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Alt 27.12.2019, 18:08   #1
männlich Eisenvorhang
 
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Standard Kitsch

Da mir im Moment ziemlich langweilig ist, kopiere ich einen Beitrag von mir aus einem anderen Forum und stelle ihn hier zur Diskussion!
(Das Aufzeigen von Rechtschreibfehler vernehme ich als Argumentationslosigkeit in dem Fall)

---

In letzter Zeit fällt mir vermehrt die Kritik gegenüber dem Kitsch-Begriff auf. Und ich frage mich immer wieder was damit wohl gemeint sein könnte, auch weil es mich und meine Entwicklung selbst tangiert. Also habe ich mich auf die Suche begeben:

Google meint:

A)
Ein Kunstprodukt (besonders Gegenstand aus dem Bereich des Kunstgewerbes, Musikstück, Film o. Ä.), das in Inhalt und Form als geschmacklos und meist als sentimental empfunden wird

Geschmacklos und sentimental - nun frage ich mich, was die Lyrik ohne ein Seelensentiment (neolog) wäre?
Also ist Kitsch auch Form- und Inhaltgebunden? Kann also ein Sonett in der Form kitschig sein? Welche Form wäre demnach kitschig? Kitsch ist also auch inhaltsgebunden. Schrieben nicht alle liebenden, leidenden und wissenenden Dichter gefühlvolle Gedichte? Selbst die, die rational veranlagt waren wie Nietzsche?

O Mensch! Gib Acht!
Was spricht die tiefe Mitternacht?
»Ich schlief, ich schlief –,
Aus tiefem Traum bin ich erwacht: –
Die Welt ist tief,
Und tiefer als der Tag gedacht.
Tief ist ihr Weh –,
Lust – tiefer noch als Herzeleid:
Weh spricht: Vergeh!
Doch alle Lust will Ewigkeit –,
– will tiefe, tiefe Ewigkeit!«

Ach Gott, da wird mir ganz schwer ums Herz!


B)
Kitsch steht zumeist abwertend gemeinsprachlich für einen aus Sicht des Betrachters minderwertigen Gefühlsausdruck. In Gegensatz gebracht zu einer künstlerischen Bemühung um das Wahre oder das Schöne, werten Kritiker einen zu einfachen Weg, Gefühle auszudrücken, als sentimental, trivial oder kitschig.

Wer kitsch schreibt ist also nicht künstlerisch bemüht? Also ist Kitsch auch eine Unterstellung, die sich mit Beweisen nicht widerlegen lässt?
Ich kann also behaupten, jeder, der schreibt ist künstlerisch bemüht aber nicht kitschig, wenn er künstlerisch bemüht ist...
Ich kann also behaupten, jeder, der schreibt und nicht künstlerisch bemüht ist, schreib kitschig.
Alles klar. Verfolgt jede Schift in der Literatur einen künstlerischen Anspruch? Was ist ein künstlerischer Anspruch? Kunst schließt also Kitsch aus?
Wer sich auskennt weiß, dass Kitsch in der Kunst schon lange etabliert ist. (Auch auf hohen Ebenen)

Was ist ein minderwertiger Gefühlausdruck? Wenn ich als Gopnik auf die Straße rotze?
Wenn ich jemanden sage, dass ich ihm lieb hab? Das wäre also kitsch ja? Wie sag ichs der Person auf anderem Wege, damit der Kitsch vermieden wird?
"Du burnst wie trocken Holz?"

Was wäre hier ein origineller Ausweg, um Kitsch zu vermeiden? Ja, das frage ich mich.


Google spuckt mir Bilder von Gartenzwerge, Engelsfiguren, Babys, Kätzchen, Mode, Schmuck und Design aus.
Es fallen Begriffe wie "Trapper-Fred", "Lilane Liane" oder "Feinfühliger Hein".

Okay, also steht hier die künstlerische Bemühung (Was ist das? vgl. Gadamer, Adorno, Heidegger, Benjamin) als solche gegenüber der subjektiven Empfindung eines einzelnen Individuums. Aus dem Umstand der Missempfindung resultiert also Kitsch. Kitsch ist also auch etwas Psychologisches, eine Art Projektion also. Eine Furcht?

"Die Zeit" definiert Kitsch als "unsauberes Wort" -
https://www.zeit.de/1958/06/was-ist-eigentlich-kitsch
Interessant wäre auch auf Youtube folgender Punkt: "Was ist Kitsch? – Teil 1: Der Ursprung des Kitsches in der Romantik"
https://www.youtube.com/watch?v=BjECYEhkojc

Zusammengefasst ist Kitsch also das Produkt einer subjektiven Empfindung gegenüber Sentimentalität und das Missempfinden gegenüber Form, Inhalt, Gefühl und Ausdruck.

Natürlich haben viele Dichter wie Goll eine Menge Kitsch produziert, oder Heine, oder Goethe, oder Rilke... Aber nein, das "Seelensentiment" wird getrennt, weil die großen alten Dichter quasi Kunst produziert haben, weil sie ob ihrer Kompotenz potent waren? Also war ihr Sentiment und Gefühl Kunst und nicht Kitsch.

