Vertraue mir

[Ringelroth]

Er kam in der Nacht und flüsterte:
" Ich bin dein Schutzengel. Vertraue mir."
Dann kroch er zu ihr ins Bett.
Sie war gerade neun.
Seit damals konnte sie nie wieder an Engel glauben.

[-33-]

Gut, dass er nicht gesagt hat, dass er der Osterhase sei.

[Thing]

Hallo, Ringelroth -

mir ist das irgendwie fremd.
Wir glaubten selbst mit vier Jahren weder an Schutzengel, noch an den Osterhasen noch an den Nikolaus -

aber daran, daß wir im Verband der Familie gut geschützt waren.


Wenn ich bedenke, daß es heute nicht ungewöhnlich ist, wenn Mädchen bereits mit 13 Jahren schwanger werden, kann ich mir nur s e h r mühsam vorstellen, daß eine Neunjährige sowohl an Schutzengel glaubt als auch einen wie auch immer gearteten Mann im Bett duldet, der ihr natürlich k e i n Schutzengel ist.

Wo waren denn derweil die Eltern? Und wenn es der Papa war - ab wann beginnt denn in Familien die Aufklärung (ruf nach Mutti, wenn Vati in Dein Bett will!)?


LG
Thing

[simbaladung]

Hallo, Ringelroth,

die Reaktionen auf deine Zeilen find ich etwas befremdlich.

Da es sich ja offensichtlich um Missbrauch handelt, befällt mich einfach ein Grausen. Wenn man dazu noch weiß, dass die meisten Täter innerhalb der Familie zu suchen sind (also eigentlich Beschützer der Kinder sein sollten - (ich denke auf diesen Zusammenhang wolltest du auch hinaus), kann ich nur den
Kopf schütteln.

lg simba

[Thing]

Zitat von simbaladung

die Reaktionen auf deine Zeilen find ich etwas befremdlich.

Da es sich ja offensichtlich um Missbrauch handelt, befällt mich einfach ein Grausen. Wenn man dazu noch weiß, dass die meisten Täter innerhalb der Familie zu suchen sind (also eigentlich Beschützer der Kinder sein sollten - (ich denke auf diesen Zusammenhang wolltest du auch hinaus), kann ich nur den
Kopf schütteln.

lg simba

Wieso?
Genau d a s habe ich angesprochen.
Es liegt doch an den Wegguckern, an den Nicht-Aufklärern, an den "ach-er-hat-dich-doch-nur-lieb"-Sagern, daß so etwas geschehen kann.
Wieviel Naivität exisitiert denn heute noch in den Familien, daß so etwas geschehen kann?

Bei Mädchen sollte zumindest die in dieser Richtung witternde Mutter dem familiären Mißbraucher via Anwalt oder Polizei Einhalt gebieten.

Ich schüttle auch den Kopf.

[Ringelroth]

Der erste Kommentar löste auch bei mir Kopfschütteln aus, denn entweder hat
33 nicht verstanden, um was es in meinem Beitrag geht, oder ihm/ihr ist das Thema Wurscht.
Thing geht m. E. zu sehr von seinem eigenen Umfeld aus. Nicht jede Familie ist eine Trutzburg, in der die Mitglieder, insbesondere die Kinder, sorgsam behütet und aufgeklärt sind. Und ob nun ein neunjähriges Kind an Schutzengel glaubt, oder ein fünfjähriges die Existenz von Schutzengeln, oder des Nikolaus oder des Osterhasen als Lüge von Erwachsenen überführt hat, ist irrelevant.
Es wird jedem einigermaßen vernunftbagabten, empathischen Leser klar sein, um was es in den fünf Zeilen geht: um den größten Vertrauensbruch, den ein Kind jemals erfahren kann.
Über das Wie einer Vermeidung einer solchen Situation kann man sicherlich diskutieren, aber darum geht es in dem Text nicht.
Gruß
Ringelroth

[Thing]

Ich habe Dich keineswegs mißverstanden, Ringelroth,
aber ich gehe nicht nur von meinen (frühkindlichen) Umfeld aus.
Eher von der doch heutzutage täglich stattfindenden Aufklärung, Warnung, Offenlegung, Information (Medien!).

