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Alt 21.01.2016, 21:41   #1
männlich Gylon
 
Dabei seit: 07/2014
Beiträge: 4.269


Standard Zu spät

„Achtung, Achtung, die nächste S-Bahn nach Pusemukkel kommt ausnahmsweise einmal pünktlich um 16:10. Bitte halten sie sich bereit und notieren sie dieses außergewöhnlich Ereignis in ihrem Kalender, er wird so schnell nicht wieder vorkommen!“
Ich registriere die Information nur nebulös, irgendwo hallt sie in meinem Kopf wieder. Mit gesenktem Kopf sitze ich frierend am Bahnsteig. Neben mir hängen ein dutzend Blumenköpfe die Bank herunter. Schlechte Ware denke ich, oder sitze ich wirklich schon so lange hier?
Mir kommt dein letzter Satz in den Kopf „Komm bitte nicht zu spät“. Ha, ich und zu spät kommen, heiße ich Deutsche Bahn oder was! Man, man, man, jetzt bloß nicht aufregen. Ich habe doch gewusst, dass du niemals pünktlich sein wirst. Warum habe ich Trottel mich abgehetzt und der Blumenfrau auch noch das Wechselgeld spendiert, nur damit ich zeitig da bin. Lerne ich denn nie dazu? Sich auf dich zu verlassen ist das gleiche, als wenn man sich eine Bahncard kauft. Garantierte Wartezeit inbegriffen! Das ausgerechnet mir, der seinen Tagesablauf minutiös plant um den Tag optimal auszunutzen. Die kostbare Zeit, die einem geschenkt wird, bloß nicht vergeuden. Und dann kommst du daher, Planlosigkeit pur, aber mit guter Figur, einem charmanten Lächeln und einer Stimme die mich dahin schmelzen lässt. Jedenfalls die ersten Minuten, bis ich in der Flut von Informationen zu ersaufen drohe. Brisante Informationen wie: „Ich wusste gar nicht, was ich anziehen sollte und als ich dann fertig war, bin ich zu spät am Bus angekommen“. Klar doch, als wenn du die Klamotten nach dem schließen der Haustür noch lange an hättest. Ok, vielleicht noch ein Glas Wein vorher, für die Stimmung und weil du beim trinken nicht reden kannst. Wenn es doch nur schon so weit wäre! Ich schaue auf die Uhr, ich erkenne das Ziffernblatt kaum noch, ob es sich vom anschauen abnutzt? Das warten macht mich bekloppt, oder war ich es schon vorher? Gedanken die ins nichts führen und somit vollkommen wertlos sind. Nein, halt! Sie verkürzen Wartezeit und sollen mir deshalb willkommen sein. Mehr davon. Mein Blick prüft den Blumenstrauß, schade um ihn, er hätte sich gut auf dem Frühstückstisch gemacht. Meine Beine sind eingeschlafen und schmerzen. Ich nehme den Strauß und verlasse den Bahnsteig, erinnere mich an die Alte Frau auf der Bank und steuere zielstrebig auf sie zu. Ich drücke ihr den Strauß in die Hand und einen Kuss auf die Wange. Ihr lächeln trifft mich mitten ins Herz. Ich steige ins Taxi und murmele vor mich hin „Einmal zuviel, zu spät.“
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Alt 23.01.2016, 18:20   #2
männlich Gylon
 