Natürlich geht es hier auch um die Tools, die jeder Mensch besitzt. Der eine reimt auf "kennt" "brennt" (wie ich ), der andere auf "kennt" "delinquent" - damit will ich auf keine frenetische Polemik abzielen, viel mehr differenzieren, dass sich Kitsch durch Begabung nicht trennen lässt. Also macht es nur Sinn zu sagen, dass Kitsch dem Impetus nach gerichtet ist und nicht nach der Abgehobenheit und Instrumentalisierung der schriftstellerischen Fähigkeiten.

"Eine Rose steht auf der Wiese und steht im Wind, sie sieht schön rot aus
ach, du liebchen, ich habe dich so lieb, weil die Rosen so rot im Wind stehn" Ok, ist Kitsch -
Was aber unterscheidet es von dem?

"lichte, stille Gestalten, -
werden sich alle Rosen im Wind
wie rote Fahnen entfalten."

?

Was macht also Lyrik schön und lässt uns aufblicken?
Das Sentimentale. Zieht euch mal die Meerbaum rein!

Und wie ich finde, sollte man hier genauer differenzieren zwischen Lyrik, Poesie und Dichtung.
Von der Theorie habe ich keinen Plan, ich reime mir das hier alles zusammen, mir ist aber im Moment langweilig.

Nehmt den alten Dichtern ihr Herz und ihr Leid weg, was wäre dann?
Was dichtet dann ihr Herz ab? Lyrik funktioniert nicht ohne Sentimentalität! Sie funktioniert nicht ohne Form und auch nicht ohne Inhalt. Wobei: Wenn ich im Ethikkurs leere Blätter als Aufsatz zum Thema Mut abgebe?
Das wäre doch eine mögliche diskutable Form von Kitsch, oder?

Wenn hier also jemand ein einfaches und schlichtes Liebesgedicht schreibt ist das also Kitsch?
Ist das eine Unreife und tiefe Furcht gegenüber einen offenen Umgang mit Gefühle? Rein nach dem Motto: "Du darfst nicht weinen?".

Ist das eine Furcht vor der eigenen verborgenen homosexuellen Seite jener, die Kitsch kritisieren?

Ich will nicht falsch verstanden werden, weder will ich eine forcierte Aufmerksamkeit provozieren, weder polarisieren, wie gesagt: Mir ist langweilig -
denn genaugenommen kann Kitsch in der Lyrik und Dichtung überhaupt nicht vorkommen. Ja gut, Schlagerlieder, die über die schönen Schuhe von Maria handeln vielleicht. Aber nein, eigentlich auch nicht. Denn wieso mögen so viele alte Menschen Schlager? Bedeutet das vielleicht, dass der heutige Intellektuelle etwas verkappt sein könnte? Und hier wäre auch folgende These spannend: Können Intellektuelle überhaupt Lyrik produzieren? Arno Schmidt hat Gedichte belächelt!


Für mich persönlich wird es interessant, wenn Kitsch Form und Inhalt meint. Wenn Lyrik mit dem Ziel geschrieben wird Geltung und Aufmerksamkeit zu finden und Originalität zu erzwingen.
Und was bedeutet originell zu schreiben: "beispielslos, einmalig, erstklassig, ohnegleichen aber auch befremdlich, kauzig und drollig" Origienell zu sein heißt also nicht zwingend etwas Gutes etc. pp. Die Liste ist lang.

Rilke schrieb in einem seiner Gedichte über "die armen Worte, die im Alltag darben" und da liegt der Hase begraben.
Selbst Rilke lastete man damals Kitsch an, genau wie Goll...
Ich verstehe nicht woher die Angst und Unreife rührt vorurteilsfrei Lyrik zu begegnen und irgendwie habe ich das Gefühl, dass es sich hierbei um ein Angstargument handelt; der moderne Mensch Gefühle zunehmend fürchtet und auch das Umfeld, in dem sie vorzufinden sind.

Ich finde, dass der Begriff Kitsch in der Lyrik nichts zu suchen hat, man sollte das Wort proskribieren oder neudefinieren: "Ein Ausdruck für eine ungereifte und unentwickelte Empfindung" - dafür passt es gut ins Wohnzimmer oder in die Idealvorstellungen von Poeten, die originelle Dichtung produzieren und bevorzugen!
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Alt 27.12.2019, 19:05   #2
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Kitsch gibt es nicht. Es gibt nur Wertungen. Wertungen, wenn sie wertvoll sind, sind vom Herzen gelenkt.

Mein kleiner Sohn hatte von seinem ersten Kleingeld aus einem Kaugummiautomaten einen Anhänger gezogen und ihn mir stolz geschenkt. Es war ein rundes Stück Blech mit einer roten Rose als Motiv, das er aufregend schön fand. Ich habe mich nie gefragt, ob es Kitsch, Tand oder sonstwas ist ... für meinen vierjährigen Sohn war es ein Schatz, mit dem er mir seine Liebe bezeugte.

Wer fragt da noch nach "Kitsch"?

ich hatte diesen Anhänger lange aufbewahrt, bis er verbeult war und mein Sohn ihn vergessen hatte. Er war mir mehr wert als all der Schmuck, der an mich gehängt wurde und den ich mittlerweile weiterverschenkt habe, weil alle damit einhergehenden Schwüre leeres Geschwätz waren. Ich war im Endeffekt der Kitsch, den man wie einen Christbaum schmückte, nur war ich ohne Botschaft, und mein wahrer Wert war nicht gefragt.

