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Alt 19.11.2007, 16:52   #1
Luthien
 
Dabei seit: 11/2007
Beiträge: 3


Standard Der Tod und das Leben

Er war alt geworden. Seit Tausenden von Jahren ging er nun schon seinem Handwerk nach. Er hatte Fürstentümer, Königreiche, Staaten entstehen und zerfallen sehen.
Königen und Kaisern, Päpsten und Bettlern hatte er die Hand gereicht.
Inzwischen wahr er nichts mehr, als ein Haufen blanker Knochen und ein schwächliches rotes Schimmern in den leeren Augenhöhlen.
Der schwarze, löchrige Umhang, den er bereits seit Tausenden von Jahren am Leibe trug, lastete seit geraumer Zeit schwer auf seinen Schultern. Schultern, die die Last der Seelen von Abermillionen Menschen getragen hatten.
Der Griff seiner Finger um den eichernen, vom Zahn der Zeit gezeichneten Schaft seiner mannshohen Sense, war schwach geworden und kaum mehr in der Lage, das Werkzeug aus eigener Kraft zu halten.
Viel gesehen hatte er im Laufe der Äonen, viel vollbracht, während seiner scheinbar zeitlosen Existenz. Er war dort gewesen, als aus dem Nichts das Sein entstand. Der Welten Geburt war er Zeuge gewesen und bis vor einem Augenblick war er sich sicher gewesen, er würde ihrem Ende beiwohnen.
Einmal mehr fiel ihm seine Kapuze vor die Augen und nahm ihm die Sicht. Er streifte sie unter Anstrengung, aber doch wie beiläufig zurück. Er fasste Mut packte den Stab mit beiden Händen, wuchtete ihn hoch und spürte einmal mehr die Last der Zeit.
Als er durch die Straßen ging, bemühte er sich nicht darum, unentdeckt zu bleiben, so wie er es seit Jahrhunderten tat. Wie ein alter Greis schleppte er sich vorwärts. Sein Ziel stand fest.
Nach menschlicher Zeitrechnung musste es wohl etwa zweitausend Jahre vor Christi Geburt gewesen sein, als er aufgehört hatte zu zählen, wie vielen Menschen er den Weg ins Jenseits bereitet hatte. Heute endlich war der Tag, da es zum letzen Mal geschehen müsse. Nur noch einmal würde er die Pforte aufstoßen müssen, um eine Seele unwiederbringlich hindurchzugeleiten.
In Gedanken und Erinnerungen versunken stapfte er die Straße entlang. Seine Knochen schmerzten, sein Blick wurde zunehmend trüber, Mantel und Sense zunehmend schwerer.
Sein Ziel war nicht mehr weit entfernt, also zog er sich die Kapuze wieder über den kahlen Schädel, immerhin wollte er allen gleich gegenübertreten, deren Leben er beendete.
Nur eine Person begegnete ihm an diesem lauen Sommerabend. Als er die letzten Häuser der Stadt hinter sich gelassen hatte, der Zivilisation und der Gezwungenheit entkommen war, kam ihm ein junger Mann von achtzehn Jahren entgegen, zeigte jedoch keinerlei Gefühlsregung, als er ihn sah.
Vor Jahrhunderten war man ihm mit Respekt und einem gewissen Maße an Ehrehrbietung entgegengetreten, dann war die Reaktion der Menschen auf ihn umgeschlagen und sie vrfielen in Angst und Panik, wen sie ihn zu Gesicht bekamen. Dieser junge Mann jedoch zeigte weder Respekt noch Angst.
Er blieb stehen und stützte seine Sense auf den Boden. Wie immer konnte er das Pochen des Herzens verspüren, doch es musste eine kleine Ewigkeit her sein, dass er das Schlagen eines vollauf lebendigen Herzens verspürt hatte.
'Leben', schoss es ihm durch den Kopf. Er hatte einmal versucht, zu verstehen, was Leben bedeutet, aber noch nicht einmal die größten Philosophen der Antike, oder begabtesten Autoren der Romantik hatten es ihm zu erklären vermocht.
Der Mann war inzwischen weitergegangen. Er hatte ihn zwar erkannt, aber scheinbar ebenso die Tatsache, dass er nur noch einen weiteren Tod zu bringen hatte.

Eine Viertelstunde später stieg er die Pfade hinauf in die Felsen. Hätte er atmen können, wäre er vermutlich nur keuchend oben angekommen und hätte er ein schlagendes Herz gehabt, wäre es vermutlich beim Aufstieg stehen geblieben, ob der Anstrengung, der es bedurfte, das schwere Werkzeug und die lästige Robe hinaufzuschleppen.
Oben wandte er den Blick zum Himmel. Hunderte kleiner Lichtpunkte waren an dem von wenigen dünnen Wolkenfetzen verhangenen Himmel zu erkennen. Am Horizont ging der schwarze Nachthimmel nahtlos in das tiefe Blau des Meeres über, das man durch zwei besonders herausragende Felsnadeln erkennen konnte. Eine kühle Brise umwehte ihn und ließ seine Robe leicht im Wind tanzen. Hätte er etwas verspüren können, hätte er wohl gefröstelt. Warum er gerade diesen Ort ausgesucht hatte, wusste er selbst nicht. Rügen war eine Insel wie viele andere auf der ganzen Welt und dieser Ort war ein Ort, wie viele andere auf dieser Welt – oder doch nicht?