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Beiträge: 4.269


Sie stieg aus der Bahn und suchte den Bahnsteig ab, aber ihr Blick fiel auf kein Ziel. „Scheiße, Scheiße, Scheiße“ entfuhr es ihr und bevor das letzte Wort verhallte liefen Tränen über ihr Gesicht. Hektisch sucht sie in ihrer Handtasche nach dem Smartphone. Eine ernüchternde Ansicht bot der Touchscreen. Keine Antwort auf ihre SMS und kein Anruf in Abwesenheit. „Wofür hat der Mann eigentlich ein Handy und warum stellt er den Klingelton ab sobald er Feierabend hat?“ Wut stieg in ihr hoch, Wut über sich selbst, weil sie es wieder nicht geschafft hat pünktlich zu sein, denn sie wusste wie sehr er Unpünktlichkeit verabscheute. Wut auf ihn, weil er nicht über ihre kleinen Fehler hinwegsehen konnte. Ob er vielleicht zu spät war? Hoffnung keimte kurz in ihr auf aber sie wusste, dass die Erde sich schon auftun müsste damit das passierte. Er war bestimmt da und hat sich in seinen Unmut hineingesteigert bis er am Anschlag war und ist dann einfach los. Das kannte sie bereits und wunderte sich jedes Mal, wie man sich so aufregen kann, nur weil jemand zu spät war. Wenige Minuten reichten bereits um ihn in fahrt zu bringen. Auf sein Handy konnte er bestimmt nicht gucken weil er es zu Hause gelassen hat. Wozu brauche ich ein Handy wenn ich Privat unterwegs bin, hörte sie ihn im Geiste reden und sah dabei sein leicht abwertendes Gesicht vor sich. Ja, er hatte auch so seine Macken, aber sie liebte ihn abgöttisch. Nur warum, fragte sie sich in manchen Momenten. Sie hatte des Rätsels Lösung noch nicht gefunden und hatte jetzt erst einmal andere Probleme. Sie wählte seine Nummer, er könnte schon wieder zuhause sein. Nach dem dritten Klingelton legte sie schnell auf. Vielleicht war es besser dass er nicht dran ging. Sie würde ihn mit Worten überschwemmen und das wäre kontraproduktiv. Nein, sie musste zu ihm und das so schnell wie möglich, wenn sie noch etwas retten wollte. Sie raste durch den Bahnhof und über den Vorplatz und suchte nach einem Taxi. Zwei alte Frauen fielen ihr auf, die eine wild gestikulierend „ Glaub mir doch, den hat mir ein wildfremder Mann geschenkt, wovon soll ich mir so einen Strauß leisten können“ Ein kurzer Blick genügte und sie wusste, das die Frau die Wahrheit erzählt, sie brauchte jetzt schleunigst ein Taxi.
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Alt 27.01.2016, 14:34   #3
weiblich Merith
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Beiträge: 3.380


Er hatte kein Licht angemacht, starrte durch die Fensterscheibe auf die menschenleere Straße und wartete. Wie oft schon war er so dagestanden, ein Glas Wein in der rechten Hand, die Armbanduhr in der linken, weil ihn die silberne Kette am Handgelenk drückte. Er schloss die Augen, zählte bis hundert, zweihundert. Die Straße blieb leer. Wenn er weiter im Dunklen blieb, würde sie vielleicht denken, er sei nicht zu Hause. Er ärgerte sich über seine verbissene Hoffnung, sie würde noch kommen, schaltete das Licht ein, warum sollte er wegen ihr im Dunkeln sitzen ? Er löste sich die Krawatte, durchblätterte die Tageszeitung, machte sich ein Rührei, wollte nicht mehr warten, wartete nicht mehr.
Als er ihre helle Stimme hörte, mit dem sie den Taxifahrer verabschiedete, denn er hatte vorsorglich das Fenster einen Spalt geöffnet, blieb er trotzig in der Küche sitzen, ließ sie viermal läuten, bis er zur Türe ging und ihr den "Ich-wäre-fast-Eingeschlafenen" vorspielte. Sie lächelte ihn an, durchschaute ihn,
liebte ihn, gab ihm eine Rose. "Die hat mir eine Frau geschenkt, sie hatte einen ganzen Strauss davon".
Er nahm ihre Hand, zog sie ins Zimmer, löschte das Licht.