Ich habe meine Lektion gelernt: Was für mich Kitsch und was für mich wertvoll ist, bestimme ich schon lange selbst. Die Formel ist ganz einfach: gefällt oder gefällt nicht. Warum sollte ich mich Leuten beugen, die mir vorschreiben, was gefällig zu sein hat und was nicht?
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Alt 27.12.2019, 19:22   #3
männlich Eisenvorhang
 
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Zitat:
Zitat von Ilka-Maria Beitrag anzeigen
Ich war im Endeffekt der Kitsch, den man wie einen Christbaum schmückte, nur war ich ohne Botschaft, und mein wahrer Wert war nicht gefragt.

Ich habe meine Lektion gelernt: Was für mich Kitsch und was für mich wertvoll ist, bestimme ich schon lange selbst. Die Formel ist ganz einfach: gefällt oder gefällt nicht. Warum sollte ich mich Leuten beugen, die mir vorschreiben, was gefällig zu sein hat und was nicht?
Das Fettgedruckte ist ein sehr wertvoller Gedanke. Auch wenn wir uns hin und wieder bekriegen, im gleichen Maße schätze ich auch hin und wieder deine Gedanken. Der Gedanke ist sehr interessant, ich danke dir dafür.

Ich wehre mich gegen den Begriff, weil das Wort wirklich negativ konnotiert ist respektive als Abwertung dient. Dabei besitzt es einen sehr neutralen Ursprung. Auch zeigt es mir, wie viel Menschen unbedacht mit Sprache umgehen, aber auch, wie schwarze Rhetorik wirkt... Man manipuliert nicht mehr um die "Ecke", wie es früher im Adel der Fall war, sondern greift direkt an.

Es gibt eine Serie... Dort sagt eine Kreatur: "Lyrik ist, ohne ein Wort das leidet, ohne ein Wort das fühlt, tot."
Und das ist doch auch der Antrieb der Leute, die sich in Foren anmelden oder jenseits von Foren schreiben.
Das zu transportieren, was in ihnen wohnt und die Besten machen sich vor dem Schreiben eine Platte und ordnen ihr Herz und es wird gut.
Dann gibt es noch die, die Lyrik als Egobeweihräucherung benutzen und glänzen wollen: sowas ist immer schrott (Wenn man feinfühlig zwischen den Zeilen liest, was aber nicht jeden auffällt..)

Wegen der kleinen Story mit deinem Sohn: Wo bleibt das Gedicht?
Klingt nach einem Zweistropher in meinen Ohren und viele Zweistropher hast du ja noch nicht geschrieben.

vlg

EV
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Alt 27.12.2019, 19:32   #4
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Zitat:
Zitat von Eisenvorhang Beitrag anzeigen
Wegen der kleinen Story mit deinem Sohn: Wo bleibt das Gedicht?
Klingt nach einem Zweistropher in meinen Ohren ...
Schreib du es!
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Alt 27.12.2019, 20:19   #5
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Gut! Wird aber etwas dauern...

Edit: es wird kein Zweistropher.
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Alt 28.12.2019, 00:20   #6
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Zitat:
Zitat von Eisenvorhang Beitrag anzeigen
... und viele Zweistropher hast du ja noch nicht geschrieben.
Nee, meistens läuft es auf Kreuzreime hinaus. Am liebsten habe ich aber den umarmenden Reim.
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Alt 28.12.2019, 00:55   #7
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Dann ran an die Tasten, dass klassische Sonett erwartet dich mit offenen Armen!

)
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Alt 28.12.2019, 00:59   #8
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Zitat:
Zitat von Eisenvorhang Beitrag anzeigen
Dann ran an die Tasten, dass klassische Sonett erwartet dich mit offenen Armen!

)
Habe doch schon einige geschrieben.
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Alt 28.12.2019, 01:14   #9
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Nicht faul werden!
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Alt 28.12.2019, 01:24   #10
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Zitat:
Zitat von Eisenvorhang Beitrag anzeigen
Nicht faul werden!
Nun aber mal doucement . Ich habe noch ein halbes Jahr vor mir, in dem ich mich mit diversen literarischen Disziplinen herumschlagen muss, und jetzt ist erst einmal zwei Monate lang "Schreiben fürs Theater" angesagt. Außerdem liegt hier noch ein Roman, den ich veröffentlichen will, aber dazu muss ich noch die Vorarbeiten leisten, z.B. Inhaltsangabe, Personenbeschreibungen, Anfertigung des Covers usw. Da muss die Lyrik zurückgestellt werden.

Abgesehen davon türmt sich die Literatur, die noch gelesen werden will. Bin heute von einem Stadtbummel wieder entgegen all meiner Schwüre mit einem neuen Buch und einer Movie-DVD nach Hause gekommen. Die reine Sucht ...
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Alt 28.12.2019, 01:46   #11
männlich Eisenvorhang
 
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Ich hab mir heute zwei Bücher von der Meerbaum gekauft.
Die war unglaublich begabt.

