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Alt 26.11.2005, 19:58   #1
Frail
 
Dabei seit: 11/2005
Beiträge: 19


Standard Schlaf nicht ein

"Schau mal, Mama, ich bin ein Dalmatiner!"
Erik hielt stolz seine rußverschmierten Hände in die Höh.
"Ja, mein Schatz", sagte Heidi abwesend und blickte über das verbeulte Auto. Der rote Lack war schon nicht mehr zu sehen, es war schwarz und kaputt, aber es diente als guter Schutz.
"Aber schau doch mal!", rief Erik laut und lief auf seine Mutter zu.
"Psst", machte Heidi und drückte ihren kleinen Sohn an sich.
"Du musst ganz leise sein..."
"Warum denn?!", fragte Erik verwundert und fuchtelte mit seinen Händen vor Heidis Gesicht herum.
Heidi nickte kurz zu dem Körper ihres Mannes rüber.
"Papa schläft...", murmelte sie.
"Wir wollen ihn nicht wecken."
Erik nickte eifrig, und kletterte auf Knien wieder zurück. Als er bei seinem Vater angekommen war, fing er an zu lachen.
"Papa schläft! Guck mal, er schläft immernoch!", rief Erik begeistert, während er an seinem Vater rüttelte. Der Kopf von ihm rutschte leblos hin und her.
Heidi wischte sich die Tränen aus den Augen und rief leise:"Komm her, Erik!"
"Ich versteh das nicht, bei dem Krach", meinte Erik und sah sich um.
"Schau mal, Mama, alle schlafen sie, wie Papa."
In dem Moment ging eine Bombe runter.
"BUMM!", rief Erik und klatschte in die Hände.
"Du kriegst uns nicht!"
"Verdammt!", zischte Heidi und zog ihren Jungen bei der Hand heran - drückte seinen Kopf runter.
"Mama, wie können sie alle schlafen, wo es doch so laut ist?", fragte Erik quengelnd, aber Heidi antwortete ihm nicht. Sie fuhr ihm nur über seinen blonden Haarschopf und spähte weiter über das zerbeulte Auto.
"Vielleicht ist er ja krank. Oh, Mama, was machen wir, wenn Papa krank ist?!", rief Erik auf einmal ängstlich.
"Wir müssen ihn nach Hause bringen!"
"Das geht jetzt nicht, mein Schatz", gab Heidi von sich und drückte sich ebenfalls auf den Boden als eine weitere Bombe fiel.
Knapp vorbei.
"Daneben!", kreischte Erik freudig und vergaß sofort seinen Vater und die anderen Menschen, die um ihn herum lagen und sich nicht mehr bewegten.
"Wir müssen weg!", zischte auf einmal eine weibliche Stimme neben ihnen und Heidi fuhr herum.
"Ohh, Charlott!", brachte sie weinend hervor und drückte den Kopf des Mädchens an sich.
Das Mädchen strich ihrer Mutter über die rußige Wange und keuchte dann:"Lass uns verschwinden. Komm schon, ich habe einen Weg gefunden, wo sie noch nicht sind."
"Schau mal, Charlott, ich bin ein Dalmatiner!", rief Erik als er seine Schwester erblickte und rannte auf sie zu.
"Hey mein Kleiner...", murmelte sie und wandte sich dann wieder an ihre Mutter. Ihre roten zerzausten Haare standen wild von ihrem Kopf.
"Wo ist Papa?!"
"Papa schläft!", griff Erik grinsend ein und Charlott riss die Augen auf.
"Nein, er ist doch nicht...!"
"Doch..."
Charlott brach in sich zusammen, Heidi nahm ihre weinende Tochter in den Arm.
"Was ist los? Ist Charlott auch krank?!", fragte Erik ängstlich und nahm die beiden in den Arm.
Charlott wischte sich übers Gesicht und sah hinüber zu der tiefen Erdkuhle, in der ihr Vater lag.
"Also, wo müssen wir längs?! Sag schon, Charlott!", forderte Heidi sie auf.
"Zum Sportplatz...Du weißt wo er ist, ja? Dort warten die anderen... Tommy sagt, er bringt uns hier weg."
"Mama, ich will nach Hause, ich habe Hunger!", jammerte Erik, doch Heidi ignorierte ihn. Sie zog ihn bloß mit sich und murmelte:"Das hoffe ich, Charlott..." Diese stolperte hinterher. Weg vom roten Auto, weg von ihrem Vater. Weg von zu Hause. Raus aus Berlin?
Heidi nahm ihren kleinen Sohn auf die Arme und rannte- rannte so gut es ging. Charlott dicht hinter ihnen.
Auf einmal wieder dieses Geräusch- Heidi sprang blitzschnell beiseite- und wieder kam der laute Knall. Entsetzt drehte Heidi sich um, ließ ihren Sohn fallen. Erik fiel mit einem Jammern auf den Boden und hielt sich sein zerkratzes Knie- Heidi fiel zusammen. Tränen traten ihr in die Augen. Charlotts blutiger Kopf endete in ihrem zerstümmelten Körper- ihre geschlossenen Augen verrieten...
"Schläft Charlott?", kam es von Erik, der sich aufgerappelt hatte.
"Ooh, was ist denn mit ihr?", fragte er, als er sie sah. Heidi hielt rasch eine Hand vor Eriks Augen und drehte ihn weg. Auch sie drehte sich langsam, wie betäubt um.
"Wir müssen weiter, Erik...", entschied sie und presste ihren Sohn an sich.
"Mama, mein Knie tut weh! Guck mal!", gab Erik von sich und deutete auf einen kleinen blutigen Fleck an seinem Knie.
"Das brennt!"
Heidi ignorierte seine Worte und lief weiter vorwärts, über Trümmern und Leichen. An einer Ecke spähte sie vorsichtig herum- entsetzt drehte sie sich um- und sah plötzlich einen Mann, der vor ihr stand.
Panisch schrie sie auf, wollte rennen, doch der Mann hielt sie fest. Er war in eine rote Uniform gesteckt und hatte eine Mütze auf dem Kopf. Seine kurz geschnittenen Haare und sein feindlicher Gesichtsausdruck verriet ihr das Schicksal.
"Nein, NEIN!", flehte Heidi weinend während Erik aus ihren Armen entglitt.
"Ich habe doch noch ein kleines Kind!"
Kurzerhand zog der Mann eine Waffe aus dem Bund und zielte. Heidis lebloser Körper fiel blutig zu Boden.
"Mama, Mama!", rief Erik und griff nach Heidis Hand.
"Mama, schläfst du?"
Tränen stiegen in seine Augen.
"Nicht einschlafen, bitte, wir müssen doch noch Papa helfen!"
Er drehte sich um und erblickte den Mann, der neue Munition in seine Waffe steckte.
Verzweifelt griff Erik nach seinem Hosenbund.
"Papa ist doch krank!"
Der Mann schüttelte ihn ab, sagte etwas auf einer Sprache, die Erik nicht verstand.
Erik fing leise an zu weinen. Sein Vater musste doch gesund werden... Erik musste ihm doch helfen! Er durfte nicht einschlafen...
Frail ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 28.11.2005, 21:27   #2
maxi
 