Geändert von Merith (27.01.2016 um 16:22 Uhr)
Merith ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 27.01.2016, 16:21   #4
weiblich Merith
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Ort: Im Isental
Alter: 83
Beiträge: 3.380


Lieber Gylon,

noch ein kleines pendant :

Immer zu spät

Immer zu spät
hob ich den Hörer ab,

immer zu spät
öffnete ich die Türe,

immer zu spät
sah ich dein Auto weg fahren,

und viel zu spät
habe ich dir gesagt,
dass ich dich lieb habe.

Du hattest es schon einer anderen gesagt

Aus "Mein Gedichte"

Lieben Gruß
Merith
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Alt 27.01.2016, 22:00   #5
männlich Gylon
 
Dabei seit: 07/2014
Beiträge: 4.269


Liebe Merith,
jetzt bist du mir zuvor gekommen
Ich wollte das Ende schon längst geschrieben haben, kam aber nicht dazu. Gestern Abend hatte ich dann Zeit für ein paar Zeilen.

Dein Ende (und auch dein Pendant) gefällt mir gut! Besonders, dass du das Blumenthema mit der alten Frau wieder aufgegriffen hast finde ich eine Klasse Idee.

Mein Ende ist anders aber am Schluss läuft es auf dasselbe hinaus. Kaum vorhersehbar

Liebe Grüße Gylon


Es klingelt an der Tür. Ich denke kurz noch einmal darüber nach wie ich reagieren soll, wie die letzten 30minuten zuvor auch schon. Meine Knie sind weich und es bildet sich ein dicker Kloß in meinen Hals. Ich verspüre eine innere Angst und Unruhe. Das darf nicht das Ende sein, aber es kann auch nicht so weiter gehen. Wie oft habe ich das schon gedacht seit wir uns kennen. Es klingelt wieder und diesmal schaffen es meine Beine sich zu bewegen. Ich öffne langsam die Tür und schaue direkt in deine Augen. Ich glaube in deinem Blick dass zu entdecken, was ich gerade auch empfinde. Ich bemerke die spuren auf deinen Wangen und die leicht geröteten Augen. Scham befällt mich und ich muss meinen Blick absenken um meine Unsicherheit zu verbergen. Ich gehe einen Schritt zur Seite und du huschst stumm an mir vorbei. Dieser Duft, wie ich ihn vermisst habe. Meine Augen haften auf deinem graziösen Gang und folgen jeder Bewegung. Warum kann sie nicht einmal pünktlich sein und warum schaffe ich es nicht, es ein einziges Mal zu tolerieren. Ich schließe leise die Tür und traue mich kaum mich umzudrehen. „Endschuldige“ kommt es gleichzeitig aus unseren Mündern. Wir heben beide verwundert den Kopf und brauchen einen Moment um die Situation zu begreifen. Es ist förmlich zu spüren, wie unser beider Anspannung abfällt und wir beginnen gleichzeitig uns Worte um die Ohren zu hauen ohne das der Gegenüber zuhört. Aber dafür ist auch später noch Zeit.
Gylon ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 27.01.2016, 23:25   #6
weiblich Merith
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Beiträge: 3.380


Lieber Gylon, ich freue mich sehr, sehr, dass dir mein Ende gefällt, es ist ja immer ein gewisses Risiko dabei, die Gedanken anderer Menschen zu Ende zu denken und zu schreiben.

Du hast so wunderbare Ideen und ich hänge mich so gerne bei dir ein - , es ist ja nicht das erste Mal. Dass ich dir zuvor gekommen bin, ist mir ein bisschen peinlich. Ich wollte eigentlich per PN erst deine "Bewilligung" einholen (wie früher schon mal), aber dann habe ich deine Großherzigkeit voraus gesetzt.

Lieben Gruß
Merith, deine Ghostwriterin
Merith ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 30.01.2016, 19:31   #7
männlich Gylon
 
Dabei seit: 07/2014
Beiträge: 4.269


Liebe Merith,
du hast doch einen Freibrief von mir und mein Herz ist riesengroß

Liebe Grüße Gylon
Gylon ist offline   Mit Zitat antworten
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