Ansonsten gehts mit Faulheit ins neue Jahr!
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Alt 28.12.2019, 08:10   #12
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Meiner Ansicht nach ist der Kitschbegriff zunächst ein Geschmacksurteil.

"Kitsch ist der kürzeste Weg", hatte ich mal jemanden sagen hören, und das trifft es gut, denke ich.

Sonnenuntergang -- fertig ist die Romantik.

Gartenzwerg -- fertig ist die Gemütlichkeit.

Aber es ist Geschmackssache, und das Streckenmaß ist immer auch von der intellektuellen Brennweite abhängig. Wer zum ersten Mal drei Meter Feldweg vor sich sieht, mag fasziniert sein. Für den ist das kein Kitsch. Aber wenn der Mensch sich weiterentwickelt, und im Leben tausende Sonnenuntergänge gesehen hat, braucht er neue, verblüffendere Hirnnahrung. Die Kitsch-Latte wird dann ... naja nicht immer höher ... aber immer wieder woanders platziert. Um den bekannten Weg nicht zu verkürzen.

Von einem Kind einen banalen Gegenstand geschenkt zu bekommen, ist natürlich keine kitschige Angelegenheit. Da zählt freilich nur die liebenswerte Absicht des Kindes; der Gegenstand selbst ist dabei völlig irrelevant, und deshalb stellt sich hier die Kitschfrage erst gar nicht.


P.
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Alt 28.12.2019, 12:47   #13
männlich Eisenvorhang
 
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Hallo Pjotr,

danke für deinen Beitrag.

In welchem Zusammenhang steht "ist der kürzeste Weg" zu "Sonnenuntergang?"

Und Gartenzwerge stehen für Gemütlichkeit? Deine Gedanken dahinter würden mich interessieren. Was erzeugt ein Gartenzwerg, wenn er im Garten steht und warum stellt man sich Zwerge in den Garten?

Ich bin bereits durch einige Straßen Deutschlands gelaufen und schaute mir Gärten an und ich hatte nach einer Weile das Gefühl, dass ein Garten einer Kunstaustellung gleicht. Mit dem Thema hat sich beispielsweise die deutsche Bloggerin, Germanstin und Künstlerin Annekathrin Kohout beschäftigt.

Du sagst, Kitsch sei ein Geschmacksurteil, ich glaube ich liege nicht falsch, wenn es sich um ein Geschmacksurteil handelt, das abwerted.

Deswegen die grundlegende Frage: Warum ist das so?
Du sagst das eine gefühlvolle Begegnung inflationär sein kann. Die Wahrnehmung und Verarbeitung stumpft ab, man verliert den Reiz, also muss neuer Stoff her. Das gleicht entweder einer Sucht oder großer Unzufriedenheit, bestimmt meiner Meinung nach weder Kitsch, noch liefert es eine Definition.

In der Kunst beispielsweise haben sich einige Künstler bewusst sich des Kitsches bedient. Allein wegen der Ästhetik.
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Alt 28.12.2019, 13:26   #14
weiblich Ilka-Maria
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Die Frage ist auch, ob das, was wir als Kitsch empfinden, kulturbedingt ist. Wenn ich mir in den Stadtvierteln, in denen viele Ausländer leben, deren Läden anschaue, ist ein deutlicher Unterschied zu dem erkennbar, was wir als "ästhetisch" und "geschmackvoll" empfinden. Vasen, Figuren und anderer Nippes, Möbel, Kleidung ... das alles macht auf uns einen billigen Eindruck, wird von Menschen aus anderen Ländern jedoch als supertoll empfunden.

Auch die Mode spielt eine Rolle. Wer erinnert sich noch an die Nierentische, die Cocktailsesselchen, die Blümchentapeten und die pastellfarbenen Küchenmöbel der 50er Jahre, an die bunten weiten Röcke, unter denen man Pettycoats trug, und an die weit geschnittenen Hosen der Männer, die nicht ohne Hut aus dem Haus gingen, oder an die Architektur mit den filigranen Treppenaufgängen?
Ilka-Maria ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 28.12.2019, 13:37   #15
männlich Eisenvorhang
 
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Okay:

Wir haben also folgendes:

Kitsch als Missempfindung gegenüber Inhalt, Form und Sentimentalität.
Kitsch als ein Umstand unserer Wahrnehmung, der auf unser Fühlen inflationär wirkt
Kitsch ist kulturbedingt und entspricht der Wahrnehmungsgewohnheit der jeweiligen Kultur.