'Wer wird mich vermissen?', dachte er bei sich selbst und tat einen Schritt ins bodenlose Nichts. Wie sehr er in der folgenden Zeit vermisst wurde, konnte der Tod ja nicht ahnen...
Luthien ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 19.11.2007, 19:41   #2
Struppigel
 
Dabei seit: 05/2006
Beiträge: 1.007


Hallo Luthien,

willkommen im Forum, ich kenne Dich noch gar nicht.

Eine Geschichte über den Tod, der selbst alt und senil wird - das ist wieder etwas Neues. Das Ende nicht, aber das ist in Ordnung. Es lässt genug offen, um den Leser mit Gedanken daran zurückzulassen.
Der Mann, der kaum auf den Tod reagiert, bringt nochmal ein lebendiges Element und etwas Spannung hinein (Wie wird er reagieren? Könnte der Tod auch ihn holen?).
Das Ende ist natürlich schon zu Beginn absehbar, was hier aber kein Nachteil ist.
In Orthographie und Grammatik sind fast fehlerfrei, das freut mich. Auch die Sprache ist im Großen und Ganzen in Ordnung. Du musst nur etwas daran arbeiten, Wiederholungen zu vermeiden.

Zitat:
Inzwischen war er nichts mehr, als ein Haufen blanker Knochen und ein schwächliches Komma rotes Schimmern in den leeren Augenhöhlen.
Zitat:
Der schwarze, löchrige Umhang, den er bereits seit Tausenden von Jahren am Leibe trug, lastete seit geraumer Zeit schwer auf seinen Schultern. Schultern, die die Last der Seelen von Abermillionen Menschen getragen hatten.
Ist wegen "lasten" und "Last" sprachlich ungünstig. Aber auch die Tatsache, dass ein Umhang auf Schultern lastet, die eine Last tragen, erscheint inhaltlich etwas ungelenk.

Zitat:
Er war dort gewesen, als aus dem Nichts das Sein entstand. Der Welten Geburt war er Zeuge gewesen und bis vor einem Augenblick war er sich sicher gewesen,
Sprachliche Wiederholungen. Natürlich wegen der verwendeten Zeitform, aber hier stört es doch etwas.

Zitat:
kam ihm ein junger Mann von achtzehn Jahren entgegen, zeigte jedoch keinerlei Gefühlsregung, als er ihn sah.
Da Du offensichtlich den Mann meinst, der keine Gefühlsregung zeigt, und nicht den Tod, fehlt da ein Relativpronomen, z.B. "der zeigte jedoch..."

Zitat:
Oben wandte er den Blick zum Himmel. Hunderte kleiner Lichtpunkte waren an dem von wenigen dünnen Wolkenfetzen verhangenen Himmel zu erkennen. Am Horizont ging der schwarze Nachthimmel
Sprachliche Wiederholung.

Zitat:
'Wer wird mich vermissen?', dachte er bei sich selbst und tat einen Schritt ins bodenlose Nichts. Wie sehr er in der folgenden Zeit vermisst wurde, konnte der Tod ja nicht ahnen...
Die ganze Zeit bemühst Du Dich um korrektes Hochdeutsch und eine ansprechende Sprache. Im letzten Abschnitt aber schreibst Du "er tat einen Schritt" und nutzt Interjektionen wie "ja", die schlicht Umgangssprache sind.
Wenn es zum Rest gepasst hätte, ok, aber hier funktioniert es nicht.

Grüße

Struppi
Struppigel ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 19.11.2007, 20:25   #3
Luthien
 
Dabei seit: 11/2007
Beiträge: 3


Tja, vielen Dank erstmal, für deine ausführliche Kritik.

Also zu den von dir Angsprochenen Punkten 'Last/lastet', 'gewesen' und den Bezügen währende der Begegnung gebe ich dir voll und ganz recht, das werde ich in meiner version ändern, Danke.
Selbiges gilt für das 'Himmel-Problem' und das kleine Wörtchen 'ja' am Ende. Nur das 'tat einen Schritt', das ist eine Formuliereung, die ich unglaublich gerne mag und die ich nicht als Umgangsprache bezeichnen würde. Deine Kompetenzen, Fachkenntnisse und Erfahrung in allen Ehren, aber ich würde mir lieber die rechte Hand abhacken, als diese Formulierung zu entfernen.

Dankend

Luthien
Luthien ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 19.11.2007, 20:34   #4
Struppigel
 
Dabei seit: 05/2006
Beiträge: 1.007


Hallo Luthien.

Das ist kein Problem, schließlich gehört der Text Dir und ich gebe nur Ratschläge.

Grüße

Struppi
Struppigel ist offline   Mit Zitat antworten
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