Dabei seit: 11/2005
Beiträge: 8


wow... Mir fehlen echt die Worte...
sehr gut! Und sehr traurig und ergreifend. und ziemlich brutal.
geht sie noch weiter? Was wird aus Erik?
maxi ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 03.12.2005, 01:35   #3
Frail
 
Dabei seit: 11/2005
Beiträge: 19


dankeschön..
ich weiß, zwischendurch haperts zwar ein wenig, aber ich denke, das geht einigermaßen... brutal... ja. aber das war ja oft brutal damals..

nein, weiter geht sie nicht. was aus erik wird... kann man sich denken. aber ich denke, ein offenes ende passt ganz gut, als wenn man jetzt auch noch eriks schicksal erfahren würde.
Frail ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 03.12.2005, 11:03   #4
maxi
 
Dabei seit: 11/2005
Beiträge: 8


stimmt! Das offene Ende passt sehr gut dazu!
Zitat:
ich weiß, zwischendurch haperts zwar ein wenig
wie meinst du das? Ich find' nicht, dass es hapert...
Grüße maxi
maxi ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 03.12.2005, 17:19   #5
Frail
 
Dabei seit: 11/2005
Beiträge: 19


dann is ja gut wenn du das nicht so empfindest
Frail ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 11.12.2005, 16:20   #6
TobiL.
abgemeldet
 
Dabei seit: 12/2005
Beiträge: 280


Ich finde es etwas verwärflich den Russen damals vorzuwerfen, Frauen getötet zu haben, die ein Kind bei sich hatten. Generell finde ich die Geschichte gut. Sie ist schön geschrieben und man kann es flüssig lesen. Ich würde die Thematik jedoch noch mal überdenken.

Machs gut, Tobi.
TobiL. ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 28.12.2005, 22:11   #7
Yve
 
Dabei seit: 12/2005
Beiträge: 756


"Ich finde es etwas verwärflich den Russen damals vorzuwerfen, Frauen getötet zu haben, die ein Kind bei sich hatten."

Nun ja...das kam des öfteren in einem Krieg vor, selbst bei den Russen So viel mal dazu.
Nun zu deiner Geschichte. Ich finde sie wirklich gut. Man kann alles gut nachvollziehen und deshalb ist sie so traurig und geht nah.
Yve
Yve ist offline   Mit Zitat antworten
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