Im Grunde beschreiben diese Sachen nur wie Kitsch wahrgenommen wird, aber nicht, was Kitsch ist und warum es Kitsch ist.
Eine Näherung ist allerdings gegeben, in dem behauptet wird:

a) Kitsch muss etwas sein, was eine Missempfindung auslöst in Unabhängigkeit von Form, Inhalt und Gefühl
b) Kitsch muss etwas sein, was uns abstumpfen lässt
c) Kitsch muss ein Resultat einer kulturellen Gewohnheit sein
d) Kitsch ist immer subjektiv

d) ich behaupte: Kitsch ist ein psychologisches Phänomen, das dafür sorgt, dass Dinge in einem normalen und gesunden emotionalen Umfeld unbewusst negativ wahrgenommen werden: Für mich ist Kitsch also ein Angstargument und ein Unzufriedenheitsargument. Man könnte also sagen: Kitsch enttäuscht Erwartungen und Kitsch sorgt für die Konfrontation mit den eigenen Gefühlen, weswegen manche Menschen Kitschigkeit abhorreszieren.
Hier wäre eine Studie sinnvoll gegenüber Menschen, die Kitsch ablehnen und Kitsch mögen.
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Alt 28.12.2019, 13:54   #16
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Zitat:
Zitat von Eisenvorhang Beitrag anzeigen
Kitsch als Missempfindung gegenüber Inhalt, Form und Sentimentalität.
Ist das wirklich so? Kann es nicht sein, dass Kitsch ganz im Gegenteil Wohlbehagen auslöst?

Warum erfreuten sich Heimatfilme nach dem II. WK einer großen Beliebtheit? Was bezauberte die Menschen an "Sissi"? Warum lasen junge Mädchen bis in die 80er Jahre hinein die Romane von Marie-Luise Fischer? Warum war "Heidi" ein großer Erfolg? Was fanden die Magazin-Leser an den Fotoromanen? Woher stammt die "Heftchen"-Kultur, vor allem die Liebes- und Arzt-Heftchen?

Wie sieht es mit Comics aus: Wann sind sie Kunst, und wann sind sie Kitsch? In meiner Jugendzeit galt generell: Das ist Schrott, lies so etwas nicht, das verdirbt den Intellekt. Micky Mouse und Fix & Foxi waren verpönt, aber die Kinder liebten sie - ich auch. Sigurd, Akim, Tarzan, jeder kannte diese Helden, und die schmalen Querheftchen sind heute teure Sammelobjekte. Vom Siegeszug der Asterix-Bände brauchen wir gar nicht erst zu reden.

In meinem Besitz befindet sich ein broschürter Band (Book Three) von Frank Frazetta, den meine Eltern mal in einer Plastiktüte auf einem Gehweg gefunden hatten, inklusive des Kassenbons. Inzwischen ist dieses Book ein von Sammlern gesuchtes Objekt.

Was ist mit der Malerei? Spitzweg - sind dessen armer Poet und der Bücherwurm Kitsch? Oder versteckt sich hinter diesen idyllisch und harmlos anmutenden Bildern vielleicht Gesellschaftssatire, eine unrealistische Sehnsucht nach der heilen Welt?
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Alt 28.12.2019, 14:03   #17
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Zitat:
Zitat von Eisenvorhang Beitrag anzeigen
Hallo Pjotr,

danke für deinen Beitrag.

In welchem Zusammenhang steht "ist der kürzeste Weg" zu "Sonnenuntergang?"

Und Gartenzwerge stehen für Gemütlichkeit? Deine Gedanken dahinter würden mich interessieren. Was erzeugt ein Gartenzwerg, wenn er im Garten steht und warum stellt man sich Zwerge in den Garten?
Moin Eisenvorhang,

"der kürzeste Weg" -- damit meine ich den kürzesten oder einfachsten Transportweg eines Gefühls zu einem Empfänger.

Möchte ich ein warmes, himmlisches Gefühl vermitteln, weiß aber nicht wie, dann zeige ich einfach ein Foto von einem Sonnenuntergang. Kurz aus der Tasche gezogen, ohne Umwege.

Möchte ich eine gemütliche Gartenstimmung vermitteln, weiß aber nicht wie, dann zeige ich einfach einen Gartenzwerg. Der grinst von sich aus, da muss ich nicht lange herumfeilen.

Ja, der Kitschbegriff wird vermutlich häufig eher ab- als aufwertend verwendet. Genau weiß ich das auch nicht.

Wenn man den Begriff abwertend verwendet, warum tut man das? Wahrscheinlich weil man sich als Empfänger in dem Moment abgefertigt vorkommt, weil man sich etwas originelleres wünscht. Und das ist der springende Punkt, denke ich. Ein origineller Transport erscheint dem Empfänger nur dann originell, wenn er diese Art von Transport zum ersten Mal erfährt. Das heißt, man muss sich immer wieder neue Wege einfallen lassen, und den alten Trott verlassen.

Ich sage also nicht, eine gefühlvolle Begegnung sei inflationär. Gefühlvolle Begegnungen sind immer klasse. Angesichts ewigen Kitsches denke ich nicht an Inflation, sondern an ewige Einfallslosigkeit. Einfallsreichtum kann mit den Lebensjahren wachsen. Am Lebensanfang benötigt man nur wenige Einfälle. Dann immer mehr und mehr. Sonst wird es eben langweilig. Man verblüfft niemanden mehr, es sei denn, der Empfänger erwartet nichts neues. (Solche Empfänger sind vermutlich eher konservativ veranlagt.)


P.
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Alt 28.12.2019, 14:15   #18
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Zitat:
Zitat von Ilka-Maria Beitrag anzeigen
Ist das wirklich so? Kann es nicht sein, dass Kitsch ganz im Gegenteil Wohlbehagen auslöst?

