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Sonstiges Gedichte und Experimentelles Diverse Gedichte mit unklarem Thema sowie Experimentelles.

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Alt 22.08.2011, 10:03   #1
joerg
 
Dabei seit: 12/2005
Beiträge: 90

Standard im Krankenhaus

Aus den Augen schwand das Feuer
von dem Leibe schwand Gewicht;
des Todes fahles Angesicht
schleicht durch dieses trostlose Gemäuer.

Für den Fährmann noch die Heuer,
daß der nicht ohne ihn aufbricht
zu Ufern neuer Zuversicht
- die Hoffnung war ihm lieb und teuer.

Ihn heilten nicht heilende Kräfte,
ihm halfen nicht Tinktur noch Säfte,
die fachkundig ihm bereit';

umnebelt seine letzten Schritte,
unerfüllt die letzte Bitte,
ein weißer Kittel- sein letztes Geleit.



[einem verstorbenen Patienten gewidmet]
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Alt 22.08.2011, 12:50   #2
Ex-Odiumediae
abgemeldet
 
Dabei seit: 07/2010
Beiträge: 1.151

Ein Sonett auf so kurze Verse bekommt für mich immer größeren Reiz. Das Thema ist gleichermaßen tragisch wie interessant und besonders die zweite Strophe gefällt mir schon jetzt sehr gut.

Allerdings sind Sonette Klanggedichte. Wenn ihnen der Rhythmus fehlt oder die Metrik nicht stimmt, ist das für mich so, als ob man eine Luxuslimousine zu einem Panzer umrüstet. Man verpasst etwas elegantem, edlem ein plumpes Äußeres und degradiert es damit.

Die klangliche Qualität des Sonetts würde sich entscheidend verbessern, wenn zumindest die aufeinander gereimten Verse die gleiche Länge aufwiesen.
Als Nächstes wäre es sinnvoll, die Metrik anzugleichen.

Zitat:
Aus den Augen schwand das Feuer
von dem Leibe schwand Gewicht;
des Todes fahles Angesicht
schleicht durch dieses trostlose Gemäuer.
So würde ich die erste Strophe betonen. Alles Andere klänge künstlich für mich. In den ersten beiden Versen passt die Metrik. Im dritten Vers wechselst Du plötzlich vom Trochäus (der meiner Meinung nach die Bedrohlichkeit gut zum Ausdruck bringt) zu jambischem Versfuß. Das klingt schief, zumal der Reimvers jambischen Versfußes ist.

Auch die Silbenanzahl ist durcheinander geraten. Die ersten beiden Verse geben das Muster vor. Verse mit stumpfer Kadenz haben sieben, jene mit klingender Kadenz acht Silben. Damit das Metrum nicht ‚verrutscht‘ sollte also der dritte Vers sieben und der vierte acht Silben aufweisen.
Ex-Odiumediae ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 22.08.2011, 16:38   #3
joerg
 
Dabei seit: 12/2005
Beiträge: 90

Danke für die Kritik, ich dachte mir bereits ähnliches, bin aber leider etwas dilettantisch, was Verbesserungen im Nachhinein angeht.
Natürlich sehe ich, daß du recht hast und fand die erste Strophe nach dem Verfassen auch etwas holperig.
Wären in dem letzten Vers der ersten Strophe nicht auch 9 Silben in Ordnung? ...immerhin hat der letzte Vers der zweiten Strophe auch neun Silben...
Dann würde "dieses" einfach in "dies" umgeschrieben werden, also:

"....schleicht durch dies trostlose Gemäuer"

Tja, bleibt noch der dritte Vers....
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Alt 23.08.2011, 09:51   #4
joerg
 
Dabei seit: 12/2005
Beiträge: 90

Standard So etwa?

Wäre das stilistisch sauberer:

Aus den Augen schwand das Feuer
von dem Leibe schwand Gewicht;
Tods aschfahles Angesicht
schleicht durch dies trostlose Gemäuer

????

(ich sehe, daß die Betonung nun gleichmäßiger ist und der Trochäus damit erhalten bleibt, aber die Formulierung finde ich irgendwie komisch....
Was denkt ihr bzw. du, odiumediae?)

Und die vierte Strophe? Da sind die erste und dritte Zeile doch auch nicht "sauber", oder?
joerg ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 23.08.2011, 14:41   #5
Ex-Odiumediae
abgemeldet
 
Dabei seit: 07/2010
Beiträge: 1.151

Die Metrik ist harmonischer als zuvor, aber meiner Meinung nach noch nicht besonders ansprechend.

Ich möchte nicht zuviel daran herumnörgeln und herumwerkeln, aber ich zeige Dir gerne, wo ich das Problem sehe.

