein wollte, ging er zu ihr.

Sie sah traurig auf Bungerts Anwesen „Es ist eine Schande, wie er mit dem Hund umspringt. Das arme Tier.“

„Seit wann hat er ihn?“

„Weiß nicht, seit ein paar Tagen vielleicht. Braucht halt jemanden um sich, nachdem ihn seine Frau verlassen hat. Will man sagen, seine Kinder lassen sich schon seit Jahren nicht mehr blicken.“

„Wo lässt er den Hund, wenn er arbeiten muss?“

„Arbeiten? Der Bungert arbeitet seit Monaten nicht mehr. Lebt von der Stütze, seit sie ihn rausgeschmissen haben. Der Alkohol macht ihn kaputt.“

„Das wusste ich nicht. Ich kümmere mich nicht um die Nachbarschaft. Hab‘ zu viel zu tun.“

Die Picard überhörte den Hinweis und plauderte weiter.

„Dabei hat er Glück, dass das Haus bezahlt ist, dank seiner tüchtigen Frau. Will man sagen, die schmiss den Laden und hatte die Finanzen im Griff. Aber von der Flasche … da bekam sie ihn einfach nicht von weg.“

„Das ist bedauerlich, Frau Picard, aber ich muss jetzt …“

„Kann man denn nichts für den Hund tun? Will man sagen, der Bungert versteht doch nichts von Hunden.“

„Ich denke darüber nach, Frau Picard.“

„Versprochen? Will man sagen …“

„Fest versprochen. Schönen Nachmittag noch, Frau Picard.“

Gerit wandte sich zum Gehen.

„Wann ist Ihr neuer Roman fertig?“, rief sie ihm hinterher.

„Will man sagen, die Rohfassung in vier bis sechs Wochen.“

Gerit hätte sich augenblicklich auf die Zunge beißen können, beruhigte sich aber damit, dass der Picard diese Spitze wahrscheinlich nicht aufgefallen war. Ehe sie ihm nochmal etwas nachrufen konnte, war er in seinem Haus verschwunden.

.*.*.*.*.*.

An den nächsten beiden Tagen kam Gerit mit seinem Manuskript flott voran. Über den Vorfall mit Bungert dachte er immer weniger nach. Nur einmal hatte er ihn beobachtet, wie er vom Supermarkt zurückkam und seinen Einkauf aus dem Kombi lud, darunter drei Kisten Bier. Von dem Hund hatte Gerit nichts mehr gesehen und gehört. Er hatte die stille Hoffnung, Bungert könne ein Einsehen gehabt und den Hund fortgegeben haben.

Doch am dritten Tag, als Gerit morgens die Zeitung aus dem Briefkasten holte, sah er Bungert mit dem Vierbeiner an der Leine aus dem Haus kommen. Der Hund hielt den Schwanz zwischen die Hinterbeine geklemmt und versuchte ständig, zu Bungert Abstand zu halten, doch dieser fasste die Leine kurz und zerrte das Tier immer wieder zu sich. Gerit sah ihnen einen Moment lang nach. Als er sich umdrehen wollte, um zurück ins Haus zu gehen, hörte er ein Jaulen, das ihm in sämtliche Knochen fuhr. Er riss das Eingangstor auf und stürmte auf die Straße.

Bungert trat hemmungslos auf den Hund ein, der an der gemauerten Eingrenzung eines Vorgartens lag und vergeblich versuchte, auf die Beine zu kommen. Gerit war nicht mehr zu halten. Im Nu war er bei Bungert, fasste ihn mit beiden Händen am Revers seines Jacketts und gab ihm einen heftigen Stoß, so dass er rückwärts zu Boden stürzte und die Leine losließ. Gerit fasste den Hund am Halsband, doch beim Versuch, ihn zum Aufzustehen zu bewegen, winselte das Tier erbärmlich und sank wieder zurück.

Bungert hatte sich aufgerappelt.

„Ich werde dich anzeigen, Schreiberling, darauf kannst du Gift nehmen. Und jetzt lass den Hund los!“

„Was hat er Ihnen getan, dass sie ihn so misshandeln mussten?“

„Das Mistvieh hat mir auf den Schuh gepinkelt. Aber was geht dich das an?“

Gerit sah nicht länger ein, die Höflichkeit zu wahren.

„Du hast ihm die Knochen gebrochen, du barbarisches Scheusal. Er braucht einen Tierarzt, und den wird er bekommen, dafür werde ich sorgen, und wenn ich dir zur Abwechslung die Knochen brechen muss.“

Bungert grinste. „Du? Mir? Schau dich doch mal im Spiegel an, du halbe Portion.“

Bungert griff nach der Leine.

„Steh auf, du Mistvieh!“

Der Hund versuchte abermals, sich zu erheben, kam aber nicht auf die Beine. Als Bungert ihn am Halsband schnappte und mit Gewalt hochzog, jaulte das Tier auf. Gerit konnte sich später nicht mehr erinnern, an welchem Punkt genau ihm die Sicherung durchgebrannt war und er Bungert mit Fäusten und Tritten so lange traktiert hatte, bis dieser zehn Meter weiter mit blutender Nase über dem Kofferraum eines geparkten Autos hing und nach Luft japste. Er hatte aber deutlich im Gedächtnis, wie er den Hund aufhob und ihn zu seinem Haus trug.