Warum erfreuten sich Heimatfilme nach dem II. WK einer großen Beliebtheit? Was bezauberte die Menschen an "Sissi"? Warum lasen junge Mädchen bis in die 80er Jahre hinein die Romane von Marie-Luise Fischer? Warum war "Heidi" ein großer Erfolg? Was fanden die Magazin-Leser an den Fotoromanen? Woher stammt die "Heftchen"-Kultur, vor allem die Liebes- und Arzt-Heftchen?

Wie sieht es mit Comics aus: Wann sind sie Kunst, und wann sind sie Kitsch? In meiner Jugendzeit galt generell: Das ist Schrott, lies so etwas nicht, das verdirbt den Intellekt. Micky Mouse und Fix & Foxi waren verpönt, aber die Kinder liebten sie - ich auch. Sigurd, Akim, Tarzan, jeder kannte diese Helden, und die schmalen Querheftchen sind heute teure Sammelobjekte. Vom Siegeszug der Asterix-Bände brauchen wir gar nicht erst zu reden.

In meinem Besitz befindet sich ein broschürter Band (Book Three) von Frank Frazetta, den meine Eltern mal in einer Plastiktüte auf einem Gehweg gefunden hatten, inklusive des Kassenbons. Inzwischen ist dieses Book ein von Sammlern gesuchtes Objekt.

Was ist mit der Malerei? Spitzweg - sind dessen armer Poet und der Bücherwurm Kitsch? Oder versteckt sich hinter diesen idyllisch und harmlos anmutenden Bildern vielleicht Gesellschaftssatire, eine unrealistische Sehnsucht nach der heilen Welt?
Ich persönlich finde, dass Kitsch ausschließlich Wohlbehagen auslöst.
Wegen Spitzweg: Carl Spitzweg besuchte nie eine Akademie, er war demnach Autodidakt, der durch seine Reisen und den familiären Umständen wohl eher gesellschaftskritisch war. Sein warmes und detailiertes Handwerk hingegen lässt auf Sehnsucht nach einer bestimmten Realität schließen.

Wegen Dichtung: Heine, Goethe und auch Rilke schrieben oft, dass das Einfache der Weg des Meisters sei und die schwierigste Aufgabe, die es zu lösen gilt.
Weswegen ich jetzt zu Pjotr komme.
Du hast das gut und anschaulich erklärt: Es dreht sich also um eine Erwartung. Woher resultiert der Anspruch zu erwarten, ein Werk oder ein Kunstwerk müsse zwingend originell sein. Originell besitzt übrigens auch Bedeutungen wie "drollig", "befremdlich" und "kauzig".
Nochmal auf die großen Dichter zurückzukommen im Bezug auf das Originellsein...
Ich glaub, dass Kreative erwüchse erst dann, wenn man das Einfache (was nach Goethe, Rilke, Heine und Co) beherrscht, sonst würde das Originelle schnell kauzig.

Außerdem glaube ich nicht, dass ein Sonnenuntergang einfallslos ist. Schau dir Turner an, wie er mit Licht, Wolken, Schatten umgegangen ist. Extrem elementar, dafür lebten seine Bilder.
Vielleicht meinst du nicht Einfallslosigkeit, dafür aber Authentizitätslosigkeit.
Kitsch ist immer authentisch... Originalität hingegen kann peinlich sein...
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Alt 28.12.2019, 14:16   #19
weiblich Ilka-Maria
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Zitat:
Zitat von Pjotr Beitrag anzeigen
Man verblüfft niemanden mehr, es sei denn, der Empfänger erwartet nichts neues. (Solche Empfänger sind vermutlich eher konservativ veranlagt.)
Das unterschriebe ich lieber nicht. Konrad Adenauer war erzkonservativ, aber ein passionierter Erfinder, der sich jede Menge seiner Erfindungen patentieren ließ.

Charlton Heston war konservativ, aber außer Schauspieler ein begnadeter Karikaturenzeichner und scharfer Beobachter seiner Umwelt.

Schwarzenegger: Konservativ und null begabt für das Filmgeschäft, war erfindungsreich genug, trotzdem einen Weg in die Studios, in die Upper Class und in die Politik zu finden.

Vincent van Gogh wollte ursprünglich Priester werden, statt dessen wurde er als Künstler zum Mitglied einer Avangarde, war seiner Zeit sogar voraus, indem er den Übergang vom Impressionismus zum Expressionismus mitschuf.

Verkrustungen im Denken sehe ich eher auf den Seiten der Roten und Grünen, die angeblich progressiv sein wollen, vom Althergebrachten aber nicht lassen können.
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Alt 28.12.2019, 14:18   #20
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Schwarzenegger ist ein kreativer Träumer, der sich durchgesetzt hat!
Hast du seine Reden in letzter Zeit verfolgt? Ich finde man unterschätzt ihn!
https://www.facebook.com/watch/?v=2245067782250221
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Alt 28.12.2019, 14:23   #21
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Die Krawatte ist sensationell!

Weswegen wir wieder beim Kitsch sind.
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Alt 28.12.2019, 14:27   #22
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Ich finde auch die Anspielung gegenüber Trump geil...
Gleicht fast einer Kampfansage...
Die Krawatte sorgt dafür, dass man sich erinnert.
Giftgrün!
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Alt 28.12.2019, 14:34   #23
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Mir kommt der Vortrag samt Gestik eher wie eine Obama-Kopie vor.