Zitat:
Aus den Augen schwand das Feuer
von dem Leibe schwand Gewicht;
Tods aschfahles Angesicht
schleicht durch dies trostlose Gemäuer
So würde ich es betonen. Das Wort ‚aschfahl‘ ist ein natürlicher Spondeus (es besteht aus zwei Silben, die man beim beide betonen muss, wenn man das Wort ausspricht, damit es nicht merkwürdig klingt), als solcher passt er leider nicht ganz in diese Verse, aber man kann sich eine kleine Umstellung erlauben:

Zitat:
Todes fahles Angesicht
und schon passt das metrum wieder.

Der vierte Vers ist nicht ganz so leicht anzupassen. Wie er jetzt ist, würde ich ihn daktylisch betonen (siehe oben).

Aus meiner Sicht ist der Vers schwer anzupassen, weil das Wort ‚Gemäuer‘ fordet, dass vor ihm als letztes eine betonte Silbe folgt. Ein Synonym oder zumindest einen inhaltlich passenden Ersatz für ‚Gemäuer‘ zu finden, der sich obendrein auf Feuer, Heuer und teuer reimt, sollte schwierig sein, deshalb ist es am besten, nach dem Baukastenprinzip vorzugehen.

Wir brauchen acht Silben in diesem trochäischen Vers und die letzten drei haben wir schon, man könnte auch die ersten beiden Wörter stehen lassen, also zwei Silben:

XxXxXxXx

Mit den fehlenden (fettgedruckten) Silben muss man natürlich nicht zwingend die Folge betont-unbetont-betont einhalten. Wenn man partout kein passendes Vokabular findet, ist es besser, des Metrum dem Inhalt anzupassen, als umgekehrt vorzugehen. Hier ist es sehr schwer, das Metrum exakt beizubehalten, da ein Adjektiv gefordert wird. Man wird kaum eines finde, bei dem die letzte Silbe betont ist. Trotzdem ist es immer ästhetischer, wenn sich das Ergebnis gut anhört, Melodie, Rhythmus gegeben ist. Also schlage ich Folgendes vor:

Aus den Augen schwand das Feuer
von dem Leibe schwand Gewicht;
Todes fahles Angesicht
schleicht durch düsteres Gemäuer.

Jetzt ergibt sich foldendes Metrum:

XxXxXxXx
XxXxXxX
XxXxXxXx
XxXxxxXx

Man kann die letzte Silbe von ‚düsteres‘ betonen, es klingt aber auch nicht falsch oder unästhetisch, wenn man es nicht tut.
Ex-Odiumediae ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 23.08.2011, 21:17   #6
joerg
 
Dabei seit: 12/2005
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Vielen Dank, daß du dich so ausgiebig damit beschäftigt hast; ich hoffe, ich habe davon etwas gelernt.
Ich gehe eigentlich nicht sehr strukturiert beim Dichten vor, sehe aber, daß das durchaus Sinn macht und versuche demnächst einmal, das ganze nochmal rhytmisch und stilistisch zu überdenken und belasse es nicht beim "Rohentwurf".
Nocheinmal vielen Dank!
...ich denke, das übernehme ich so (obwohl Krankenhäuser eher nicht düster, aber trostlos sind, zumindest für einige Patienten. Vielleicht fällt mir ja auch noch eine andere Alternative ein...).
Bei rhythmischen und stilistischen Unsicherheiten wendete ich mich gerne an dieses Forum, falls ich nicht als "völlig unbegabt" eingestuft werde bzw. damit irgendjemanden überfordere.

Jörg
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Alt 23.08.2011, 22:03   #7
Thing
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Beiträge: 34.998

Halli Hallo, joerg -


wenn man den Hintergrund kennt, ist es doppelt tragisch.
Ich ließe aber nicht das Angesicht schleichen (geht das überhaupt?), sondern den Tod selbst, etwa so:

Der Tod mit fahlem Angesicht.....



LG
Thing
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Alt 24.08.2011, 10:51   #8
joerg
 
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Guten Morgen, Thing:

Du hast recht, das Angesicht selbst kann- zumindest im rationalen Sinne- nicht schleichen, da schwerkranke Patienten (dieser arme Kerl hatte drei verschiedene Tumorentitäten, die seinen Körper zerfraßen) mir aber häufiger wie der wandelnde Tod erscheinen und der eingefallene Körper nichts lebendiges mehr an sich hatte, eigentlich nicht einmal mehr Körper war, ließ ich das Angesicht wandeln.
Dein Vorschlag würde zudem wie auch in meiner ersten Fassung, wieder jambischen Charakter haben.
Aber: Die Mittelverse der zweiten Strophe sind ja auch jambisch, ließe sich das Gedicht dann nicht auch glätten, indem ich die zweite Zeile der ersten Strophe auch im Jambus schreibe?
Dann hätte ich Silbengleichheit der Verse, aber die mit stumpfer Kadenz wären im Jambus geschrieben und die mit klingender Kadenz im Trochäus???

etwas ratlos
jörg
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Alt 24.08.2011, 10:56   #9
Thing
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Beiträge: 34.998

O, joerg!


