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Alt 18.02.2019, 18:20   #1
weiblich Yurei
 
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Dabei seit: 12/2016
Alter: 22
Beiträge: 13


Standard Cornflakes

Cornflakes

Für einen Moment starre ich sie nur verwundert an. Dann verstehe ich. Bewegungslos und stumm liegt sie da, aber ich kann dennoch den Vorwurf in ihr erkennen. Ich merke wie Gefühle der Schuld, Hilflosigkeit und Hoffnungslosigkeit in mir aufsteigen und wende mich von ihr ab.
Der Tag war so schon mies genug.
Es bringt nichts, ich kann die Welle von Gefühlen nicht mehr abwenden. Ich setze mich und starre erst auf das Laminat, dann durch es hindurch, während Erinnerungen sich vor die Realität schieben.
Erinnerungen die erst Stunden, Wochen, manche bereits Jahre hinter sich haben.
Erinnerungen an Kleinigkeiten, so banales, das keiner, nicht einmal ich, sie als problematisch, schädigend, prägend oder in irgendeiner Weise auffällig ansehen würde.
Erinnerungen an einen gemachten Fehler in der Stunden zuvor geschriebenen Mathe-Klausur.
Passiert jedem mal. Kein Weltuntergang. Vermutlich bist du trotzdem noch eine der Besseren.
Ich versuche an etwas anderes zu denken.
Der Druck steigt.
Erinnerungen an eine nicht abgeschlossene Tür.
Du warst 10. Es war eines der ersten Male, das du sie selbst abschließen musstest. Es ist okay, das du daran nicht gedacht hast. Du warst 10. Du hast daraus gelernt. Es ist okay.
Der Druck steigt weiter, Ich versuche krampfhaft mich an ein Lied zu erinnern, ein Buch, eine Serie, irgendwas, aber meine Gedanken können nichts finden, alle anderen Erinnerungen sind wie weggesperrt.
Ein zu laut abgesetzter Wäschekorb.
Du kannst nichts dafür. Es war ein versehen. Du hattest es nicht so gemeint, du wolltest das nicht. Es ist okay. Es ist okay. Es ist okay. Du bist okay.
Der Druck steigt gnadenlos.
Ein stehengelassenes Glas.
„Räum das weg.“ „Mach ich gleich.“
Du wolltest es tun. Das du nicht sofort aufgesprungen bist, kann man dir nicht verdenken. Es ist nur ein Glas. Es ist nicht wichtig. Du bist gut in der Schule. Du machst Hausaufgaben.
Aber andere sind besser als du.
Es ist okay. Du bist okay. Du kannst das. Du bist okay. Dir geht es gut. Du schaffst das schon. Du bist okay. Du bist okay.
Ich versuche fast panisch, meine Gedanken zu etwas anderem zu lenken.
Es ist zu viel.
Ich breche unter dem Druck meiner eigenen Gefühle zusammen.
Ich springe auf und stürze mich ins Bett, während ich meine Decke mit ein paar stummen Tränen und überhörten Schluchzern ertränke.
Du machst Fehler. Immer machst du Fehler. Du kannst nichts richtig machen. Du ka-
Schritte.
Du bist okay. Alles okay.
Sie kommen näher, sie gehen vorbei.
Ich atme aus.
Du kannst nichts. Du hast einen Fehler in deinem besten Fach gemacht.
Noch weißt nur du das.
Du hattest vergessen die Tür abzuschließen, der neonpinke Post-It, damit du nächstes Mal daran denkst, hängt auch Jahre später noch an ihr, vergessen.
Die Wäsche hat dein Vater aufgehängt, du warst ja so genervt, das du den Korb zu laut abgesetzt hast. Du hast dich entschuldigt, gesagt das du die Wäsche aufhängen kannst, aber nun war das nicht mehr deine Aufgabe. Du hast das Glas nicht sofort weg geräumt, jetzt ist es weg. Du konntest es wohl nicht, also hat jemand anderes es getan. Du konntest es nicht. Du hast versagt. Du kannst nichts.
Du leistest keinen Beitrag, du hilfst nicht mit, in der Schule sind andere besser als du.
Du bist nicht okay. Du bist nichts.
Du bist ein Fehler.
Du bist Verschwendung.
Du bist nichts von Wert.
Du bist eine Bürde, eine Last, ein Parasit.
Du bist nicht gut genug, um Essen zu verdienen.
Du bist nicht gut genug, um anderen die Luft weg atmen zu dürfen.
Warum tust du das?
Wie kannst du so selbstsüchtig sein?
Woher nimmst du dir das Recht zu Leben, ohne irgendetwas geben zu können?
Du bist nichts.
Du verdienst nichts.
Du bist ein Parasit.
Du verdienst Strafe.


Stunden später traue ich mich wieder aus der Decke hervor.
Ich starre wieder auf den stummen Vorwurf, der strahlend Gelb in meinem Zimmer liegt.
Ich stehe auf, nehme den Cornflakes Karton, den ich heute morgen geleert habe, in die Hand, zerreiße ihn und schmeiße ihn weg. Mein Vater sitzt in Ruhe vor dem Fernseher. Er hat Cornflakes bereits auf die Einkaufsliste geschrieben, als er den leeren, gelben Karton in mein Zimmer gestellt hat, es gibt also nichts mehr, was ich jetzt noch tun könnte.
Yurei ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 19.02.2019, 01:33   #2
männlich Ex-Ralfchen
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Dabei seit: 10/2009
Alter: 77
Beiträge: 17.302


hallo Y -

irgendwie finde ich deinen text nicht übel. bis auf winzige technikalitäten wie hier unten. obschon mir die zeilen mehr den eindruck eines tagebuch-eintrags machen. ich lese in diesem foren-segment kaum. selbst schreibe ich nur sehr selten prosa. egal. liege ich richtig dass dieser text autobio ist? danke.




Zitat:
Ich springe auf und stürze mich ins Bett, während ich meine Decke mit ein paar stummen Tränen und überhörten Schluchzern ertränke
Zitat:
Du machst Fehler. Immer machst du Fehler. Du kannst nichts richtig machen. Du ka-
Schritte
gedankenunterbrechung wegen der schritte?


vlg
rchen
rchen
Ex-Ralfchen ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 20.02.2019, 17:23   #3
weiblich Yurei
 
Benutzerbild von Yurei
 
Dabei seit: 12/2016
Alter: 22
Beiträge: 13


Hallo Ralfchen,

Es freut mich das du meinen Text "nicht übel" findest^^
Der Text ist tatsächlich etwas autobiografisch...
Und ja, an der markierten Stelle werden die Gedanken von den Schritten unterbrochen. Hättest du es anders dargestellt, z.B. den Bindestrich weggelassen?

vlg
Yurei
Yurei ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 20.02.2019, 23:27   #4
männlich Ex-Ralfchen
abgemeldet
 
Dabei seit: 10/2009
Alter: 77
Beiträge: 17.302


servus Y -

ich melde mich dazu noch später.

vlg
rchen
Ex-Ralfchen ist offline   Mit Zitat antworten
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depressionen, versagen

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