Wobei wir noch ein Thema hätten: Ab wann ist ein Vortrag kitischig?
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Alt 28.12.2019, 14:41   #24
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Mir kommt der Vortrag samt Gestik eher wie eine Obama-Kopie vor.

Wobei wir noch ein Thema hätten: Ab wann ist ein Vortrag kitischig?
Die Obama-Rede war voller schwarzen Humor?
Verzeih

- Kitsch in der Rede?
Finde ich keinen, dafür aber eine Menge ausgearbeitete Rhetorik und Manipulation.
Ich habe generell Schwierigkeiten, zu verstehen, wenn jemand das Wort Kitsch in den Mund nimmt.
Für mich ist der Ausspruch: "Das ist Kitsch!" das Gleiche wie "Hier liegen Brötchen!" Völlig neutral.

Was wäre für dich in der Rede Kitsch?
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Alt 28.12.2019, 14:52   #25
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Zitat:
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Was wäre für dich in der Rede Kitsch?
Da brauchst du dir nur anzuhören, was Donald Trump von sich gibt: Plattitüden ohne Ende.

Goebbels ist auch kein schlechtes Beispiel: Blut-und-Boden-Rhetorik. Billiger geht's doch gar nicht. Oder das Geschwafel vom arischen Herrenmenschen und reinen Blut - da kann ich auch Akim- und Tarzan-Heftchen lesen oder andere Muskelprotzen bewundern.

Womit klar sein dürfte, dass völkischer Kitsch gefährlich werden kann.
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Alt 28.12.2019, 15:03   #26
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Okay, meine Frage war missverständlich ausgedrückt. Was empfindest du als Kitsch bei der Rede von Schwarzenegger?
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Alt 28.12.2019, 16:02   #27
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Nichts weiter - nur dass er Obama nachäfft, vor allem mit "we can", und das gleich im Dreierpack nach dem Motto: "Schläge auf den Hinterkopf erhöhen das Denkvermögen."
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Alt 28.12.2019, 16:45   #28
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Zitat:
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Außerdem glaube ich nicht, dass ein Sonnenuntergang einfallslos ist. Schau dir Turner an, wie er mit Licht, Wolken, Schatten umgegangen ist. Extrem elementar, dafür lebten seine Bilder.
Vielleicht meinst du nicht Einfallslosigkeit, dafür aber Authentizitätslosigkeit.
Kitsch ist immer authentisch... Originalität hingegen kann peinlich sein...
In meinem letzten Kommentar schrieb ich bewusst von einem "Foto eines Sonnenuntergangs". Im Sinn von: "Urlaubspostkarte aus dem Ärmel schütteln". Turner produzierte keinen Kitsch, in meinen Augen. In seiner kühnen Lichtmalerei fand er neue, aufregende Wege. Er war einfallsreich.

(Allerdings: Wenn er diesen Stil 200 Jahre lang wiederholt hätte, würden diese Wiederholungen allmählich kitschig werden; das liegt in der Natur des Kitsches: Die ewige Wiederholung, weil sie so einfach ist.)

Authentizität wiederum halte ich für eine völlig andere Problematik; die kann sowohl Kitsch als auch Nichtkitsch betreffen.

Harald Glööööcklers Entwürfe, beispielsweise, halte ich für Kitsch, und ich glaube, diese Ästhetik kommt tatsächlich aus seinem Herzen, demnach spricht dieser Kitsch die glööööckersche Wahrheit; sein Kitsch ist also authentisch.

Umgekehrt gibt es vielerlei Nichtkitsch auf der Welt, der Gefühle originell transportiert, aber wobei die Transportmethoden lediglich berechnet sind, und nicht der eigenen, seelischen Dringlichkeit eines Autors entspringen. Da kann man nicht von Authentizität sprechen.


Zitat:
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Das unterschriebe ich lieber nicht. Konrad Adenauer war erzkonservativ, aber ein passionierter Erfinder, der sich jede Menge seiner Erfindungen patentieren ließ.
Ich unterschreibe das auch nicht. Ich meinte nicht den Erfindungsreichtum im allgemeinen. Sondern ich dachte an Methoden der Gefühlsvermittlung. Ich glaube, da hilft das Patentamt nicht weiter.
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Alt 28.12.2019, 21:21   #29
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Also wäre die Postkarte weniger verkitscht, wenn darauf ein in Quadraten lila-braun-gelber Himmel zu sehen wäre?

Ich finde nicht, dass es in der Lyrik hilft nur neue Reime und neue Worte zu schöpfen, um Kitsch zu vermeiden. Ich versuche ja den Zusammenhang zwischen den Kitschbegriff und der Lyrik herzustellen.

Originell hingegen empfinde ich ein Gedicht von gummibaum (Ich hoffe, es ist okay gum, wenn nicht schreib mir bitte eine PN auf der Wiese) - eine einfache und für jeden verständliche Sprache, ohne gewzungen originell daherkommen zu müssen, es wirkt nicht originell (viele wollen so wirken nach dem Motto "Hey, meine Gedichte sind pinke Granaten und super-special"), sein Gedicht ist es:

Ich lebe einzig für den Garten!
Mein grüner Daumen züchtet hier
mit großem Fleiß, und alle Arten
vereinen Pflanze, Mensch und Tier.

