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10.02.2013, 11:39 | #1 |
Forumsleitung
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Die Neue
Alltag heißt Schultag.
Erste Pause nach zwei Schulstunden. Schnell geht die Viertelstunde vorüber, und sekundengenau schrillt die Uhr von halber Höhe des Gebäudes über den Hof. Wir stellen uns auf, spazieren in Zweierreihen in das Treppenhaus und steigen hinauf in den dritten Stock, das Krakeelen der jüngeren Schüler im Rücken, die in den unteren Klassenräumen unterrichtet werden. Wir sind schon in der Neunten, danach trennt uns nur noch ein Schuljahr vom Abschluss der Mittleren Reife. Spätestens jetzt hat jeder von uns kapiert, dass es gilt, kräftig Koks ins Feuer zu legen, um das Verbummelte aus den vorhergehenden Jahren aufzuholen. Nie zuvor sind wir so fleißig, diszipliniert und artig gewesen wie in dieser letzten Phase unseres Schullebens. Unter viel Geschnatter erreichen wir unseren Klassenraum und nehmen unsere Plätze ein, da stürmt auch schon unser Fachlehrer für Deutsch und Geschichte herein, knallt seine Aktentasche auf das Pult, kramt unsere Din-A4-Hefte hervor, knallt sie ebenfalls auf das Pult und brüllt in den Raum: „Was habt ihr mir da wieder für eine Arbeit abgeliefert?“ Dann lässt er sich schwer auf seinen Stuhl fallen, als habe er gerade eine vergebliche Anstrengung hinter sich gebracht. Wir sitzen wie die Duckmäuser da, weil sich niemand angesprochen fühlt (und wer doch, lebt immer noch von der Hoffnung). Da erhebt sich inmitten dieser Todesstille von einem Platz in den hinteren Reihen eine Mitschülerin, die mir fremd ist. Eine Neue. Offensichtlich im Gymnasium versagt und jetzt zu uns in die Klasse gesteckt, um wenigstens die Mittlere Reife zu schaffen. Aber was macht sie? Wie kann sie während des Unterrichts aufstehen, ohne einen Grund genannt und um Erlaubnis gebeten zu haben? Mit Kurzhaarfrisur, das linke Auge von einem langen Seitenpony völlig verdeckt, die Oberschenkel in knallengem Rock und die Füße in mindestens zehn Zentimter hohen Stöckeln schwingt sie ihre Hüften oscar-nominierungsreif auf das Pult zu, setzt sich mit einer Hinterbacke auf dessen Rand, wirft mit einer aufreizenden Armbewegung eine Papierkugel in den Abfallkorb, der neben der Tafel steht, und senkt nach einem letzten Lidaufschlag ihren Blick tief in die Augen unseres Lehrers. Der ist in diesen wenigen Sekunden so blass geworden, dass sich die braunen Altersflecken in seinem Gesicht dunkler als gewöhnlich abheben. Aber er hält dem Blick der Neuen stand, wenngleich sprachlos und mit reichlich konsternierter Miene. Ein erstes Kichern in der Klasse unterbricht die Spannung, gefolgt vom Lachen und dem Beifall der Eingeweihten: „Bravo, Kookie!“ Jetzt geht auch unserem Lehrer der Seifensieder auf, und er beginnt zu schmunzeln. Streiche sind ihm nicht fremd, aber dass ein Junge den Mut hat, ihn im gewagtem Outfit einer Schulkameradin „anzumachen“, ist ihm in seinem langen Berufsleben noch nicht vorgekommen. Erleichtert darüber, dass sich der vermeintliche Konflikt in Wohlgefallen aufgelöst hat, kann die schlecht ausgefallene Klassenarbeit nunmehr bei gelöster Stimmung besprochen werden. Und wie meistens stellt sich auch diesmal wieder heraus: Gar so schlimm wie befürchtet ist die Durchschnittsnote am Ende doch nicht. 10. Februar 2013 by Ilka-Maria |
10.02.2013, 12:05 | #2 |
R.I.P.
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Liebe Ilka-Maria -
das liest sich, als sei es keine Dichtung, sondern Wahrheit. Netter, frecher clou! LG Thing |
25.02.2013, 02:02 | #3 |
Ich habe beim Lesen der Geschichte das erste Mal nach langer Zeit wieder gelächelt. Die Geschichte wirkt so gar nicht konstruiert. Ich hatte meinen Spaß.
LG Paula |
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26.02.2013, 02:11 | #4 |
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Was für eine einfältige Story!