.*.*.*.*.*.

Da es sich um einen Notfall handelte, kam Gerit in der Tierklinik sofort mit dem Hund an die Reihe. Ohne seinen neutralen Gesichtsausdruck zu verlieren, führte der Tierarzt die Untersuchung so gründlich und vorsichtig durch wie möglich.

„Starke Prellungen, sehr schmerzhaft, aber nichts gebrochen. Wenn Sie wollen, können wir Röntgenaufnahmen machen, aber ich halte das nicht für notwendig.“

Gerit atmete auf.

„Wie ist das passiert, Herr …

„Haase, Gerit Haase.“

„Junge Hunde können sich im Übermut schon mal verletzen, aber Prellungen dieser Heftigkeit sind ungewöhnlich. Dafür müsste ein Hund aus einer gewissen Höhe gestürzt sein.“ Er fuhr mit den Fingern durch das Fell und runzelte die Stirn. „Und woher stammen diese Striemen?“

Der strenge Unterton in der Stimme des Tierarztes war Gerit nicht entgangen.

„Der Hund gehört mir nicht.“

Der Tierarzt sah Gerit schweigend in die Augen, und Gerit dämmerte augenblicklich, dass dieser Satz bestimmt schon zigmal als Ausrede von Tierhaltern mit schlechtem Gewissen hatte herhalten müssen.

„Wirklich, er gehört mir nicht. Ich habe meinen Nachbarn verprügelt, weil er den Hund misshandelt hat, und jetzt sind wir hier.“

„Wie heißt er denn, der Hund?“

„Mistvieh … äh, ich meine, er hat keinen Namen. Für meinen Nachbarn ist er nur der Köter oder das Mistvieh.“

„Sie werden ihn zu seinem Eigentümer zurückbringen müssen.“

Daran hatte Gerit noch nicht gedacht. Er biss sich auf die Lippen und schüttelte den Kopf.

„Das kann ich nicht verantworten. Der ändert sich doch nicht.“

„Was wollen Sie stattdessen tun?“

Gerit überlegte kurz. „Kann ich den Hund für eine Nacht hierlassen, quasi unter Beobachtung, dass wirklich nichts gebrochen ist?“

„Das lässt sich machen und kostet nicht viel. Wenn Sie wollen, kann der Hund auch zwei Tage lang bleiben, bis wir sicher sind, dass er keine weiteren Verletzungen hat. Gehen Sie zum Desk, damit man Ihre Personalien aufnimmt und machen Sie einen Termin, wann Sie den Hund abholen wollen. Bis dahin haben Sie genügend Zeit, einen hübschen Namen für ihn zu finden.“

Gerit tätschelte dem Hund zum Abschied den Kopf. Als er die Praxis verließ, hatte er keine Ahnung, wie er das Problem innerhalb von achtundvierzig Stunden lösen sollte.

.*.*.*.*.*.
Ilka-Maria ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 07.06.2018, 07:19   #2
weiblich DieSilbermöwe
 
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Hallo Ilka,

spannend geschrieben und den Tierfreunden wird es schier das Herz umdrehen, wenn sie die Geschichte lesen.
Ich hätte ja eine Lösung für Gerrits Problem: den fiesen Hundebesitzer wegen Tierquälerei anzeigen. Dann darf er den Hund wohl kaum behalten.

LG DieSilbermöwe
DieSilbermöwe ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 07.06.2018, 08:09   #3
weiblich Ilka-Maria
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Zitat:
Zitat von DieSilbermöwe Beitrag anzeigen
Ich hätte ja eine Lösung für Gerrits Problem: den fiesen Hundebesitzer wegen Tierquälerei anzeigen. Dann darf er den Hund wohl kaum behalten.
Richtig, Silbermöwe. Nur ist das nicht so einfach. Nach meiner Recherche kann man mit dem Tierschutzbund Kontakt aufnehmen, um sich zu erkundigen, wie eine Anzeige funktioniert. Zutändig dafür ist das Veterinäramt, der Tierschutzbund darf keine Anzeigen entgegennehmen. Voraussetzung für eine Anzeige ist, dass man genügend Beweismittel zusammengetragen hat, damit die Verantwortlichen des Veterinäramtes in Aktion treten können, Gerit müsste also Protokoll führen, Fotos machen, Zeugen beschaffen.usw. Er hat aber nichts dergleichen, weil die Situation noch zu frisch ist, d.h., er braucht Zeit, um seine Rettungsaktion durchzusetzen. Bis dahin bleibt der Hund in der Gewalt seines Eigentümers und könnte, ehe Gerit zum Erfolg kommt, ein Krüppel oder tot sein. Ämter sind oft wie Gottes Mühlen: Sie mahlen langsam.

LG
Ilka
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