Die Rose winkt mit Kiemenspalten,
und wiehernd äußert sich das Gras.
Der Kohlkopf zieht die Stirn in Falten
und blinzelt durch sein Brillenglas.

Die Hunde ranken sich mit Pfoten
um einen Kletterstab und sind,
berührt man sie, wie Springkrautschoten
geplatzt und treiben fort im Wind.

Und Menschen wurzeln aus den Füßen
ins Beet und tragen grüne Haut.
Sie duften stark, um mich zu grüßen. -
Oh, wie ihr Frieden mich erbaut…
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Alt 29.12.2019, 05:52   #30
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Zitat:
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Also wäre die Postkarte weniger verkitscht, wenn darauf ein in Quadraten lila-braun-gelber Himmel zu sehen wäre?
Möglicherweise.

Dein Avatarbild zeigt gerade zufällig auch so etwas wie einen Sonnenuntergang. Dieses Bild würde ich jetzt zum Beispiel nicht als Kitsch bezeichnen. Die Halbverstecktheiten darauf erwecken -- soweit man das auf der Miniatur erkennen kann -- gewisse Fragen, es eröffnet weitere Ebenen, finde ich.

Wenn ich etwas als Kitsch oder Nichtkitsch bewerte, dann natürlich immer von meinem gegenwärtigen Erfahrungsstand heraus. Wenn ich in zehn Jahren noch etliche weitere Bilder dieser Art gesehen haben werden sollte, dann werden die mir wahrscheinlich irgendwann kitschig vorkommen.

Dieses zitierte Gedicht finde ich nicht kitschig.
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Alt 29.12.2019, 12:51   #31
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Ja, mein Avatarbild gibt es digital und in Öl ) (Ist ein Sonnenaufgang)
Danke für deine Gedanken.

Wenn sich schöne Dinge durch ihre Betrachtung abnutzen, dann wird ja alles irgendwann zu Kitsch.

Ich finde die Bewertung hinter Kitsch nicht schön. Manche Dinge sind wie sie sind und für mich(!), sind es oft die einfachen, kleinen und schönen Dinge, die selbst nach Jahren der Betrachtung ihren Charme nicht verlieren.

Das was in unserer Moderne als originell aufgefasst wird, bewegt mich in der Regel nie. Für mich sind es gezwungene Versuche aus der Masse herauszustechen, aber auch ein Zwang und irgendwie eine rücksichtslose Einstellung und Entwertung der eigenen Arbeit.

Ich denke mir dann immer: Wer nicht in der Lage ist durch einfache Bilder und Worte Gefühle zu generieren, der sollte was anderes nicht versuchen.

In den kommenden Tagen, werde ich versuchen eine adäquate Definition herzuleiten, die mir jedenfalls helfen soll.

Vielleicht werde ich sie hier posten.

vlg

EV

Geändert von Eisenvorhang (29.12.2019 um 15:34 Uhr)
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Alt 29.12.2019, 18:01   #32
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Kann es sein, dass Du letztendlich eine Rechtfertigung entwickeln willst für bestimmte Stil-Elemente, die Du befürwortest, die manche Betrachter jedoch abwerten? Wenn das Dein Plan ist, dann finde ich ihn gut, weil dann nämlich in die Sache selbst hineingetaucht wird, und nicht mit Etiketten die Oberfläche verzettelt wird. Denn der Kitschbegriff ist nur ein Begriff, er ist nicht die Sache selbst, um die es geht. Es ist also völlig egal, ob dies oder jenes "Kitsch" geheißen wird oder nicht. Es geht um die Frage, warum dies und jenes für einen wertvoll ist. Und dadurch lernt man wiederum etwas über sich selbst. Und das wiederum ist Rechtfertigung genug, sofern überhaupt eine nötig war.
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Alt 29.12.2019, 18:36   #33
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Nö, ich will verstehen was anderen damit meinen.
Deswegen die Auseinandersetzung. Hin und wieder existieren Begriffe, die mich verwirren. Ich bin dann jemand, der auf die Suche geht und sich durchwühlt bis das Problem gelöst ist. Und das Wissen, das ich dann angehäuft habe, kann mir keiner mehr nehmen.

In einem anderen Forum wurde ein anderer User mit dem Argument des Kitsches beleidigt. Mir wurde das auch einmal nachgesagt - ich verstand es allerdings bis zum dritten Mal des Lesens als Kompliment, als dann die Kritik nachträglich noch geändert wurde mit dem Vermerk: "Schlecht, weil Massenware", verstand ich erst, dass es kein Kompliment war.

Und dann fiel mir auf, dass ich von dem Begriff eigentlich überhaupt keinen Dunst habe. Zwar gab es bereits mal eine Auseinandersetzung mit dem Begriff, aber auf einer anderen Ebene.

Im Prinzip will ich die Absicht von Kitsch verstehen und alle Dinge, die damit einhergehen. Es gibt ja viel Theorie dazu und subjektive Gedanken, die aber nicht meine Denkapparatur befriedigen können. (Wertungsfrei)

Ich denke aber, der Prof aus den Youtube-Links beschreibt das ganz gut.
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