Da bist Du bei mir leider an der falschen Adresse!
Ich habe keinen blassen Schimmer von Jamben, Daktylen, Trochäen, Dithyramben und was derlei Zauberworte mehr sind.
Ich betone immer nur gefühlsmäßig.

Aber hier gibt es so viele Lehrmeister, da bekommst Du fachlichen Rat.


Warum dann nicht "desToten"/ oder "Leichnams" ....."? Wie ich sehe, war dieses arme Geschöpf ein lebender Leichnam.

LG
Thing
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Alt 24.08.2011, 11:17   #10
joerg
 
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Zitat:
Zitat von Thing Beitrag anzeigen
Ich habe keinen blassen Schimmer von Jamben, Daktylen, Trochäen, Dithyramben und was derlei Zauberworte mehr sind.
Ich betone immer nur gefühlsmäßig.
Ich auch, sehe hier aber, daß man mit entsprechender Kenntnis davon einiges glätten kann. Bisher sind gelungene Rhythmen bei mir eher ein "Zufallsprodukt" und ich selbst kann meine Gedichte diesbezüglich keiner konkreten Prüfung unterziehen, da ich stets in den erstgeschriebenen Zeilen "gefangen" bin.
Andererseits fände ich es unauthentisch, wenn ich mir zu genau Versfuß, Silbenzahl und Rhythmik vorgäbe.
Also suche ich da nach einem Konsens, der mir Echtheit bewahrt, aber mir auch die Möglichkeiten gibt, eine rhythmische Prüfung vorzunehmen.
Ich finde dieses Gedicht, da ich es einerseits- was die Formulierungen betrifft- doch ein wenig gelungen finde, aber andererseits auch die von odiumediae angeführten Schwächen sehe, geeignet, dieses einmal exemplarisch vorzunehmen.
Danke auch dir für deine Kommentare, vielleicht schreitet odiumediae ja noch einmal ein, um mich darüber aufzuklären und obige Frage zu beantworten, denn er scheint ja ein "Meister des Sonettes" zu sein.


mit Dank
Jörg
joerg ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 24.08.2011, 11:31   #11
joerg
 
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... der Leichnam gefällt mir, vielleicht kann ich damit was machen, liebsten Dank Thing:

Aus den Augen schwand das Feuer
von dem Leibe schwand Gewicht
eines Leichnams Angesicht
schleicht durch trostloses Gemäuer



....obwohl mir auch lautmalerisch "düsteres" besser gefällt, möchte ich doch lieber "trostloses" stehen lassen....
was sagst du odiumediae?
Und die zweite Strophe kann nach deiner Meinung so bleiben, obwohl die Mittelverse ein achtsilbiger Jambus sind?

jörg
joerg ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 24.08.2011, 14:16   #12
weiblich Ilka-Maria
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Zitat:
Da bist Du bei mir leider an der falschen Adresse!
Ich habe keinen blassen Schimmer von Jamben, Daktylen, Trochäen, Dithyramben und was derlei Zauberworte mehr sind.
Fällt mir schwer, Dir das abzunehmen, Thing. Ich könnte mir eher vorstellen, daß Du keine Lust auf Zweikämpfe dieser Art hast.
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Alt 25.08.2011, 14:06   #13
Thing
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Falsch geraten.
Ich dichte i m m e r aus dem Gefühl heraus.
Ob das den Regeln der Metrik entspricht - was kümmerts mich!
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Alt 25.08.2011, 15:48   #14
weiblich Ilka-Maria
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Zitat:
Zitat von Thing Beitrag anzeigen
Falsch geraten.
Ich dichte i m m e r aus dem Gefühl heraus.
Ob das den Regeln der Metrik entspricht - was kümmerts mich!
Das habe ich nicht gemeint, ich dichte meistens auch aus dem Gefühl heraus. Das heißt aber nicht, daß Dir die technischen Begriffe unbekannt sind - sollte mich jedenfalls wundern.
Ilka-Maria ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 25.08.2011, 16:11   #15
Thing
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Ich k e n n e sie, kann sie aber nicht handhaben.
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