Sehen die Schutzengel heutzutage nicht eher wie Frodo oder Harry Potter (Jünglinge, keine Väter!) aus?

[Ringelroth]

Hallo Thing,
laut Focusbericht vom Mai 2012 gab es im Jahr 2011
12444 Fälle von Missbrauch - von der Dunkelziffer ganz zu schweigen.
Das sind pro Tag mehr als 34 Taten, die bekannt wurden.
Und es werden jährlich mehr!
Trotz Aufklärung, trotz Warnung, trotz Information.
Und das Perfide daran ist, dass die allermeisten Fälle innerhalb einer Familie, oder zumindest im nahen Umfeld einer Familie geschehen.

Ich denke nicht, dass unseren Kindern der Begriff "Schutzengel" fremd ist.
Außerdem passt er besser in die bewusste Zeile als Harry Potter oder Spiderman
Gruß
Ringelroth

[Thing]

Traurig genug!

Woran hapert es denn?

[simbaladung]

Ja, warum steigen die Zahlen?

Ich formulier mal ganz vorsichtig ein paar Gedanken dazu:

- weil immer mehr Menschen aufgrund der hohen Anforderungen und Erwartungen ihre Minderwertigkeitsgefühle und Frustrationen durch Machtspiele
(Gewalt, auch sexueller) mit Schwächeren u.a. auch im häuslichen Bereich zu kompensieren versuchen?

- weil die Hemmschwelle allgemein durch Medien (Filme, Videospiele, entsprechende Musik) immer mehr sinken/fallen?

Ich denke, dass da viele Faktoren mitspielen und man immer den Einzelfall sehen muss. Belegt ist mittlerweile auch, dass viele Täter in ihrer Kindheit selber Opfer waren und nicht zu einer verantwortlichen, sexuell reifen Persönlichkeit gefunden haben. Das soll natürlich keine Entschuldigung sein, nur eine Feststellung.

Wie gesagt, nur ein paar persönliche Gedanken.

simba

[Ilka-Maria]

- weil die Hemmschwelle allgemein durch Medien (Filme, Videospiele, entsprechende Musik) immer mehr sinken/fallen?

Interessant. Da frage ich mich, weshalb ausgerechnet bei den rückständig lebenden Amish der sexuelle Mißbrauch von Kindern so fleißig betrieben wird.

[MuschelIch]

Gut, daß die Amish nicht auch noch Fernsehen haben,
dann wäre das ja noch extremer

[Ilka-Maria]

Liebe MuschelIch,

es ist eine Tatsache und vielfach belegt, dass der Rechtsschutz für Kinder erst in den letzten zweihundert Jahren entwickelt wurde, davor waren Missbrauch, Versklavung, Ausbeutung, Züchtigung und die Ermordung von Babys an der Tagesordnung, innerhalb und außerhalb von Familien. Selbst Philosophen, angefangen im antiken Griechenland bis hin zu Amir sahen in Kindern keine schätzenswerten Wesen.

So schrieb z.B. Plutarch: "Nichts ist so unvollkommen, so hilflos, so nackt, so formlos und so widerlich wie ein Mensch, den man bei der Geburt beobachtet ...; aber wer so mit Blut besudelt und mit Schmutz bedeckt ist, wenn er mehr einem gerade geschlachtete als einem gerade geborenen Menschen ähnelt, ist er für niemanden ein Gegenstand, den man berühreren oder hochheben oder küssen oder umarmen möchte ..."

Den Kindern, je kleiner sie noch waren (besonders gilt das für Babys), wurden sogar jegliche Gefühle abgesprochen; damit standen sie auf der gleichen Stufe wie Tiere.

Mir ist allerdings nicht bekannt, dass in jenen Zeiten das Fernsehen eine Rolle dabei gespielt haben könnte, und zwar aus einem einfachen Grund: Es war noch nicht erfunden. Die Rolle des Fernsehens als große Verführung ist ohnehin umstritten, da empirisch nicht belegbar. Aber es ist ja so einfach und mühelos, sich einen Beelzebub herauszusuchen, der stammtischtauglich ist.

