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Alt 23.09.2015, 21:23   #1
weiblich miau
 
Benutzerbild von miau
 
Dabei seit: 09/2015
Ort: Niederrhein
Alter: 62
Beiträge: 178


Standard Damit die Weltordnung so bleibt, wie sie ist

Manchmal gehe ich ins Jugendzentrum. Es liegt direkt neben der Sporthalle, in der ich vereinsmäßig Tischtennis spiele.

Bei meinem ersten Besuch hatte ich noch etwas Zeit bis zum Erwachsenentraining des Vereins und so spazierte ich in den großen Raum des Jugendheims, in dem sich alles abspielt. Zwei PCs sind dort aufgebaut, ein Billardtisch steht in einer Ecke, daneben ein Fußballkicker mit dem ich persönlich auch mal gerne spielen würde, um mich mit den Kickercracks unter den Jungs und Mädchen zu messen. Aber ich komme ja in einer anderen Mission: Vom Leiter dieses Hauses, einem stattlichen Mann, der sich überall Respekt verschaffen kann, habe ich mir bereits die Erlaubnis geholt, das zu tun, was ich jetzt tue. Ich schaue bewusst munter in die Runde der knapp zehn Teenagerjungs, die in der großen Sofaecke sitzen, ihr Mädel oder zumindest ein Mädel auf dem Schoß. Sie blicken erstaunt, manche auch ablehnend auf die Frau mittleren Alters, die so gar nicht mit ihnen was am Hut zu haben scheint. Dass ich beschlossen habe, mit ihnen aber genau das zu haben, etwas am Hut, wissen sie noch nicht als ich loslege: „Hat jemand von euch Lust, mit mir `ne Runde Tischtennis zu spielen?“, dabei deute ich auf die Tischtennisplatte, die unser Verein mal spendiert hat und die jetzt etwas verwaist in der Mitte des großen Raumes steht. Alles schweigt. Die Jungs schweigen. Die Mädchen sowieso. Es ist als ob ich nichts gefragt hätte. „Es ist nur ein Angebot.“, bereite ich meinen Rückzug vor. Das bringt Bewegung in die Sache „Ich spiele mit Ihnen.“ Ein großer Teenager schiebt sein Mädchen vom Schoß und steigt die paar Stufen von der Sofaecke zu mir hinab.“ Spielen Sie gut?“, will er noch wissen. Es ist klar, eine jämmerliche Figur will hier vor Publikum keiner abgeben. „Ja, ich spiele im Verein.“, bleibe ich bei der Wahrheit. „Es ist keine Kunst jemanden, der nicht vereinsmäßig spielt, fertig zu machen.“, erkläre ich. „Eine Kunst dagegen ist es, so zu spielen, dass ein gutes Spiel entsteht und alle Spaß haben.“, wiegele ich bewusst weiter ab, denn ich weiß, dass er etwas Angst hat. Dann komme ich zu meinem „Bonbon“, das neugierig machen und zum Spielen animieren soll: “Ich habe einen BMW und einen Lamborghini, ...“ „Ja, wirklich?“, unterbricht mich mein Gegenüber. Erstaunen und Zweifel spiegeln sich in seinem Gesicht und in seiner Stimme. „Nicht wirklich.“, wehre ich etwas verlegen ab. „So nenne ich meine zwei Schläger. Der eine ist so schnell wie ein BMW, der andere wie ein Lamborghini. Mit dem Lamborghini spiele ich, doch dir leihe ich den BMW.“ Der Teenager ist sichtlich zufrieden. Und dann spielen wir. Und ich sorge dafür, dass er gute Bälle von mir bekommt, so dass er hauen und schlagen kann, so gut wie er es eben kann. Mit jedem Erfolg steigt sichtbar sein Spaß und auch sein Mut und nicht zuletzt sein Übermut. „Machen wir ein Spiel mit Zählen und so…:“ Mit dieser Aufforderung hat sein Übermut den Höhepunkt erreicht und meine Befürchtung ist wahr geworden, den spielerischen Unterschied zwischen ihm und mir zeigen zu müssen. Denn lasse ich diesen jungen Mann gewinnen, wäre das unehrlich und deshalb nicht fair. „Du verstehst, dass ich gewinnen muss.“, sage ich daher dem Übermütigen freundlich. Dieser nickt ganz leicht, weiß aber deutlich nicht warum. Meine Erklärung folgt sofort: „Wenn ich gegen dich verliere, verändert sich die Weltordnung.“ Der vielleicht 16Jährige guckt verwirrt. Und deshalb erkläre ich weiter: „Eines Tages wirst DU einmal die Weltordnung zu deinen Gunsten ändern, doch jetzt soll sie erst noch ein Weilchen so bleiben wie sie ist.“ Ich hoffe, dass mein Augenzwinkern deutlich ist. Der Teenager versteht und lacht. Und dann spielen wir erneut, diesmal um Punkt, Satz und Sieg. Und er kämpft. Und er ist gut. Und er ist stolz. Doch zuletzt kommt das, was kommen muss, weil es die Realität ist und die Ehrlichkeit gebietet: Den letzten Punkt, den Siegpunkt, mache ich. Und so bleibt die Weltordnung noch ein kleines Weilchen so, wie sie ist.
miau ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 01.10.2015, 21:57   #2
weiblich Ex-Letreo71
abgemeldet
 
Dabei seit: 01/2014
Ort: Niedersachsen
Beiträge: 4.032


Das gefällt mir, liebe miau, vor allem, weil ich selbst so gerne Tischtenbnis spiele.
Ist sehr spannend geschrieben.

Lieben Gruß

Letreo
Ex-Letreo71 ist offline   Mit Zitat antworten
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Lesezeichen für Damit die Weltordnung so bleibt, wie sie ist

Stichworte
jugendliche, tischtennis, weltordnung

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