Ein lyrisches Ich aus den 50ern des vorigen Jahrhunderts, eine Streberin, die sich in Zweierreihen stellt und dennoch so von der Klassengemeinschaft ausgegrenzt ist, dass sie nicht mal mitkriegt, dass ein Lehrer mit großem Effort auf die Rolle genommen werden soll. Armes Ding! Sie hält das Leben neben dem Schulalltag und ihrer Streberei für „Verbummeln“. Wieso wird man, wenn man sich nicht angesprochen fühlt, zum „Duckmäuser“? Wer sich nicht angesprochen fühlt, braucht sich doch nicht zu ducken! In einer nach Kernseife riechenden Zeit, in der man noch in Zweierreihen in der Realschule unterwegs war, war Travestie ein Fremdwort. Hier einen derartigen „Streich“ zu verorten, ist literarisch etwa so sinnvoll, wie zu behaupten, der Osterhase habe der Klasse einen Besuch abgestattet und der HErr Lehrer habe im ersten Moment auch an ihn geglaubt. Haha, wie lustig! Die Autorin wird uns jetzt gleich damit kommen, dass dies ganz genauso in ihrer Dorfschule passiert sei und dass sie diejenige gewesen sei, die nicht mit dabei war, als sich der „Schöler“ auf dem Lokus umgezogen habe: Man habe sie nicht teilhaben lassen. Das wäre der eigentlich interessante Aspekt an der banal erzählten „Geschichte“ gewesen. Leider hat die Autorin das nicht erkannt. Hauptsache scheint dem Lyrich zu sein, im Hausaufsatz ein „befriedigend“ bekommen zu haben. Worüber der wohl ging? |
26.02.2013, 08:21 | #5 |
Forumsleitung
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Danke, R&P, für's Lesen.
Z: Dorfschule: falsch. 50er Jahre: falsch. Banal: richtig - wer will schon ernsthaft Ärger? |
26.02.2013, 10:13 | #6 |
abgemeldet
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Wenn die Autorin nicht möchte, dass der Leser ihre einfältige "Geschichte" in die 50er verortet, sollte sie die strebsamen Realschülerinnen nicht mehr in Zweiereihen durchs Treppenhaus schicken. So waren sie in den 60ern zwar auch noch unterwegs, aber nur in den Dorfschulen.
Erstaunlich die Frage der Autorin: "Wer will schon ernsthaft Ärger?" In ihrem G'schichterl kommt eine Märchenfigur vor, die's (scheinbar) drauf ankommen hat lassen. Wahrscheinlich war das lyrische Ich sterblich in diesen "Cookie" (der Spitzname eines Typen aus der 50/60er-Jahre-Ami-Serie "77 Sunset Strip") verknallt und hat sich in seine Arme geträumt, während vorn der Frontalunterricht tobte. Armes Hascherl. Auch wenn gerade darüber diskutiert wird: SitzenbleiberInnen wird's immer geben. |
26.02.2013, 15:46 | #7 |
Forumsleitung
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Na siehste, mit deinen Phantastereien und deinem Besserwissen (scheinst dich auf dem Dorf ja gut auszukennen) hältst du mein Geschichtchen schön im Fokus.
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26.02.2013, 17:48 | #8 |
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Es ist schließlich ein Literaturforum, und alle wollen lernen. Du nicht?
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26.02.2013, 18:09 | #9 |
Forumsleitung
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Doch, das tue ich pausenlos. Aber nicht von dir.
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26.02.2013, 19:20 | #10 |
abgemeldet
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Wer weiß?
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28.08.2016, 15:53 | #11 | |
R.I.P.
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Zitat:
Aber gut, daß mir das Geschichterl nochmals über den Weg gelaufen ist! Das ist so echt und unverbrämt, daß sich jeder G'schichterl-Erzähler eine Scheibe davon abschneiden kann. Irgendwie erinnert mich url ans Zonkerl. Lieben Gruß von Thing Geändert von Thing (28.08.2016 um 21:14 Uhr) Grund: Tippfehlerkorrektur |
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28.08.2016, 21:02 | #12 |
Forumsleitung
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Mich nicht.
Der Admin schrieb mir mal, der Zonkerl (damals unter dem Namen seiner Erstanmeldung) könne ein Gewinn für das Forum sein, wenn ... Ja, wenn er nicht solch ein Stänkerer gewesen wäre. Der hatte einen guten Schreibstil und einen messerscharfen Verstand, aber leider den falschen Ton, mit dem er jedem vor den Kopf stieß. Deshalb flog er mehrmals aus dem Forum raus, bis er aufgab. Mein kleines, harmloses Geschichtchen ... nur eine Erinnerung an ferne Zeiten. Ab und zu spielten wir den einen oder anderen harmlosen Streich. Den Blick des Lehrers werde ich nicht vergessen, aber er ist schwer zu beschreiben. Um ihn nachzuahmen, bedürfte es eines Schauspielers der Spitzenklasse. Ob die Schüler für solche Späße heute noch Zeit haben? Immer wieder lese ich in der Zeitung, sie seien furchtbar überfordert - 36-Stunden-Woche usw. Wir hatten zu meiner Zeit mehr, fast 45 Stunden (Schulstunden à 45 Min., wohlgemerkt), also auch Nachmittags- und Samstagsunterricht. Wie das bei meinem Sohn in den 70er/80er Jahren war, habe ich vergessen, aber beklagt hatte er sich nie. Keine Ahnung, was heute an den Schulen los ist, aber ich bin froh, dass ich mit diesem Betrieb nichts mehr zu tun haben muss. Man liest ja nur noch von Druck und Überbelastung, auch bei den Lehrern. LG Ilka |
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