Seltsamerweise hat noch nie jemand die Literatur für das Verhalten von Menschen haftbar gemacht, obwohl in der Weltliteratur viel über Greueltaten geschrieben wurde.

Deine Anmerkung, wenn die Amish Fernsehen hätten, wäre es noch schlimmer, ist zwar nicht beweisbar, aber für jemanden, der wie Du gerne schnell mal aus der Hüfte schießt, ziemlich zynisch. Bei den Amish ist es nämlich deshalb schlimm, weil sie sich unter den Schutz ihrer Religion stellen und sich als geschlossene Gesellschaft präsentieren, in die Außenstehende kaum eindringen können. Ein bißchen Fortschritt und Medienaufklärung täte ihnen bestimmt recht gut, ebenso mehr Kontrolle durch die für mein Empfinden zu toleranten Vereinigten Staaten von Amerika, die hier Religion vor Recht ergehen lassen.

Aber die Amish sind nur ein Beispiel. Du kannst durch so manches afrikanische Land streifen und findest die gleichen Verhältnisse vor. Je unterentwickelter (und fernsehfreier) ein Land ist, umso schlimmer der Umgang mit den Kindern.

Bevor Du also unhaltbare Thesen aufstellst, empfehel ich Dir die Lektüre von "Geschichte der Kindheit" von Philippe Ariès oder "Gewalt - Eine neue Geschichte der Menschheit" von Steven Pinker. Es lohnt sich.

Tatsächlich ist in den letzten zweihundert Jahren und ganz besonders seit 1950 Gewalt gegen Kinder, egal in welcher Form, stark zurückgegangen. Allerdings mit einer Einschränkung: Exakte Zahlen sind nicht ermittelbar, weil die Erwachsenen mehr lügen und vertuschen als früher. Gewalt gegen Kinder ist nicht mehr so gesellschaftsfähig, dass man, wie das früher der Fall war, Kinder mit Verletzungen auf die Straße schickte, ohne dass jemand daran Anstoß genommen hätte. Es war eben ganz normal.

Mit den modernen Medien hatte das nicht die Bohne zu tun.

[Rehti]

Ich stimme dir zu, Ilka-Maria. Mich wundert es auch, wie schnell die Medien als Ursache für (scheinbar) steigende Gewalttaten vermutet werden. In den letzten Jahren war das ja vor allem bei Amokläufen der Fall (in Bezug auf bestimmte Musik und vor allem die so genannten "Killerspiele").

Ein Widerspruch dann aber doch:

Seltsamerweise hat noch nie jemand die Literatur für das Verhalten von Menschen haftbar gemacht, obwohl in der Weltliteratur viel über Greueltaten geschrieben wurde.

Das ist (leicht nachprufbar) falsch.

[Ilka-Maria]

Gewalt ist auf dem Rückmarsch. Dem werden sich auch diejenigen Kulturen zu beugen haben, die immer noch meinen, mit Gewalt seien ihre Probleme zu lösen. Eine zeitlang mag das noch funktionieren, aber der größte Teil der Menschheit will in Frieden und Berechenbarkeit leben. Und das ist heute machbar, wie an vielen Beispielen festgemacht werden kann. Zum Beispiel an Europa: 67 Jahre kriegsfrei. Wann hatte es das vorher gegeben?

für (scheinbar) steigende Gewalttaten

Genau. Und die Betonung liegt auf "scheinbar".

Ich bin jedenfalls heilfroh, heute leben zu dürfen, statt fünfhundert oder tausend Jahre zuvor.

[MuschelIch]

Zitat von Ilka-Maria

aber für jemanden, der wie Du gerne schnell mal aus der Hüfte schießt.

Ein unvergessliches Erlebnis : http://www.youtube.com/watch?v=SGbXqqRiAPE

Ich bin sicher einer von den vier Bösen - dann kannst Du der Sheriff sein!

MuschelIch